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HEUTE 057<br />
S.C.U.M / Daniel Miller<br />
Das Mute-<br />
Label sen<strong>de</strong>t<br />
wie<strong>de</strong>r laut<br />
Dem Untergangsgetöse zum Trotz: Die Zeichen <strong>de</strong>r Zeit stehen auf Aufbruch für Daniel<br />
Miller. 31 Jahre, nach<strong>de</strong>m er Depeche Mo<strong>de</strong> für Mute Records gesignt hat, grün<strong>de</strong>t er das<br />
krisengeschüttelte Label neu und feiert die wie<strong>de</strong>rerlangte Freiheit mit so vielen neuen<br />
Acts wie nie zuvor. Die Londoner Band S.C.U.M ist einer davon und will Apokalypse und<br />
Urknall zugleich vertonen. Arno Raffeiner hat bei<strong>de</strong> Seiten übereinan<strong>de</strong>r ausgefragt.<br />
Foto: Lars Borges<br />
SCUM Manifesto<br />
(S. 22)<br />
»A small handful of SCUM<br />
can take over the country<br />
within a year by systematically<br />
fucking up the system,<br />
selectively <strong>de</strong>stroying property,<br />
and mur<strong>de</strong>r: SCUM<br />
will become members of the<br />
unwork force, the fuck-up<br />
force; they will get jobs of<br />
various kinds and unwork.<br />
For example, SCUM salesgirls<br />
will not charge for merchandise;<br />
SCUM telephone<br />
operators will not charge for<br />
calls; SCUM office and factory<br />
workers, in addition to<br />
fucking up their work, will<br />
secretly <strong>de</strong>stroy equipment.<br />
SCUM will unwork at a job<br />
until fired, then get a new<br />
job to unwork at.«<br />
Sie glauben an das Blitzlicht und an zugeknöpfte<br />
Hem<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Sommerhitze. Sie glauben an lange<br />
und an halblange Haare, an zeitlose bis altertümliche<br />
Style-Signale. Und dieser Nick-Cave’hafte Typ da<br />
am Mikrofon glaubt tatsächlich an seinen breitkrempigen<br />
schwarzen Hut, <strong>de</strong>n er auch in <strong>de</strong>n bewegtesten<br />
Momenten seiner Performance nicht vom Kopf schüttelt.<br />
Die Schlagzeugerin glaubt an Bandlogos auf <strong>de</strong>r Bassdrum<br />
– S.C.U.M steht in stolzen Versalien an <strong>de</strong>r Stelle, von <strong>de</strong>r<br />
die einzige Frau in dieser Band ihre Kicks in <strong>de</strong>n Raum tritt;<br />
die Buchstaben stehen für Society For Cutting Up Men,<br />
<strong>de</strong>n Titel eines radikalfeministischen Manifests von Valerie<br />
Solanas (die es später als die Andy-Warhol-Attentäterin<br />
zu zweifelhaftem Weltruhm schaffen sollte) aus <strong>de</strong>m Jahr<br />
1968, das die Abschaffung aller Träger <strong>de</strong>s verkümmerten<br />
Y-Chromosoms sowie generell die Revolution for<strong>de</strong>rt. Im<br />
Zeichen dieses Logos fackeln fünf LondonerInnen um die<br />
zwanzig ein finsteres Klanggewitter ab.<br />
Bei ihrem Auftritt in Berlin En<strong>de</strong> Juni geben sie alles, um<br />
ihr Publikum akustisch und optisch zu blen<strong>de</strong>n. Mehrere<br />
Blitzlichtmaschinen unter ihren Synthesizern und auf ihren<br />
Orange-Verstärkern sind ins Publikum gerichtet. Immer<br />
mehr Lampen flashen zum sonischen Gewitter, das die Band<br />
losbrechen lässt. Die Speicher <strong>de</strong>r Smartphones im Publikum<br />
wer<strong>de</strong>n am nächsten Morgen voll sein mit Gegenlichtfotos,<br />
auf YouTube wer<strong>de</strong>n unzählige Pixelflecken explodieren. Die<br />
Uhr im Konzertsaal, einer ehemaligen Kantine, ist starr vor<br />
Schreck und zeigt immerzu fünf vor zwölf. Ist <strong>de</strong>nn schon<br />
wie<strong>de</strong>r Apokalypse? Diesmal so richtig endgültig?<br />
Der implosive Hedonismus <strong>de</strong>r Kaputten und Ausgezehrten<br />
S.C.U.M sind fasziniert vom Untergang. »Manche unserer<br />
Songs klingen wie <strong>de</strong>r Ursprung und das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit zugleich«,<br />
erklärt <strong>de</strong>r 19-jährige Samuel Kilcoyne, S.C.U.Ms<br />
Keyboar<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r bisher als Initiator <strong>de</strong>r englischen Un<strong>de</strong>rage-<br />
Szene, einer Bewegung, die explizit nur einem jüngeren<br />
Publikum mit Nachmittagsauftritten Bands zugänglich<br />
machen will, von sich re<strong>de</strong>n machte. »Wir lieben diesen<br />
Gegensatz zwischen Schönheit und totaler Zerstörung.«<br />
Kilcoynes Band hat die eigene Abschaffung in ihren Bandnamen<br />
eingeschrieben, aber sie wird, wie es sich für Popmusik<br />
speziell englischer Provenienz gehört, als <strong>de</strong>r pure Aufbruch<br />
beschrieben. Mit dieser Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit passen<br />
S.C.U.M bestens in eine Zeit, in <strong>de</strong>r bis auf die Margen <strong>de</strong>r<br />
Spekulationsgewinnler alles <strong>de</strong>n Bach runtergeht, in <strong>de</strong>r<br />
Entertainment häufig komplett humorfrei zu haben ist. Für<br />
<strong>de</strong>n Alltagsexorzismus wer<strong>de</strong>n aktuell oft düstere, quasisakrale<br />
Räume bevorzugt: Wu Lyf etwa rufen mit großem<br />
Nachhall zur Vereinigung <strong>de</strong>r gottverlorenen Jugend auf,<br />
The Hundred In The Hands singen (zu beinahe ketzerisch<br />
beschwingten Beats) von »our times, the end times« und<br />
von Teenies, die in <strong>de</strong>n Trümmern <strong>de</strong>s kaputtgebombten<br />
Dres<strong>de</strong>n Sex hatten. Es ist dieser implosive Hedonismus <strong>de</strong>r