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HfG Karlsruhe Jahresbericht Staatliche Hochschule für Gestaltung ...

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KW MT<br />

AR MT<br />

88 89<br />

Vertretungsprofessorin /<br />

Professor ad interim<br />

Dr. Julia Gelshorn<br />

Die beiden Semester meiner Vertretung von Beat Wyss waren <strong>für</strong> mich Anlass, den Studie-<br />

renden, ausgehend von meiner eigenen Forschung, zwei sehr unterschiedliche Gebiete der<br />

Kunstwissenschaft näher zu bringen und gemeinsam aktuelle Fragestellungen weiter zu ent-<br />

wickeln. Ein erster Schwerpunkt lag auf kulturgeschichtlichen Ansätzen zum europäischen<br />

18. Jahrhundert: Einerseits haben wir uns im Seminar »Gefährliche Liebschaften – Geschlech-<br />

terbeziehungen in der französischen Genremalerei« einer lange unterbewerteten Gattung der<br />

Malerei gewidmet, um ausgehend von soziologisch und literaturwissenschaftlich untersuch-<br />

ten Liebeskonzepten die Gemälde als Konstruktionen geschlechtlicher und sozialer Identitä-<br />

ten zu diskutieren. Den hierbei gewonnenen Einblick in höfische und bürgerliche Gesell-<br />

schaftsstrukturen, Umgangsformen und Modi der Selbstdarstellung konnten wir in einer be-<br />

gleitenden Exkursion nach Paris vertiefen, die sich der Frage nach der Bedeutung einer sich<br />

gegenüber der Öffentlichkeit des Staates herausbildenden Privatsphäre widmete. Die Exkur-<br />

sion hat dabei das Experiment unternommen, verschiedene erhaltene Zeugnisse einer Kon-<br />

struktion von Intimität wie Privathäuser, Rückzugsorte und Interieurs, private Sammlungen<br />

sowie die malerische Darstellung von Familien und Privatpersonen auf ihre repräsentative<br />

und identitätsbildende Funktion im sozialen und politischen Gefüge zwischen Hof und Stadt<br />

zu befragen. Dabei ist es unerwartet gut gelungen, die Betrachtung der Objekte vor Ort mit<br />

einer theoretischen Diskussion zu verbinden, so dass wir die Stadt Paris aus einem anderen<br />

Blickwinkel als dem üblichen touristischen wahrnehmen konnten. Die Beschäftigung mit so-<br />

zialen Identitäten und Kulturtechniken des 18. Jahrhunderts wurde im darauffolgenden Se-<br />

mester in der Vorlesung »Vom Automaten zur reizbaren Maschine – Körperbilder im 18. Jahr-<br />

hundert« fortgesetzt. Um einen möglichst breiten Überblick über künstlerische, philosophi-<br />

sche, naturwissenschaftliche, medizinische und soziologische Körperbilder liefern zu kön-<br />

nen, wurde die Veranstaltung als Vorlesung angelegt, wobei einzelne Aspekte dann in<br />

gemeinsamen Bildanalysen, Textlektüren oder Diskussionen vertieft werden konnten.<br />

Der zweite Schwerpunkt der Lehre war der Kunst der Neoavantgarden und zwei aktuellen<br />

Tendenzen in der Betrachtung von Kunst gewidmet: einerseits der Debatte über künstlerische<br />

Forschung, die derzeit besonders im hochschulpolitischen Rahmen geführt wird, andererseits<br />

dem verstärkten Interesse der jüngeren geisteswissenschaftlichen Forschung an Medien,<br />

Materialien und Kulturtechniken. Eine Tendenz wurde im Seminar »Reisen, Forschen,<br />

Schreiben: Künstlerinnen und Künstler als Ethnografen« aufgegriffen, in dem wir die künstlerische<br />

Erforschung von topografischen, historischen oder diskursiven »Sites« unter dem<br />

Stichwort der Ethnografie diskutiert und überprüft haben, inwiefern Künstlerinnen und<br />

Künstler wie Allan Sekula, Ursula Biemann, Fred Wilson oder Renée Green tatsächlich wissenschaftliche<br />

Methoden der Recherche und Dokumentation aufgreifen oder vielmehr fiktional<br />

unterlaufen.<br />

Kunstwissenschaft und Medientheorie /<br />

Art Research and Media Theory<br />

Nicht zuletzt haben auch Erfahrungen aus diesem Seminar dazu geführt, im folgenden Semester<br />

die andere Tendenz aufzugreifen und dabei den Fokus auf eine grundlegende Frage kunstwissenschaftlichen<br />

und künstlerischen Arbeitens zu legen: Wie erzeugen Objekte überhaupt<br />

Bedeutung? Ausgehend von der Einführung des Readymade durch Marcel Duchamp und der<br />

radikalen Negation von Bedeutung in der Minimal Art ist das Seminar »Taktile Objekte – Zur<br />

