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SPRACHE BILDUNG INTEGRATION - Vorarlberg Online

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1.2.3<br />

Rolle der Muttersprache (oder Erstsprache) 1<br />

Passiert der Erwerb der Muttersprache unter normalen Umständen<br />

völlig automatisch, wirkt sich diese doch prägend in ihrer<br />

Lautgestaltung und grammatikalischen Struktur so tief in das<br />

Bewusstsein des Kindes ein, dass im Allgemeinen etwa ab der<br />

Pubertät keine andere Sprache mehr diesen Platz einnehmen<br />

kann.<br />

Durch die Muttersprache erwirbt das Kind wichtige soziale,<br />

kommunikative, kognitive und emotionale Fähigkeiten. Mit Hilfe<br />

der Sprache entdeckt das Kind seine Welt. Über die<br />

Muttersprache ist das Kind aber auch mit seinen Eltern,<br />

Geschwistern und Verwandten verbunden und damit mit den<br />

Menschen, denen es am nächsten steht. Noch bevor das Kind<br />

selbst sprechen kann, hört es die Muttersprache, die ihm die<br />

Erfahrung von Zuwendung und Angenommensein ermöglicht<br />

und über die seine Beziehungen gestaltet werden. Gerade weil<br />

die Muttersprache eine so zentrale Rolle beim Heranwachsen des<br />

Kindes spielt, besteht auch ein enger Zusammenhang mit der<br />

Entwicklung seiner Identität. Das Selbstbild des Kindes<br />

bestimmt sich wesentlich über die Muttersprache. Zusammen mit<br />

dem Erwerb der Muttersprache erlernt das Kind außerdem<br />

Mimik, Gestik, Sprechrhythmus, Intonation und Körperbewegung.<br />

Und schließlich wird dem Kind durch die Muttersprache<br />

gesellschaftliches Wissen vermittelt. (Man begrüßt und verabschiedet<br />

sich, sagt “bitte” und “danke” etc.) Durch das Zusammenwirken<br />

all dieser Aspekte wird die Muttersprache für das<br />

Kind zu einem Stück Heimat. Sie gibt ihm Sicherheit und<br />

Orientierung. Festzuhalten bleibt also: Die Muttersprache ist von<br />

zentraler Bedeutung, weil das heranwachsende Kind durch sie<br />

alles Notwendige erlernt, um sich in dieser Welt zurechtzufinden.<br />

Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Sprachentwicklung<br />

in der Muttersprache und dem Erlernen einer Zweitsprache.<br />

In dem Bild des Sprachbaumes von Wendtlandt gesprochen,<br />

bedeutet es, dass die Wurzeln und der Stamm stark ausgeprägt<br />

sind und sich deshalb eine zweite Baumkrone entwickeln kann.<br />

In Bezug auf das Erlernen einer Zweitsprache ist ein besonderer<br />

Aspekt zu beachten: die „Interdependenz-Hypothese“ besagt,<br />

dass eine gute muttersprachliche Kompetenz förderlich für den<br />

Erwerb einer Zweitsprache ist. Bei Kindern, deren muttersprachliche<br />

Fähigkeiten weniger gut entwickelt sind, kann ein intensives<br />

Angebot in der Zweitsprache in den ersten Schuljahren zu<br />

einer Störung der Entwicklung der Muttersprache und in deren<br />

Folge auch der Zweitsprache führen. Laut Fthenakis besteht die<br />

Abhängigkeit der Zweitsprache von der Muttersprache nicht in<br />

der allgemeinen Kommunikationsfähigkeit (gängiger Wortschatz,<br />

einfache Grammatik, Aussprache), sondern im Hinblick<br />

auf die so genannte kognitv-akademische Sprachfähigkeit. Diese<br />

kognitiv-akademische Sprachfähigkeit ist nicht nur akademisch<br />

gebildeten Menschen vorbehalten. Sie bedeutet, dass die<br />

Fähigkeit entwickelt ist, Sprache als Denkinstrument zu benützen.<br />

Das Erlernen der Muttersprache prägt ein inneres Vorwissen<br />

in Bezug auf Sprache. Dieses Vorwissen scheint laut Fthenakis<br />

eine Art „vorsprachliche Denkbasis“ darzustellen, die dann für<br />

1 auszugsweise aus der Diplomarbeit “Bestandsaufnahme der aktuellen Situation<br />

