02.12.2014 Aufrufe

Berufswunsch oder Wunschberuf. Ausbildungsweg und Berufswahl ...

Berufswunsch oder Wunschberuf. Ausbildungsweg und Berufswahl ...

Berufswunsch oder Wunschberuf. Ausbildungsweg und Berufswahl ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Berufswunsch</strong> <strong>oder</strong> <strong>Wunschberuf</strong><br />

5 Formale Theorie der <strong>Berufswahl</strong>entscheidung<br />

bekka sich gegen ein Hochschulstudium. Die Ausbildungswahl gestaltet sich als Selbstselektion.<br />

Das Datenbeispiel verdeutlicht, wie biographische Erfahrungen als Handlungsressourcen in<br />

Problemsituationen dienen <strong>und</strong> den Lebenslauf mitbestimmen. Erfahrungen, die als Wissensbestände<br />

<strong>oder</strong> Kenntnisse im persönlichen Habitus internalisiert sind, strukturieren den individuellen<br />

Lebenslauf.<br />

Datenbeispiel 3: Dann kannst du noch ein wenig Kind sein<br />

In diesen Beispielen bestätigt sich Bourdieus (1985) Feststellung, dass der Habitus sowohl ein<br />

(durch biographische Erfahrungen in Wechselwirkung mit Sozialisationsagenten <strong>und</strong> unter dem<br />

Einfluss gesellschaftlicher Vorgaben) strukturiertes wie auch ein (den zukünftigen Verlauf der<br />

Biographie) strukturierendes Konzept ist (Müller 2002, S. 164): „Der Habitus ist also ein praktischer<br />

Operator, ein Mechanismus, der die Praxis der Struktur anpasst <strong>und</strong> damit die praktische<br />

Reproduktion der Struktur gewährleistet“. Ramona erzählt über einen durch ihre soziale Herkunft<br />

bestimmten Prozess der Selbstselektion anschliessend an den Übertritt ins Gymnasium:<br />

„Ich bin nach der sechsten Klasse dann ans Gymi gekommen <strong>und</strong> da bin ich völlig unglücklich gewesen (...) Und<br />

dann bin ich, ich habe irgendwie so gekrüppelt, <strong>und</strong> habe so gelitten, auch im Latein, ich habe das irgendwie alles<br />

nicht gecheckt <strong>und</strong> nicht gewusst, wie lernen, <strong>und</strong> bin so schlecht gewesen, <strong>und</strong> ich hätte aber dann die Probezeit<br />

bestanden, <strong>und</strong> der Klassenlehrer ist der Lateinlehrer gewesen, <strong>und</strong> der hat dann gef<strong>und</strong>en, ja, ja, das käme<br />

dann schon <strong>und</strong> so, also, ich hätte können weitergehen. Und meine Eltern haben gef<strong>und</strong>en, das sei doch, das sei<br />

doch ein Gewürge <strong>und</strong> ich solle doch noch einmal an die Sek <strong>und</strong> noch mal ein wenig Kind sein.“<br />

Das zentrale Phänomen, mit dem Ramona konfrontiert wird, ist ein Gefühl der kulturellen Distanz<br />

zwischen dem neu angetroffenen Leben als Gymnasiastin <strong>und</strong> dem Habitus, den sie aus ihren<br />

Erfahrungen aus Elternhaus, Schule <strong>und</strong> Jugendarbeit in sich trägt. Ihre Eltern sind keine<br />

Akademiker. In der Folge wurde ihr im Lauf der frühen Sozialisation nicht das notwendige kulturelle<br />

Kapital vermittelt, um sich mit Selbstsicherheit <strong>und</strong> ohne Mühe in der neuen Position zu<br />

bewegen. Die Aneignung des kulturellen Kapitals setzt in den privilegierten Schichten bereits in<br />

der frühen Kindheit ein <strong>und</strong> dieses „fungiert als eine Art Vorschuß <strong>und</strong> Vorsprung“ (Bourdieu<br />

1982, S. 129. Hervorh. im Original). In der Folge stellt Ramona fest, dass sie „auch im Latein“<br />

gelitten habe. Gerade die Sprache wird im akademischen Milieu verwendet, um sich von den<br />

tieferen Schichten der Gesellschaft abzuheben (Leemann 2002). Gemäss Bourdieu (1982) wird<br />

Sprache (<strong>und</strong> auch Körpersprache) als ein Mittel der Distinktion verwendet: Die hochgradig<br />

zensierte Sprache widerspiegelt das „Unterschiede setzende Verhalten“ (ebd., S. 62) der „bourgeoisen<br />

Kreise“ (ebd., S. 288). Ramona sucht das Handicap an kulturellem Kapital wett zu machen,<br />

indem sie sich im Unterricht besonders anstrengt. Damit wählt sie eine Strategie, die von<br />

Bourdieu <strong>und</strong> Passeron (1971) als Mittel angegeben wird, um eine zu geringe Ausstattung mit<br />

kulturellem Kapital zumindest teilweise auszugleichen <strong>und</strong> gegenüber den privilegierten Mitschülerinnen<br />

<strong>und</strong> Mitschülern aufzuholen. Doch die geringeren Chancen gegenüber Gymnasiasten<br />

108

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!