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iso-NEWS - Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft eV

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Manfred Geiger: Ausgrenzung <strong>und</strong> Integration – historische Wendepunkte in der Sozialpolitik<br />

___________________________________________________________________________________________<br />

Die soziale Frage war mittlerweile selbst<br />

<strong>für</strong> Bismarck zu einem Problem von nationaler<br />

Bedeutung geworden. Der Reichsgründung<br />

durch „Blut <strong>und</strong> Eisen“ sollte eine<br />

„innere Reichsgründung“ folgen; mithin<br />

eine Politik der sozialen Reformen, die zur<br />

Integration eines sich immer mehr differenzierenden<br />

Volkes führt (vgl. Pankoke/Sachße<br />

1992: 154). Nur dann, davon war Bismarck<br />

überzeugt, könnte das Reich alle<br />

Ressourcen einer aufstrebenden Industrienation<br />

mobilisieren <strong>und</strong> sich im Konzert der<br />

sich formierenden Großmächte behaupten.<br />

Zentrale Elemente der Bismarckschen<br />

Reformpolitik - sie markiert erneut eine<br />

Wende - sind der Ausbau eines kollektiven<br />

Arbeitsrechts, die Einführung der Sozialversicherung,<br />

später, vor allem in den Zeiten<br />

der Weimarer Republik dann die Weiterentwicklung<br />

der Fürsorge bis zu einer<br />

kommunalen Daseinsvorsorge <strong>und</strong> Wohlfahrtspflege,<br />

die über die Unterschichten<br />

hinaus breiten Kreisen der Bevölkerung<br />

zukam. Damit waren die Gr<strong>und</strong>strukturen<br />

des heutigen Wohlfahrtstaates geschaffen.<br />

Die Krise <strong>und</strong> die Problematisierung<br />

der „Ballastexistenzen“<br />

Diese Entwicklung verlief nicht gradlinig.<br />

Der neuralgische Punkt <strong>für</strong> die Aufrechterhaltung<br />

der Wohlfahrtskonzeption war der<br />

Arbeitsmarkt. Das musste man vor allem<br />

am Ende der Weimarer Republik erfahren.<br />

Als buchstäblich immer mehr Menschen<br />

auf der Straße standen, gerieten auch die<br />

Gr<strong>und</strong>pfeiler des Wohlfahrtsstaates ins<br />

Wanken: Die auf Ausgleich zwischen Arbeit<br />

<strong>und</strong> Kapital angelegte Betriebs- <strong>und</strong> Arbeiterschutzpolitik,<br />

die lohnarbeitszentrierte<br />

Sozialversicherungspolitik, die steuerfinanzierte<br />

Fürsorgepolitik.<br />

16<br />

<strong>iso</strong>-Mitteilungen Nr. 3/August 2004<br />

Die vielen Spannungen, die das System<br />

der Wohlfahrtspflege unter dem Eindruck<br />

schwindender Ressourcen, die auf immer<br />

mehr Hilfebedürftige zu verteilen waren,<br />

auszuhalten hatte <strong>und</strong> letztlich doch nicht<br />

verkraften konnte, entluden sich in einer<br />

schärfer werdenden Kritik am Umgang mit<br />

den so genannten „Ballastexistenzen“, wie<br />

nun die Menschen, mit denen sich das<br />

Hilfesystem besonders schwer tat, genannt<br />

wurden (vgl. Ayaß 1995:13). Gemeint waren<br />

Hilfebedürftige, die, weil offenbar ohne<br />

Aussicht auf eine Erfolg versprechende<br />

Besserung, der Gesellschaft <strong>und</strong> sich selbst,<br />

vor allem aber den sie betreuenden Einrichtungen,<br />

eigentlich nur noch zur Last<br />

fielen. Ihnen, so wurde moniert, würde<br />

aufwendige Hilfe zuteil, obwohl sie diese,<br />

wie etwa „Arbeitsscheue“ <strong>und</strong> „Asoziale“<br />

gar nicht verdient hätten. Oder: Eine erzieherische<br />

Beeinflussung <strong>und</strong> Besserung, wie<br />

sie mit der Unterstützung einhergehen sollte,<br />

wäre schon auf Gr<strong>und</strong> einer geistigen<br />

oder seelischen Behinderung, einer sittlichen<br />

Verwahrlosung von vorneherein aussichtslos.<br />

Dann aber, so die fatale Schlussfolgerung,<br />

könne man sich auch den Hilfeaufwand<br />

sparen oder auf ein Minimum<br />

beschränken bzw. sich ganz auf einen<br />

besänftigenden Umgang mit dieser als<br />

schwierig empf<strong>und</strong>enen Klientel konzentrieren.<br />

Da<strong>für</strong> stand der Terminus technicus<br />

„Bewahrungs<strong>für</strong>sorge“.<br />

Mit den rassistischen Untertönen, die, als<br />

die Ohnmacht des ausgezehrten Wohlfahrtsstaates<br />

offensichtlicher wurde, auch<br />

in der breiten Öffentlichkeit immer mehr<br />

Resonanz fanden, gewann die Problematisierung<br />

der so genannten „Ballastexistenzen“<br />

zusätzlich an Schärfe. Hier müsse, so<br />

wurde es schon am Ende der Weimarer<br />

Republik unverblümt propagiert - <strong>und</strong> zwar

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