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HEUTE 061<br />

Washed Out<br />

Popstar<br />

auf Abruf<br />

Ernest Greene alias Washed Out erfuhr durch<br />

seinen bezaubern<strong>de</strong>n Techno-Pop in <strong>de</strong>n letzten<br />

zwei Jahren einen Bekanntheitsschub, wie<br />

ihn nur die mo<strong>de</strong>rne Sagenwelt <strong>de</strong>s Web 2.0<br />

kennt. <strong>Als</strong> Preis fürchtet Greene schon jetzt<br />

– zum Release seines Debütalbums – ein mögliches<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Publikumsgunst, wie er Felix<br />

Scharlau erzählte. Foto: Kat Green<br />

Eine Sache will zunächst nicht ins Bild passen, unterhält<br />

man sich mit <strong>de</strong>m 27-jährigen Ernest Greene:<br />

<strong>de</strong>r breite, latent vulgär klingen<strong>de</strong> Südstaaten-Slangt<br />

<strong>de</strong>s verwuschelten Kopfes von Washed Out. Erst im<br />

Verlauf <strong>de</strong>s Gesprächs wird klar, dass die hörbare<br />

Treue zu seiner Heimat Georgia sinnstiftend ist für Greenes<br />

bedächtige Synthie-Pop-Miniaturen. Die Musik wird, je<br />

länger das Interview dauert, mehr und mehr zum Abziehbild<br />

seines scheuen Erzeugers. Sie wan<strong>de</strong>lt sich zu entschleunigter<br />

Programmmusik über die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Privaten.<br />

Juni 2009. Ernest Greene erlebt <strong>de</strong>n schlimmsten anzunehmen<strong>de</strong>n<br />

Unfall im Leben eines Heranwachsen<strong>de</strong>n:<br />

Er muss wie<strong>de</strong>r bei seinen Eltern einziehen. Eine Jobsuche<br />

im Anschluss an das College-Studium war zuvor erfolglos<br />

verlaufen. Im ehemaligen Kin<strong>de</strong>rzimmer nahe eines Pfirsichhains<br />

in <strong>de</strong>r Ortschaft Perry, Georgia beginnt er mit <strong>de</strong>r<br />

Musiksoftware Reason und einer veralteten Cubase-Version<br />

seinen Frust digital zu verarbeiten. »Die Stücke entstan<strong>de</strong>n<br />

mit <strong>de</strong>m Ziel, dass es mir durch <strong>de</strong>n kreativen Prozess besser<br />

geht«, erinnert sich Greene.<br />

Dass sich das beschei<strong>de</strong>ne Ziel bald schon übererfüllen<br />

wür<strong>de</strong>, wäre Ernest Greene nie in <strong>de</strong>n Sinn gekommen. Im<br />

Angesicht <strong>de</strong>r auf MySpace gestellten Songs – etwa »Belong«<br />

von <strong>de</strong>r EP »High Times«, »New Theory« und »Feel It All<br />

Around« von <strong>de</strong>r EP »Life Of Leisure« – fielen Musikfans,<br />

Blogger und größere Plattenfirmen noch im gleichen Jahr<br />

vor Greene auf die Knie. Erstaunlich, wenn man be<strong>de</strong>nkt,<br />

wie schlecht viele <strong>de</strong>r Songs produziert waren und wie viele<br />

noch schlechter klingen<strong>de</strong> Versionen <strong>de</strong>r in nur geringer<br />

