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064 HEUTE<br />
In Cold Blood<br />
Truman Capotes 1965 erschienener<br />
Tatsachenroman<br />
über zwei mehrfache Mör<strong>de</strong>r<br />
gehört zu <strong>de</strong>n Meisterwerken<br />
<strong>de</strong>s New Journalism, jener literarischen<br />
Gattung, in <strong>de</strong>r<br />
Tatsachen und subjektive<br />
Autorenschreibe zusammenfin<strong>de</strong>n.<br />
Capote begleitete zur<br />
Recherche die bei<strong>de</strong>n Mör<strong>de</strong>r<br />
Richard Hickcock und<br />
Perry Smith, die die Familie<br />
<strong>de</strong>s Farmers Herbert Clutter<br />
1959 brutal abgeschlachtet<br />
hatten, durch die Verhandlung.<br />
Nur so konnte er ein<br />
sehr intimes, <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n und<br />
<strong>de</strong>n Opfern nahe kommen<strong>de</strong>s<br />
Buch schreiben. Jenes wur<strong>de</strong><br />
2005 als »Capote« mit Philip<br />
Seymour Hoffman in <strong>de</strong>r<br />
Hauptrolle verfilmt.<br />
wort unter Bands wie Holy Ghost, Metronomy o<strong>de</strong>r eben<br />
auch Foster The People – eine zu begrüßen<strong>de</strong> Entwicklung.<br />
Der Unterschied zu <strong>de</strong>n Altvor<strong>de</strong>ren besteht darin, dass<br />
die jungen Bands eine Vorliebe für leicht trashige Sounds<br />
ausleben. Im Falle von Foster The People macht sich dies<br />
in wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>n Italo-House-Pianos bemerkbar, die<br />
am markantesten in <strong>de</strong>m tollen »Call It What You Want«<br />
eingesetzt wer<strong>de</strong>n. Zwar kann Mark Foster mit <strong>de</strong>m Begriff<br />
Italo-House nichts anfangen, aber dass <strong>de</strong>r Song klare Rave-<br />
Signale aussen<strong>de</strong>, sei ihm durchaus bewusst.<br />
Ein Außenseiter will verschwin<strong>de</strong>n wie Houdini<br />
Der Text <strong>de</strong>s Songs »Call It What You Want« variiert <strong>de</strong>n<br />
Wi<strong>de</strong>rwillen junger Bands, ihre Musik kategorisieren zu lassen:<br />
»You’ve taken your words and you take your judgments<br />
and stick them onto everything / If it don’t conform to what<br />
you were born into / Then you run the other way / You say<br />
›now what’s your style and who do you listen to?‹ who cares?«<br />
Das Problem dabei ist, dass Musik kategorisiert wer<strong>de</strong>n<br />
muss, wenn man über sie re<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r schreiben will. Darauf<br />
angesprochen, meint Mark Foster, dass man <strong>de</strong>n Text<br />
auch darauf beziehen könne, dass die Gesellschaft alles<br />
kategorisieren zu müssen meine, obwohl sich nicht alles<br />
auf festgelegte Begriffe verkürzen lasse: »Wenn man sich<br />
ein Bild von Salvador Dalí anschaut, geht es da auch nicht<br />
um Ein<strong>de</strong>utigkeit, son<strong>de</strong>rn um Abstraktion, wobei auch<br />
dieser Begriff ungenau ist, weil es ja verschie<strong>de</strong>ne Formen<br />
von Abstraktion gibt.«<br />
Sich zu entziehen ist ein Prinzip, das auch in Fosters Texten<br />
wie<strong>de</strong>rholt aufgegriffen wird. In »Houdini« kommt etwa<br />
die Zeile »Sometimes I want to disappear« vor. In »Life On<br />
The Nickel« heißt es: »Real life / I’m not qualified«. Es lassen<br />
sich vor diesem Hintergrund also ein<strong>de</strong>utige Ten<strong>de</strong>nzen<br />
zum Eskapismus konstatieren. Foster stimmt dieser These<br />
zu und führt aus, dass viele Texte davon han<strong>de</strong>ln, sich als<br />
Außenseiter zu fühlen. Er sei oft neidisch auf einen Magier<br />
wie Houdini, <strong>de</strong>r sich auf <strong>de</strong>r Bühne einfach unsichtbar<br />
machen könne, während von einem Musiker verlangt wer<strong>de</strong>,<br />
dass er sein Herz öffnen und sein dunkelstes Geheimnis<br />
offenbaren müsse.<br />
Größer als Jesus: Live in London<br />
Beim Konzert ein paar Stun<strong>de</strong>n später im angesagten Club<br />
Hoxten Square Bar & Kitchen im Nor<strong>de</strong>n von London erweist<br />