von Volksschulkindern mit nichtdeutscher Muttersprache im Bundesland<br />

<strong>Vorarlberg</strong>” von Nathalie Pallavicine, 2004<br />

-<br />

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-<br />

20<br />

die Zweitsprache zur Verfügung. Bei schlechter muttersprachlicher<br />

Kompetenz ist sie unterentwickelt. Wenn aber die<br />

Muttersprache gut entwickelt ist, lässt sich auf diesem Vorwissen<br />

eine Zweit- oder Drittsprache besser aufbauen.<br />

Es ist also festzuhalten, dass gute Kenntnisse in der Muttersprache<br />

das Lernen einer Zweitsprache erleichtern. Eine positive<br />

Einstellung gegenüber der Muttersprache des Kindes wirkt sich<br />

gut auf dessen Entwicklung und auf dessen Selbstwertgefühl aus.<br />

Die Förderung beider Sprachen wirkt sich somit auch direkt auf<br />

den Erfolg in der Schule aus. Dieser Umstand stellt eine<br />

Verpflichtung dar, Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache<br />

neben dem frühen Zugang zur deutschen Sprache auch die kontinuierliche<br />

Entwicklung ihrer Muttersprache zu ermöglichen.<br />

1.2.4<br />

Erlernen einer Zweitsprache 2<br />

Das Erlernen einer Zweitsprache kann unter sehr verschiedenen<br />

Voraussetzungen geschehen, die den jeweiligen Verlauf stark<br />

beeinflussen können.<br />

Solche verschiedenen Formen können zum Beispiel sein:<br />

Eltern mit verschiedenen Muttersprachen sprechen jeweils ihre<br />

Sprache mit dem Kind, die Elternpartner verstehen die Sprache<br />

des anderen (Vater und Mutter verkörpern jeweils ihre<br />

Muttersprache à das Kind wächst zweisprachig auf)<br />

ein Elternteil ist mit der deutschen Muttersprache aufgewachsen,<br />

ein Elternteil mit einer nichtdeutschen Muttersprache und versteht<br />

Deutsch nicht. Die gemeinsame Familiensprache ist die<br />

nichtdeutsche Sprache.<br />

beide Eltern sind mit der gleichen nichtdeutschen Muttersprache<br />

aufgewachsen und sprechen diese auch zuhause mit den Kindern<br />

beide Eltern sind mit der gleichen nichtdeutschen Muttersprache<br />

aufgewachsen, mindestens ein Elternteil kann Deutsch. Es werden<br />

beide Sprachen mit dem Kind gesprochen<br />

es besteht die Möglichkeit zwischen Sprachen hin- und her zu<br />

wechseln und beide Elternteile verstehen diese gleich gut.<br />

Für dieses Gesamtkonzept ist speziell die Gruppe besonders von<br />

Interesse, bei der beide Elternteile eine gemeinsame nichtdeutsche<br />

Muttersprache haben und diese zuhause mit den Kindern<br />

sprechen. Das heißt, man kann davon ausgehen, dass diese<br />

Kinder nicht zweisprachig aufwachsen (keine zwei gleichberechtigten<br />

Sprachen in ihrer Familie erleben und erlernen). Dadurch<br />

entsteht die klassische Situation, die ein Zweitspracherwerb notwendig<br />

macht.<br />

<strong>SPRACHE</strong><br />

<strong>BILDUNG</strong><br />

<strong>INTEGRATION</strong><br />

2 nach Heuchert 1994, zitiert in Böhm & Böhm 1999 S 167

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