Auflage gepressten Stücke online kursierten.<br />

»Wenn es darum geht, meine Songs dynamisch zu gestalten,<br />

fehlt mir völlig das Know-how«, gesteht Greene heute.<br />

Da re<strong>de</strong>t er allerdings über die Produktion seines ersten<br />

Albums »Within And Without«, das dieser Tage erschien<br />

und Platz 26 <strong>de</strong>r US-Billboard-Charts erreicht hat. »Ich<br />

kann im Studio nicht mal sagen, was genau ich meine, weil<br />

ich die entsprechen<strong>de</strong>n Wörter nicht kenne.«<br />

Si<strong>de</strong> Chain<br />

... auch »Ducking« genannt.<br />

Noch vor Auto-Tune <strong>de</strong>r<br />

prägendste Studio-Effekt<br />

<strong>de</strong>r letzten zehn Jahre.<br />

Beim Si<strong>de</strong> Chain wer<strong>de</strong>n<br />

mittels Kompressoren<br />

mehrere Klangereignisse<br />

lautstärkemäßig aneinan<strong>de</strong>r<br />

gekoppelt. Je nach virtueller<br />

Verkabelung wer<strong>de</strong>n so etwa<br />

Synthesizer-Flächen o<strong>de</strong>r<br />

die Gesangsspur schlagartig<br />

leiser, sobald die Bassdrum<br />

spielt. Übersteigert man<br />

<strong>de</strong>n ursprünglich subtil<br />

verwen<strong>de</strong>ten Effekt, kommt<br />

es zum rhythmischen<br />

»Pumpen«, bekannt aus<br />

vielen Dance-Produktionen.<br />

Vergleiche »Hung Up« von<br />

Madonna – o<strong>de</strong>r schlicht<br />

alles, was jemals von Daft<br />

Punk o<strong>de</strong>r auf Ed Banger<br />

Records erschien.<br />

Top 7 Chillwave<br />

Begriff für neuere Bands<br />

mit <strong>de</strong>m Mut zu mehr<br />

Nach<strong>de</strong>nklichkeit auf<br />

<strong>de</strong>m Dancefloor. Kurz:<br />

ein ziemlich überflüssiger<br />

Gefäßbegriff. Dennoch<br />

hier die neben Washed Out<br />

besten <strong>de</strong>r vielen Bands, die<br />

darunter häufig subsumiert<br />

wer<strong>de</strong>n:<br />

01 JJ<br />

02 Memoryhouse<br />

03 Baths<br />

04 Beach House<br />

05 Toro Y Moi<br />

06 Craft Spells<br />

07 Neon Indian<br />

Ein Wort, das dazugehören dürfte, obwohl es seine flächigen<br />

Computer-Synthesizer-Arrangements seit jeher entrückt<br />

klingen lässt, heißt Si<strong>de</strong> Chain. Ein an<strong>de</strong>res, weitaus bekannteres:<br />

Hall – <strong>de</strong>m sich auch Greenes kaum zu verstehen<strong>de</strong><br />

Singstimme unterordnet. Kurz: Die romantische Ravemusik<br />

von Washed Out besitzt alle Stigmata von Chillwave.<br />

Greene stört das Label. Nicht nur wegen <strong>de</strong>r Sippenhaft,<br />

die Journalisten mit solchen Subsumierungen über Bands<br />

verhängen. Auch, weil er versucht hat, auf »Within And<br />

Without« genau so nicht mehr zu klingen. »Ich hatte für die<br />

Platte eine Ausschlussliste von Dingen im Kopf. Darunter<br />

auch prototypische Eigenarten <strong>de</strong>ssen, was man Chillwave<br />

nennt. Insofern ist das ein bisschen ärgerlich, doch damit<br />

verbun<strong>de</strong>n zu wer<strong>de</strong>n. Es ist etwas verrückt, wie Kritiker,<br />

in<strong>de</strong>m sie bestimmte Bands rund um <strong>de</strong>n Begriff Chillwave<br />

gruppierten, die Evolution <strong>de</strong>s Sounds, um <strong>de</strong>n es eigentlich<br />

gehen soll, mitbestimmt haben.«<br />

Ein interessanter Gedanke, mit <strong>de</strong>m sich Greene aus<br />

<strong>de</strong>r kurzen Verortungs-Debatte aber auch schon wie<strong>de</strong>r<br />

ausklinkt. Zu Recht, immerhin lebte Greene bis auf die<br />

Freundschaft mit Chaz Bundick von Toro Y Moi bisher<br />

jenseits je<strong>de</strong>r musikalischen Szene. Daran än<strong>de</strong>rte auch<br />

sein Umzug aus <strong>de</strong>r Hinterland-Einö<strong>de</strong> in die urbane Einö<strong>de</strong><br />

