Wissenschaftliche Arbeitsgruppe - Katholisch.de
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TYPOLOGIE DER SEKTEN UND NEUEN RELIGIÖSEN BEWEGUNGEN<br />
Der Begriff „Sekte“ wird in dieser Arbeit wertfrei im Sinne <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>altypischen Typologie von Max Weber<br />
und Ernst Troeltsch benutzt. Weber und Troeltsch sprachen Anfang <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts von <strong>de</strong>r<br />
(protestantischen puritanischen) „Sekte“ als einer von <strong>de</strong>r Gesellschaft getrennten Gruppe von Freiwilligen,<br />
die sich aus <strong>de</strong>n unteren Schichten <strong>de</strong>r Bevölkerung rekrutiert, in <strong>de</strong>r religiöse Gleichheit herrscht und die<br />
sich durch Protest o<strong>de</strong>r Indifferenz gegenüber <strong>de</strong>m Staat und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren religiösen Gemeinschaften<br />
ausweist. Dagegen ist die „Kirche“ eine hierarchische, bürokratische und traditionspflegen<strong>de</strong> Organisation,<br />
die vor allem die höhere Bevölkerungsschicht anspricht. In ihr herrscht eine ausgebil<strong>de</strong>te Arbeitsteilung<br />
(Regieren<strong>de</strong>, Sakramentsvermittler, Asketen usw.), die in <strong>de</strong>n Sekten nicht in gleichem Maße vorhan<strong>de</strong>n ist.<br />
Sie ist eine „Nachwuchsorganisation“ und hat die Ten<strong>de</strong>nz, sich <strong>de</strong>r Welt zu fügen (Weber 1963 5;<br />
Troeltsch 1965 2 ).<br />
Typologie <strong>de</strong>r Sekten von J. Milton Yinger<br />
Die Troeltsche und Webersche Unterscheidung zwischen „Kirche“ und „Sekte“ ist jedoch zu beschränkt,<br />
um das ganze Spektrum <strong>de</strong>r Religionsgemeinschaften erfassen zu können. Sie sollte <strong>de</strong>swegen durch die<br />
Typologie von J. Milton Yinger erweitert wer<strong>de</strong>n. Yinger wies in Anlehnung an Howard Becker auf<br />
folgen<strong>de</strong> religiöse Organisationsformen hin: die „Universelle Kirche“, die „Ecclesia“, die „Etablierte<br />
Sekte“, die „Sekte“ und <strong>de</strong>r „Kult“.<br />
a) Die „Universelle Kirche“ ist die römisch-katholische Kirche, die einen Anspruch auf Universalität<br />
erhebt;<br />
b) unter „Ecclesia“ ist <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>altypus <strong>de</strong>r historischen europäischen Staats- bzw. Nachwuchskirchen<br />
gemeint. Im amerikanischen Kontext und im Kontext <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r südlichen Hemisphäre sollte man<br />
lieber angesichts <strong>de</strong>s dort bestehen<strong>de</strong>n Konkurrenzkampfes zwischen <strong>de</strong>n religiösen Gemeinschaften mit<br />
H. Richard Niebuhr von „Denominationen“ sprechen. Die Denominationen zeigen eine Offenheit zur Welt,<br />
die unter <strong>de</strong>n Sekten normalerweise nicht vorhan<strong>de</strong>n ist. Einige Freikirchen, die sich früher von <strong>de</strong>n<br />
historischen Kirchen abgespalten und die Züge von radikalen Sekten angenommen hatten, sind mittlerweile<br />
Denominationen gewor<strong>de</strong>n, so z.B. die Methodisten;<br />
c) an<strong>de</strong>re Gemeinschaften sind als „Etablierte Sekten“ zu bezeichnen. Es han<strong>de</strong>lt sich hier um<br />
Bewegungen <strong>de</strong>r zweiten o<strong>de</strong>r dritten Generation, die sich <strong>de</strong>r Welt mehr anpassen als die kleinen Sekten,<br />
ohne <strong>de</strong>shalb ihre Protestfunktion gegenüber <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren religiösen Gemeinschaften aufgegeben zu haben.<br />
Sie sind auch durch eine größere Arbeitsteilung und Bürokratisierung gekennzeichnet. Die autochthonen<br />
Bewegungen <strong>de</strong>r südlichen Hemisphäre sind oft streng hierarchisch geglie<strong>de</strong>rt und haben nicht selten<br />
höchstkomplizierte Organisationsformen entwikkelt, die vom spirituellen Lea<strong>de</strong>r bzw. von sog. Päpsten (in<br />
<strong>de</strong>r Église du Troisième Testament in Zaire), von <strong>de</strong>n Bischöfen, Aposteln, Propheten bzw. Prophetinnen<br />
bis zu <strong>de</strong>n Wächtern und Choristen gehen (z.B. in <strong>de</strong>r Église <strong>de</strong> Jésus-Christ sur Terre par le<br />
Prophète Simon Kimbangu in Zaire o<strong>de</strong>r im Brotherhood of the Cross and Star und in <strong>de</strong>r Celestial<br />
Church of Christ in Nigeria). Auch die älteren pfingstlichen und neopfingstlichen<br />
Religionsbewegungen zeigen eine ein<strong>de</strong>utige Ten<strong>de</strong>nz zur Bürokratisierung. Einige dieser Gemeinschaften<br />
sind nach methodistischem o<strong>de</strong>r katholischem Vorbild bischöflich verfaßt (u.a. die Iglesia Metodista<br />
Pentecostal in Chile, die Igreja Evangélica Pentecostal Cristã in Brasilien). Obgleich die meisten<br />
„etablierten Sekten“ jegliche Kontakte mit <strong>de</strong>r ökumenischen Bewegung ablehnen, sind einige Mitglied <strong>de</strong>s<br />
Ökumenischen Rates <strong>de</strong>r Kirchen (ÖRK): die chilenischen Misión Iglesia Pentecostal und Iglesia<br />
Pentecostal <strong>de</strong> Chile, die brasilianische Igreja Evangélica Pentecostal „O Brasil para Cristo“ (die<br />
argentinische Iglesia <strong>de</strong> Dios ist assoziiertes Mitglied <strong>de</strong>s ÖRK), die Church of the Lord (Aladura) in<br />
Nigeria, <strong>de</strong>r Kimbanguismus in Zaire wie auch die Afrikan Israel Ninevah Church und die African<br />
Church of the Holy Spirit in Kenia. Zahlreiche an<strong>de</strong>re „etablierte Sekten“ sind Mitglied übernationaler und<br />
nationaler Kirchenbün<strong>de</strong> (Jules-Rosette 1989:158);<br />
d) Die „Sekten“ sind oft Abspaltungen von <strong>de</strong>n historischen Kirchen, von Denominationen o<strong>de</strong>r von<br />
„etablierten Sekten“. Nach Heinrich Schäfer han<strong>de</strong>lt es sich um kleine Gruppierungen „mit minimaler<br />
Institutionalisierung und personaler Vermittlung <strong>de</strong>r Verwaltungstätigkeiten“, die in einer starken Spannung