sich Mark Foster als durchaus extrovertierter Performer, <strong>de</strong>r<br />
die Musik wie die gesamte Band sehr körperlich ausagiert.<br />
Was sich in permanenten rhythmischen Zuckungen äußert.<br />
Beim Zuschauen hat man das Gefühl, dass Foster The People<br />
sehr konzentriert bei <strong>de</strong>r Sache sind.<br />
Obwohl die Band zum Zeitpunkt <strong>de</strong>s Konzerts mit Ausnahme<br />
von »Pumped Up Kicks«, das bis auf Platz 2 <strong>de</strong>r<br />
amerikanischen Billboard-Alternative-Song-Charts kam,<br />
offiziell noch nichts veröffentlicht hat, ist das Konzert sehr<br />
gut besucht. Ihr Auftreten ist geprägt von hochgradiger<br />
Dynamik, ein Umstand, <strong>de</strong>r noch dadurch forciert wird,<br />
dass die Bandmitglie<strong>de</strong>r immer wie<strong>de</strong>r die Instrumente<br />
wechseln. Auf diese Weise kommt eine Bewegung ins<br />
Spiel, die gera<strong>de</strong> bei in perkussiv wummern<strong>de</strong>n Varianten<br />
aufgeführten Songs wie »Houdini« o<strong>de</strong>r »Miss You« für<br />
zusätzliche Impulsivität sorgt. Außer<strong>de</strong>m trägt <strong>de</strong>r Wechsel<br />
<strong>de</strong>r Instrumente dazu bei, die Interaktion <strong>de</strong>r Band in <strong>de</strong>n<br />
Vor<strong>de</strong>rgrund zu rücken. Was sich auf <strong>de</strong>m Album manchmal<br />
wie von Geisterhand zusammengefügt anhört und in diesem<br />
Sinne eine eigene elektronisch-artifizielle Qualität aufweist,<br />
wird im Konzert als kommunikativer Akt zwischen <strong>de</strong>n<br />
Musikern rekonstruiert. Live mit Sean Cimino und Isom<br />
Innis um zwei weitere Mitglie<strong>de</strong>r erweitert, zeigt sich hier,<br />
dass Mark Foster, Mark Pontius und Cubbie Fink sehr gut<br />
als Kollektiv funktionieren, auch wenn Mark Foster als<br />
Sprachrohr und Fokus <strong>de</strong>r Band gesehen wird.<br />
Strategisch clever zögert die Band <strong>de</strong>n Zeitpunkt, an <strong>de</strong>m<br />
endlich »Pumped Up Kicks« gespielt wird, bis kurz vor Konzerten<strong>de</strong><br />
hinaus. <strong>Als</strong> die ersten Töne <strong>de</strong>s Songs erklingen,<br />
wirkt das wie ein Moment <strong>de</strong>r Erlösung für das Publikum,<br />
<strong>de</strong>r entsprechend frenetisch zelebriert wird. Tatsächlich<br />
rechtfertigt allein das Stück die enorme Aufmerksamkeit,<br />
die <strong>de</strong>r Band momentan entgegenschlägt. Subtil instrumentiert,<br />
entfaltet <strong>de</strong>r Song eine sich an seine Hörer leise<br />
heranschleichen<strong>de</strong> Qualität, <strong>de</strong>ren suggestiver Wirkung<br />
man sich kaum entziehen kann. Einer <strong>de</strong>r überzeugendsten<br />
Instant-Hits, die man in diesem Jahr bislang hören konnte.<br />
Das Pfeifen am En<strong>de</strong> erinnert zwar an »Young Folks« von<br />
Peter Bjorn And John, aber es gibt schlechtere Songs, an<br />
<strong>de</strong>nen man sich orientieren könnte.<br />
Trotz aller kalkulierten Eingängigkeit versucht <strong>de</strong>r Song<br />
die Falle <strong>de</strong>r Eindimensionalität zu umgehen, in<strong>de</strong>m die<br />
positive Stimmung <strong>de</strong>r Musik mit einem Text kontrastiert<br />
wird, <strong>de</strong>r von einem wahllos Leute umbringen<strong>de</strong>n Teenager<br />
han<strong>de</strong>lt. Die Tatsache, dass Mark Foster seine kleine<br />
Charakterstudie im Interview mit Truman Capotes »In<br />
Cold Blood« in Beziehung setzt, offenbart die angemessene<br />
Portion Größenwahn, die Popmusik von jeher benötigte,<br />
um wahrgenommen zu wer<strong>de</strong>n. Schließlich hielten sich die<br />
Beatles auch für größer als Jesus.<br />
Mark Fosters Vater hat gut daran getan, seinen Sohn<br />
dazu zu überre<strong>de</strong>n, statt Anwalt lieber Musiker zu wer<strong>de</strong>n.<br />
— Foster The People »Torches« (Smi Col / Sony) <strong>Intro</strong> empfiehlt<br />
die Tour: 02.11. Köln, 09.11. München, 11.11. Berlin, 12.11. Hamburg