Atlanta jüngst wenig. »Ich besitze überhaupt keinen<br />

Einblick in Clubkultur«, gibt er unumwun<strong>de</strong>n zu. »Es fühlt<br />

sich etwas seltsam an, Fan dieser Musik zu sein, sie aber fast<br />

immer nur aus <strong>de</strong>r Distanz erlebt zu haben. Es könnte sein,<br />

dass das <strong>de</strong>r Grund ist, weshalb Washed Out langsamer ist<br />

als wirkliche Clubmusik.«<br />

Mit <strong>de</strong>r unbeirrbaren Treue zur Provinz wahrt sich Ernest<br />

Greene bewusst das ursprüngliche Set-up seiner Kunst. »Ich<br />

habe die Erfahrung gemacht, dass meine Sachen immer<br />

dann am besten klangen, wenn ich mich alleine irgendwo<br />

weggeschlossen habe. Ich habe es immer genossen, weit vom<br />

Lifestyle <strong>de</strong>r großen Städte entfernt zu sein.« Eine Haltung,<br />

die endlich <strong>de</strong>r Legen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Musikers in Zeiten <strong>de</strong>s Web 2.0<br />

nahekommt, <strong>de</strong>r vermeintlich von je<strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Welt aus<br />

agieren kann. Denn die Wahrheit sieht doch meist an<strong>de</strong>rs<br />

aus: Fast je<strong>de</strong> Band zieht schon nach <strong>de</strong>m ersten Teilerfolg<br />

in eine Metropole. Nach Brooklyn, London o<strong>de</strong>r Berlin.<br />

Ernest Greene hingegen bleibt sich treu und beschei<strong>de</strong>n.<br />

Für »Within And Without« hat er nur zehn Tage in einem<br />

professionellen Studio verbracht, er besitzt nach wie vor<br />

keinen Manager und gesteht ehrlich, was kaum ein Musiker<br />

gerne ausspricht: Live-Konzerte machen oft keinen Spaß.<br />

Reichlich ungewöhnlich, wenn Musiker gegenüber Journalisten<br />

Sätze wie diesen sagen: »Ich versuche zu lernen,<br />

das alles zu lieben.«<br />

Dass das Abenteuer Berufsmusiker schnell zu En<strong>de</strong> gehen<br />

könnte, die flüchtige Osmose zwischen Un<strong>de</strong>rground<br />

und Mainstream im Internet auch in die an<strong>de</strong>re Richtung<br />

funktioniert, weiß Greene. »All die Blogs, die über mich<br />

berichteten, haben mich dorthin katapultiert, wo ich jetzt<br />

stehe. Aber <strong>de</strong>r Wind dreht sich in diesen Kreisen schnell.<br />

Wenn es mit <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Leute vorbei sein<br />

sollte, wäre das okay. Ich wür<strong>de</strong> für mich selbst weiter diese<br />

Musik machen, auch wenn ich dann natürlich nicht mehr<br />

so viel Zeit hätte, weil ich mir einen Job suchen müsste.«<br />

Man kann und will sich im Angesicht von Washed Outs<br />

Zauber nicht vorstellen, dass es bald dazu kommt. Wenn<br />

doch: Greenes Bewerbungschancen sollten nach einer internationalen<br />

Pop-Karriere <strong>de</strong>utlich gestiegen sein.<br />

— Auf intro.<strong>de</strong>: das komplette Interview<br />

— Washed Out »Within And Without« (Domino / GoodToGo)

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