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iso-NEWS - Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft eV

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Manfred Geiger: Ausgrenzung <strong>und</strong> Integration – historische Wendepunkte in der Sozialpolitik<br />

___________________________________________________________________________________________<br />

• in der frühen Neuzeit, als mit dem Verlust<br />

von Existenzgr<strong>und</strong>lagen auf dem<br />

Land <strong>und</strong> der Sogwirkung der Städte<br />

die mobile Armut immer mehr anwuchs,<br />

die Zünfte <strong>und</strong> die Städte sich aber abschlossen<br />

<strong>und</strong> ihre restriktive Armenpolitik<br />

verstärkten;<br />

• in der Endphase des alten Regimes, als<br />

der Bedarf <strong>und</strong> der Anteil unzünftiger<br />

Lohnarbeit zunahm, diese sich aber<br />

weder im Rahmen eines freien Arbeitsmarktes<br />

entfalten, noch zu einem anerkannten<br />

Stand im Sinne der Zunftordnung<br />

werden konnte;<br />

• in der Phase der Frühindustrialisierung,<br />

als die Konstellation von schwindenden<br />

Subsistenzmöglichkeiten auf dem Land<br />

<strong>und</strong> der Sogwirkung industrieller Ballungsräume<br />

erneut eine gewaltige, nun<br />

auch staatlicherseits eifrig geförderte<br />

Wanderungsbewegung in Gang setzte.<br />

Die Menschen wurden aus den alten<br />

Bindungen herausgelöst, ohne dass<br />

schon neue Formen der Solidarität entwickelt<br />

waren.<br />

• Eine weitere Zuspitzung der Exklusions-/<br />

Inklusionsproblematik ergab sich am<br />

Ende der Weimarer Republik, als mit der<br />

Weltwirtschaftskrise die Arbeitslosigkeit<br />

dramatisch anstieg, die Systeme der sozialen<br />

Sicherung, mit denen zwischenzeitlich<br />

viele Ausgrenzungsrisiken gebannt<br />

werden konnten, aber an ihrer<br />

Finanzierungslogik <strong>und</strong> der zersetzenden<br />

Kritik am „Weimarer System“ zerbrachen<br />

<strong>und</strong> so den Boden <strong>für</strong> die Machtübernahme<br />

der Nazis <strong>und</strong> ihr völkisches<br />

Wohlfahrtsverständnis bereiteten. In deren<br />

„Raum- <strong>und</strong> Menschenordnung“<br />

aber sollte es bald gar keinen Platz<br />

mehr <strong>für</strong> die Menschen geben, die sich<br />

ohnehin schon am Rande der Gesell-<br />

schaft bewegten; schließlich nicht einmal<br />

ein Existenzrecht.<br />

Inwieweit die augenblickliche Gesellschafts-<br />

<strong>und</strong> Ausgrenzungsdynamik, die mit<br />

den „Zwängen“ der Globalisierung einhergeht,<br />

längerfristig anhält <strong>und</strong> wie weitgehend<br />

sie den Reformspielraum <strong>für</strong> soziale<br />

Kompensation einschränkt, ist noch nicht<br />

absehbar.<br />

Wendepunkte in der Armen<strong>und</strong><br />

Sozialpolitik<br />

Mit „Wendepunkten“ meine ich gr<strong>und</strong>legende<br />

Zäsuren, wie sie sich bei einem historischen<br />

Rückblick im Nachhinein darstellen.<br />

An ihnen entlang lässt sich noch einmal<br />

- sozusagen im Zeitraffer - der soziale<br />

Prozess nachvollziehen, an dessen vorläufigem<br />

Endpunkt die heutige Praxis der Sozialpolitik<br />

steht, die, eingebettet in den<br />

geschichtlichen Kontext, um so deutlicher<br />

als sozial gemacht <strong>und</strong> damit als veränderbar<br />

erscheint; wenngleich sich die aktuelle<br />

Sozialpolitik sicherlich nicht in beliebiger<br />

Weise den Impulsen, die sich aus<br />

dem historisch verankerten Zugzwang ergeben,<br />

entgegenstemmen kann.<br />

Gerade in Zeiten epochaler Zuspitzung<br />

von Ausgrenzungsprozessen sah sich das<br />

Hilfe- <strong>und</strong> Kontrollsystem einem wachsenden<br />

Problemdruck ausgesetzt, der, wenn<br />

das gegebene Hilferepertoire ausgereizt<br />

schien, zunächst einen sich verschärfenden<br />

Disziplinierungsanspruch provozierte<br />

<strong>und</strong> schließlich - was sich meist allerdings<br />

erst mit einer neuen politischen Gr<strong>und</strong>richtung<br />

ergab - zu tief greifenden Reformen,<br />

zu jeweils neuen Modi der gesellschaftlichen<br />

Integration führte. Aber auch sie<br />

konnten, bislang jedenfalls, nicht verhindern,<br />

dass sich die Ausgrenzungsdynamik,<br />

<strong>iso</strong>-Mitteilungen Nr. 3/August 2004 11

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