iso-NEWS - Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft eV
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Manfred Geiger: Ausgrenzung <strong>und</strong> Integration – historische Wendepunkte in der Sozialpolitik<br />
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den. Mit ihnen kehrt ein altes Phänomen<br />
auf neue Weise wieder. Neu ist sicherlich<br />
nicht, dass es derartige Gruppen überhaupt<br />
gibt, sondern das ungute Gefühl,<br />
dass es sich hier um eine „Querkategorie<br />
von Freigesetzten <strong>und</strong> Aussortierten“ (Bude<br />
1998: 365) handelt, die sich aus vielfältigen,<br />
<strong>für</strong> die kapitalistische Gesellschaft offenbar<br />
typischen <strong>und</strong> sich verschärfenden Risikolagen<br />
speist, <strong>und</strong> die längst nicht mehr auf<br />
einen traditionellen Bodensatz der unteren<br />
Schicht begrenzt ist. Die Auswirkungen<br />
dieser Entwicklung werden sich vor allem in<br />
den Städten, in den so genannten sozialen<br />
Brennpunkten, aber auch im öffentlichen<br />
Raum bemerkbar machen. Je klarer man<br />
sie zu Kenntnis nimmt - <strong>und</strong> hierbei hilft<br />
nicht zuletzt das Sensorium einer Sozialberichterstattung<br />
- desto realistischer wird<br />
man sich mit ihnen auseinander setzen<br />
können!<br />
Das „kleine“ <strong>und</strong> das „große<br />
Projekt der Integration“<br />
Stellt sich abschließend die Frage, wie man<br />
in einer vom Turbokapitalismus fragmentierten<br />
Gesellschaft der Ausgrenzungsdynamik,<br />
die mit der Konkurrenzfiguration<br />
einer globalisierten Wirtschaft ja wohl noch<br />
weiter an Fahrt gewinnt, gegensteuern<br />
könnte. Dazu ist zweckmäßiger Weise zwischen<br />
einem „kleinen Projekt der Integration“<br />
<strong>und</strong> einem „großen Projekt der Integration“<br />
zu unterscheiden. Das „kleine Projekt<br />
der Integration“ bezieht sich auf Bemühungen,<br />
die unmittelbar der Eingliederung<br />
von tendenziell Ausgegrenzten dienen.<br />
Bei dem „großen Projekt der Integration“<br />
hingegen stellt sich die Frage, wie<br />
Ausgrenzungsprozesse, die eng mit der<br />
gr<strong>und</strong>legenden Gesellschaftsdynamik zu-<br />
sammenhängen, gebremst <strong>und</strong> möglichst<br />
schon im Vorfeld eskalierender Zuspitzung<br />
aufgefangen werden können; wie die<br />
Kohäsionskräfte der Gesellschaft insgesamt<br />
gestärkt <strong>und</strong> die Integrationsperspektiven<br />
erweitert werden können.<br />
Während das „kleine Projekt der Integration“<br />
auf die Eingliederung in ein weitgehend<br />
vorgegebenes Positionsgefüge<br />
aus ist, beziehungsweise sich auf diesen<br />
Handlungsrahmen zu konzentrieren hat,<br />
geht es bei dem „großen Projekt der Integration“<br />
um eine Veränderung <strong>und</strong> Erweiterung<br />
des Positionsgefüges selbst. Das „kleine<br />
Projekt der Integration“ folgt der „Logik<br />
positiver Diskriminierung“ (Castel 2000a:<br />
364); eben um strukturell vorgegebene<br />
Chancennachteile vielleicht doch noch<br />
kompensieren zu können. Das „große Projekt<br />
der Integration“ hingegen operiert mit<br />
allgemeinen, zurzeit noch vor allem im<br />
nationalstaatlichen Rahmen ansetzenden<br />
Direktiven, die auf einen Abbau von ungleichen<br />
Chancen hinauslaufen. Mithin<br />
steht hier das Verhältnis von ökonomischer<br />
Logik, sozialer Teilhabe <strong>und</strong> sozialem Zusammenhalt<br />
in gr<strong>und</strong>sätzlicher Hinsicht zur<br />
Disposition (vgl. Castel 2000b: 15).<br />
Das „kleine Projekt der Integration“ ist<br />
ein zentrales Feld der kommunalen Sozial-,<br />
Arbeitsmarkt-, Sozialarbeits- <strong>und</strong> Wohnungspolitik.<br />
Auf die gr<strong>und</strong>legende, vom<br />
Zentrum der Gesellschaft ausgehende<br />
Ausgrenzungsdynamik, die auch die Perspektiven<br />
einer potentiellen Reintegration<br />
verengt, hat ein auf den unteren Rand<br />
konzentriertes Hilfesystem naturgemäß<br />
kaum Einfluss. Neue, weitergreifende Ansatzpunkte<br />
ergeben sich <strong>für</strong> das Projekt der<br />
Integration wohl nur, wenn auch die vom<br />
Zentrum der Gesellschaft ausgehende<br />
Exklusionsdynamik, die hier wirksamen be-<br />
<strong>iso</strong>-Mitteilungen Nr. 3/August 2004 19