Berufswunsch oder Wunschberuf. Ausbildungsweg und Berufswahl ...

Berufswunsch oder Wunschberuf
5 Formale Theorie der Berufswahlentscheidung
biographischen Erfahrungen mit den Nachbarsleuten werden von Rebekka als Handlungsressource
eingesetzt, um das begehrte Basteln von Tonschäfchen zu verwirklichen. Die Handlungsresultate
führen zu einer Erweiterung der sedimentierten Erfahrungen. Die Berücksichtigung der
dynamischen Struktur biographischer Wissensbestände ist zentral in der Analyse individueller
Handlungsmuster: „Wenn wir Veränderungen im biographischen Wissen verstehen wollen, so
müssen wir begreifen, wie Menschen ihre Bedingungen formen und wie Bedingungen Menschen
formen“ (Vaillant 2000, S. 98).
Aus dem Datenbeispiel lässt sich das Wirken gesellschaftlicher Vorgaben auf den individuellen
Lebenslauf herauslesen. Eingangs wurde darauf hingewiesen, dass die Planung biographischer
Projekte unmittelbar an die Verzeitlichung des Lebenslaufs in der modernen Gesellschaft gebunden
ist. Dabei sind „Lebenslauf und Lebensalter als eine eigenständige gesellschaftliche Strukturdimension
aufzufassen (..) im Sinn eines Regelsystems, das einen zentralen Bereich oder eine zentrale
Dimension des Lebens ordnet“ (Kohli 1985, S. 1. Hervorh. im Original). Die Entstehung von
Berufswünschen bereits in der Kindheit der interviewten Lehrpersonen ist ein Hinweis auf diese
Regelung des Lebenslaufs. Viele Kinder wissen in der frühen Schulzeit um die Notwendigkeit
einer Berufswahl. In diesem Wissen drückt sich die Kenntnis der zeitlichen Strukturierung des
Lebenslaufs in voneinander abgegrenzte Lebensphasen wie die Vorbereitungszeit in der Ausbildung
und die Phase aktiver beruflicher Tätigkeit aus. Die gesellschaftliche Vorgabe eines standardisierten
‚Normallebenslaufs‘ (Fischer und Kohli 1987) ist den Schülerinnen und Schülern bekannt
und wird bei der Gestaltung der kindlichen Lebenspläne berücksichtigt. Ohne eine an
rationalen Kriterien ausgerichtete Regelung des Lebenslaufs wären spezifische lebensgeschichtliche
Phasen nicht voraussehbar und biographische Projekte in der Folge nicht planbar.
Rebekkas Erzählung des Schlüsselerlebnisses mit den Tonschäfchen illustriert, wie am chronologischen
Alter orientierte Regeln bezüglich gesellschaftlicher Rollen und Übergänge bereits in der
frühen Sozialisation die Biographie von Individuen zu organisieren beginnen. Das Auftreten von
Berufswünschen widerspiegelt insofern die Wahrnehmung gesellschaftlicher Altersnormen innerhalb
von ‚Normalbiographien‘ (Kohli 1985). Die empirischen Daten liefern einen Indikator für
den strukturierenden Einfluss makrosozialer Vorgaben auf subjektive Handlungsorientierungen
(Buchmann 1989), der in der Ausgestaltung des individuellen Habitus verinnerlicht wird und
den zukünftigen Verlauf der Biographie mitbestimmt.
Datenbeispiel 2: Wenn dir die Kleinen hinten nach watscheln
Der Einfluss der sozialen Umwelt, die Rolle von signifikanten Anderen (Mead 1973) wie Eltern,
Peers, Lehrern und institutionellen Gatekeepern, im Prozess der Sozialisation kann unterschiedliche
Formen annehmen. Die Kindergärtnerin und die Nachbarin vermitteln Rebekka als Sozialisationsagentinnen
in teils schmerzhaft erlebter Form Regeln und kulturelle Leitbilder bezüglich
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