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028 HEUTE<br />

Fantastische Welten erkun<strong>de</strong>n mit ...<br />

China Miéville<br />

Der Londoner Schriftsteller China Miéville schreibt seit über zehn Jahren ungewöhnliche Fantasy-<br />

Romane samt Drum’n’Bass-Soundtrack und Insektenwesen mit Gen<strong>de</strong>rtrouble. Auch sein aktuelles<br />

Buch »Der Krake« ist ein gutes Beispiel für fantastischen Realismus.<br />

Wer bei Fantasy an Hobbits, Elfen<br />

und Drachen <strong>de</strong>nkt, liegt zwar oft<br />

richtig, wird aber bei <strong>de</strong>r Lektüre<br />

von China Miévilles Romanen überrascht.<br />

Was <strong>de</strong>r englische Autor in<br />

seinen Büchern veranstaltet, die unter diesem<br />

Genre firmieren, hat mit <strong>de</strong>m herkömmlichen<br />

»Die Guten machen die Bösen platt«-Schema<br />

wenig zu tun. Der Ausgangspunkt seiner<br />

Fantastik ist die Realität – statt Harfenmusik<br />

hört man bei Miéville lieber Drum’n’Bass.<br />

Die Hauptstadt dieser Musik ist nicht nur <strong>de</strong>r<br />

Wohnort <strong>de</strong>s 1972 geborenen Autors, son<strong>de</strong>rn<br />

auch <strong>de</strong>r Schauplatz seines Debüts, »König<br />

Ratte«, aus <strong>de</strong>m Jahr 1998. Mit seinem jetzt<br />

auf Deutsch vorliegen<strong>de</strong>n achten Roman wählt<br />

Miéville zum wie<strong>de</strong>rholten Mal London als<br />

Schauplatz <strong>de</strong>r Handlung: »Ich nehme mir<br />

aus je<strong>de</strong>r Stadt etwas mit; ich bin da gierig:<br />

Was mir gefällt, bekommt einen neuen Platz<br />

in meinem Kopf.«<br />

»Der Krake« beginnt damit, dass ein solches<br />

Tier in Riesenform über Nacht aus <strong>de</strong>m<br />

Naturhistorischen Museum verschwin<strong>de</strong>t. Es<br />

gibt keinerlei Hinweise auf einen Einbruch.<br />

Die Sache ist so rätselhaft, dass sich schon bald<br />

eine Son<strong>de</strong>reinheit Scotland Yards einschaltet,<br />

die sich auf übernatürliche Phänomene spezialisiert<br />

hat. Denn im Untergrund Londons<br />

tummeln sich unzählige Kulte und Sekten,<br />

<strong>de</strong>ren Mitglie<strong>de</strong>r allerdings keine Kutten tragen,<br />

son<strong>de</strong>rn zum Beispiel als Motorrad-Gang<br />

für Angst und Schrecken sorgen, wobei sich<br />

<strong>de</strong>r Anführer dieser Gang als sprechen<strong>de</strong>s<br />

Tattoo entpuppt. Es existieren langjährige<br />

Feindschaften und Nichtangriffspakte, und<br />

mitten in dieses Netz wird nun Billy Harrow<br />

gezogen. Am En<strong>de</strong> kann nicht einmal das Meer,<br />

das tatsächlich eine eigene Botschaftsbehör<strong>de</strong><br />

unterhält, seine Neutralität wahren ...<br />

Wie die an<strong>de</strong>ren Romane und Erzählungen<br />

China Miévilles besticht auch »Der Krake« mit<br />

verblüffen<strong>de</strong>n und manchmal beängstigen<strong>de</strong>n<br />

Einfällen. Doch <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>enreichtum verkommt<br />

nicht zum Selbstzweck, weil <strong>de</strong>r erklärte Sozialist<br />

Miéville sein Genre keinesfalls als Möglichkeit<br />

zur Flucht aus <strong>de</strong>m Alltag versteht, son<strong>de</strong>rn<br />

im Gegenteil die Fantasy nutzt, um reale soziale<br />

Probleme und Fragestellungen in einen neuen<br />

Zusammenhang zu setzen: »Manche Autoren<br />

sagen, dass Literatur politisch neutral sein<br />

sollte. Ich fin<strong>de</strong> das lächerlich. Nichts ist unpolitisch,<br />

und schon gar nicht Literatur. Es ist<br />

nicht die Aufgabe eines Buches, eine Lösung<br />

o<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologie zu propagieren, aber das heißt<br />

nicht, dass ein Buch keinen Standpunkt hat.«<br />

Fantastische Lebensformen sind bei diesem<br />

Autor immer auch an<strong>de</strong>re Lebenskonzepte,<br />

die unsere Wirklichkeit auf <strong>de</strong>n Prüfstand<br />

stellen. Viele seiner Hel<strong>de</strong>n sind Randfiguren,<br />

Flüchtlinge, Ausgestoßene. So stellt Miéville in<br />

»Der Eiserne Rat« – einem von mehreren Romanen,<br />

die in <strong>de</strong>r fiktiven Welt Bas-Lag spielen<br />

– einen schwulen Hel<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Mittelpunkt<br />

und schil<strong>de</strong>rt in seinem Bas-Lag-Hauptwerk<br />

»Perdido Street Station« eine tabuisierte Liebe<br />

zwischen Mensch und Insektenwesen. Wer<br />

China Miévilles popkulturell anspielungsreiche<br />

Romane liest, verliert sich nicht in frem<strong>de</strong>n<br />

Welten, son<strong>de</strong>rn sieht im Gegenteil die Realität<br />

mit neuen Augen.<br />

Thorsten Krämer<br />

— China Miéville »Der Krake«<br />

(Bastei Lübbe, 736 S., € 8,99)

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