Fukushima Reader_MJW200213_SB Logo - Internationales Bildungs
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eigentlich verhaftet und bestraft werden sollte. Würde sie eingreifen, müsste der Staat<br />
direkte Verantwortung übernehmen. Also überlässt er ihn lieber seinem Schicksal.<br />
Nicht so extrem, aber so ähnlich ist das Dilemma tausender „Atomflüchtlinge“, die ihre<br />
Städte und Dörfer rund um das AKW <strong>Fukushima</strong> verlassen sollten. Die Regierung hat zwar<br />
Verbotszonen erlassen, aber die Menschen mussten meist allein eine andere Bleibe finden.<br />
Auf Hilfsbereitschaft hofften in dieser fatalen Lage viele vergeblich. „Man will uns einfach<br />
vergessen“, klagt Matsumara. „Das ganze Land macht weiter wie bisher.“ Überall in der<br />
Krisenregion finden sich solche Versprengte, setzen sich bewusst den unkalkulierbaren<br />
Gefahren und Risken aus, die ein Leben inmitten der Strahlung mit sich bringt. In der Not<br />
ringen einige dieser fatalen Situation eine neue Lebensaufgabe ab.<br />
Nobuyoshi Ito aus dem Dorf Iitate in der <strong>Fukushima</strong>-Präfektur will als „Versuchskaninchen“<br />
für radioaktive Strahlung Dienst tun. „Ich trage niemals eine Maske oder einen<br />
Schutzanzug“, sagt der ehemalige IT-Ingenieur. Dabei wohnt er nur 30 Kilometer von der<br />
AKW-Ruine entfernt. Der 67-Jährige versteht sich als „nuklearer Samurai“, als Frontkämpfer<br />
in einem Glaubenskrieg, der Japans Experten in zwei Lager teilt. „Die antiatomare Gruppe<br />
sagt, auch kleine Dosen radioaktiver Strahlung sind gefährlich für die menschliche<br />
Gesundheit“, erklärt Ito. Die andere Partei vertrete den Standpunkt, „selbst erhöhte<br />
Strahlenwerte würden weniger krebserregend wirken als Zigaretten oder bestimmte<br />
Lebensmittel“. Ito steht auf keiner Seite, er will Klarheit. „Ich habe mich entschieden, im<br />
Selbstversuch zur Beantwortung dieser Frage beizutragen.“<br />
Fast jeden Tag misst er seit März die Strahlenwerte um sein Haus und registriert, dass diese<br />
meist über den offiziellen Angaben liegen, die von der in acht Kilometer Entfernung<br />
ausgelagerten Gemeinde Iitate angegeben werden. Er habe sich im August in Tokio gründlich<br />
untersuchen lassen und die Ärzte hätten überhaupt nichts Auffälliges gefunden, sagt der<br />
Mann stolz. Natürlich weiß er, dass langfristigen Schäden erst in 15 oder 20 Jahren spürbar<br />
sind.<br />
Sicherer oder sicher? Wie gefährlich ist das Leben im nuklearen Niemandsland? Kimie<br />
Furuuchi ist zutiefst verunsichert. Die Frau aus der völlig zerstörten Stadt Minamisoma floh<br />
mit ihren drei Töchtern im April in die südlicher gelegene Chiba-Präfektur. Jetzt erhielt sie<br />
Post von ihrem Bürgermeister. Der Brief begann mit der harmlosen Anrede: „Liebe<br />
Evakuierte aus Minamisoma!“ Weiter heißt es: „Wir versuchen, eine Umwelt zu schaffen, in<br />
die die Flüchtlinge aus Minamisoma so schnell wie möglich wieder zurückkehren können.“<br />
Behörden und Strahlenexperten beruhigen Frau Furuuchi immer wieder, ihre Heimat sei<br />
sicherer geworden. Aber niemand sagt, sie sei wirklich sicher.<br />
Kryptische Anordnungen. Die Stadt Minamisoma befindet sich in der offiziellen<br />
Evakuierungszone zwischen 20 und 30 Kilometer Entfernung von den GAU-Meilern. Diese<br />
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