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026 HEUTE<br />
Neue Bands fürs Jetzt<br />
Tannhäuser Sterben<br />
& Das Tod<br />
Thomas Mahmoud zerlegte im letzten Jahrzehnt mit <strong>de</strong>r Band Von Spar <strong>de</strong>n musikalischen Zeitgeist <strong>de</strong>r<br />
Post-Wave-Disco. Bei Tannhäuser Sterben & Das Tod hält er sich mit solchen Kinkerlitzchen nicht mehr auf.<br />
Er produziert mit Gerald Mandl (Mediengruppe Telekomman<strong>de</strong>r) Wahn, Verstörung, Avantgar<strong>de</strong> und die<br />
ewige Sexiness von Anti.<br />
Wäre »Eigengift«, die erste LP (ausschließlich<br />
Vinyl!) <strong>de</strong>s Berliner<br />
Duos Tannhäuser Sterben & Das<br />
Tod, ein Film, man wäre fasziniert<br />
von asynchron montierten Ton- und<br />
Bild-Spuren. Über <strong>de</strong>m Betrachter wür<strong>de</strong> ein<br />
Bil<strong>de</strong>rsturm hereinstürzen, <strong>de</strong>r vom Überleben<br />
in <strong>de</strong>r Großstadt, von Wi<strong>de</strong>rstand als Coolness,<br />
von Glamour und Scheitern erzählt und <strong>de</strong>r<br />
diese Erzählung nicht kontinuierlich entwickelt,<br />
son<strong>de</strong>rn als Schichtung von Farben und<br />
Story-Fragmenten, als Montage aus Brüchen<br />
und harten Schnitten.<br />
Trotz dieser Komplexität han<strong>de</strong>lt es sich<br />
hier aber eben nicht um einen Film, son<strong>de</strong>rn<br />
immer noch um: Musik. Musik, die Grenzen<br />
sprengt, Postrock<br />
— Diese Bands sind<br />
nun überflüssig:<br />
Anal Cunt, Einstürzen<strong>de</strong><br />
Neubauten<br />
— Hört man am besten:<br />
In Lebenskrisen, auf die<br />
man total Bock hat.<br />
im vielleicht wortwörtlichsten<br />
Sinn:<br />
Stellen wir uns einen<br />
Zeitpunkt x<br />
nach nicht weniger<br />
als <strong>de</strong>r Apokalypse<br />
vor. Aus <strong>de</strong>n kaum<br />
noch <strong>de</strong>chiffrier-<br />
baren Resten früherer popmusikalischer und<br />
jugendkultureller, nun ja, Errungenschaften<br />
rekonstruieren zwei S-Bahn-Surfer verblichene<br />
Gefühle und vergessene Aufstän<strong>de</strong>. Fahren <strong>de</strong>nn<br />
überhaupt noch S-Bahnen in Berlin? Streichen<br />
wir das.<br />
Aus <strong>de</strong>r Vielzahl <strong>de</strong>r Projekte, die Thomas<br />
Mahmoud seit seinem Ausstieg bei Von Spar<br />
vor vier Jahren verfolgt, hat sich Tannhäuser<br />
Sterben & Das Tod als das beständigste, ausgereifteste<br />
erwiesen. Seit 2008 gibt es kleinere Online-,<br />
DVD- und Kassetten(!)-Editionen, neben<br />
Mahmoud ist hier Gerald Mandl (Mediengruppe<br />
Telekomman<strong>de</strong>r) fe<strong>de</strong>rführend.<br />
Oberflächlich kann man Tannhäuser Sterben<br />
& Das Tod in <strong>de</strong>r Nachfolge von Von Spars<br />
zweitem, immer noch atemberauben<strong>de</strong>m<br />
Grind-Kraut-Disco-Ruinen-Album »Xaxapoya<br />
/ Dead Voices In The Temple Of Error«<br />
verorten. »Eigengift« besticht aber vor allem<br />
durch hypersensible Zeitgenossenschaft, es ist<br />
gegenwärtige Musik: unübersichtlich, zerfranst,<br />
aber im nächsten Moment schon wie<strong>de</strong>r laut<br />
aufstampfend. Min<strong>de</strong>stens so experimentell<br />
wie eingängig rockend. Mandl und Mahmoud<br />
orientieren sich durchaus an <strong>de</strong>m, was (in Berlin)<br />
hip ist: ihren früheren Projekten, The Liars,<br />
<strong>de</strong>n ewig jungen Einstürzen<strong>de</strong>n Neubauten,<br />
einer Clubszene jenseits von Techno- und Indie-<br />
Disco. Tannhäuser Sterben & Das Tod bleiben<br />
aber nicht stehen, son<strong>de</strong>rn pushen ihr musikalisches<br />
Material gna<strong>de</strong>nlos nach vorne. Und als<br />
roter Fa<strong>de</strong>n: Mahmouds hochgejazzte Stimme<br />
– atemlos, aufgewühlt, supernervös. Die Pointe<br />
besteht darin, dass sich hier keiner authentisch<br />
in Pathoskrämpfen win<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn Gesang und<br />
das grelle Electrogeflirre drum herum vielmehr<br />
cool-abgefuckt inszeniert erscheinen.<br />
Anfang und En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Stücke scheinen willkürlich<br />
gesetzt, was für angenehm verwirren<strong>de</strong><br />
Unübersichtlichkeit sorgt. Dass nach 35 Minuten<br />
dieses Fest <strong>de</strong>r Selbstvergiftung schon vorüber<br />
ist, fällt gar nicht auf. Chaotisch ist hier nichts,<br />
man hat <strong>de</strong>n Eindruck, Mahmoud und Mandl<br />
wüssten schon, was als Nächstes kommt. Und<br />
machen dann trotz<strong>de</strong>m etwas ganz an<strong>de</strong>res.<br />
Text: Felix Klopotek<br />
Foto: Kim Keibel<br />
— Tannhäuser Sterben & Das Tod »Eigengift« (Altin<br />
Village & Mine / Cargo)