Semantisierung von Form und Material in der postminimalistischen Kunst« den unterschiedlichen<br />

Bedeutungsschichten von Objekten nachgegangen. Dabei wurden Arbeiten von Künstlerinnen<br />

und Künstlern wie Eva Hesse, Robert Morris, Rachel Whiteread oder Mona Hatoum<br />

in den Vordergrund gestellt, die im Sinne von Georges Batailles als formlos verstanden werden<br />

können und dabei standardisierte, ideologische oder materialistische Lesarten von Form<br />

und Material gerade zur Disposition stellen.<br />

Während in den Seminaren und Vorlesungen vor allem etablierte künstlerische Positionen<br />

diskutiert wurden, galt eine gemeinsam mit Wolfgang Ullrich durchgeführte Exkursion an<br />

die Art Basel und ihre Nebenmessen der Frage, wie sich angesichts der viel zitierten Wirtschaftskrise<br />

die etablierten und weniger etablierten Positionen auf dem Markt behaupten.<br />

Die vor Ort diskutierten Eindrücke zu Präsentationsformen, Verkaufsstrategien oder aktuellen<br />

künstlerischen Tendenzen wurden abschließend in einem Blockseminar mit entsprechendem<br />

Dokumentationsmaterial aufgearbeitet. Ein Ergebnis war dabei die Feststellung, dass die<br />

präsentierte Kunst nicht nur einen messetauglichen Kunstgeschmack befriedigte, sondern<br />

dass derzeit der Geschmack auch als produktionsästhetische Instanz an Bedeutung gewonnen<br />

zu haben scheint.<br />

My two semesters standing in for Beat Wyss gave me the opportunity to familiarize the stu-<br />

dents with two very different areas of Art Research and to jointly develop current issues<br />

based on my own research. A first focus was on cultural-historical approaches to the 18th cen-<br />

tury in Europe. In the seminar, “Dangerous Liasons – Gender Relations in French Genre Paint-<br />

ing,” we examined a long-underestimated genre of painting, using both sociological and liter-<br />

ary concepts of love in order to discuss the paintings as constructions of gender and social<br />

identities. The subsequent insight we gained into the social structures, manners, and modi of<br />

self-presentation at court and among the middle-class was deepened during an excursion to<br />

Paris, which was dedicated to the issue of the developing significance of the private sphere in<br />

contrast to the public nature of the state. The excursion thus undertook the examination of<br />

various preserved testimonies to constructions of intimacy, like “private homes,” places of re-<br />

treat and interiors, and “private” collections, as well as the representation of families and “pri-<br />

vate persons” in paintings, with regard to their representative and identity-forming function<br />

in the social and political structures of the court and the city. Our success in combining the<br />

observation of the objects on site with a theoretical discussion exceeded all our expectations,<br />

so that we were able to perceive Paris from a different angle than tourists usually do. We continued<br />

our analysis of social identities and cultural techniques in the 18th century throughout<br />

the next semester in our lecture, “From Automaton to Irritable Machine – Images of the Body<br />

in the 18th Century.” In order to give a broad overview of artistic, philosophical, scientific, medical,<br />

and sociological body images, this class was held in form of a lecture. Individual aspects<br />

were further explored in group activities like image analyses, textual studies, or discussions.<br />

KW MT<br />

AR MT<br />

Publikationen /<br />

Publications<br />

Taktilität – Sinneserfahrung<br />

als Grenzerfahrung,<br />

2008, Nr.<br />

12/13 des Magazins 31<br />

des Instituts <strong>für</strong> Theorie /<br />

Institute for Theory,<br />

Züricher <strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong><br />

Künste, Zurich University<br />

of the Arts, hrsg. von /<br />

eds. Julia Gelshorn, Jörg<br />

Huber und Stefan Neuner.<br />

Creation, Recreation,<br />

Procreation:<br />

Matthew Barney,<br />

Martin Kippenberger,<br />

Jason Rhoades,<br />

Paul McCarthy, in:<br />

The Fall of the Studio,<br />

hrsg. von / eds.<br />

Wouter Davids und Kim<br />

Paice, Amsterdam:<br />

Valiz, 2009, S. 141–161.<br />

Das Netzwerk. Zu einem<br />

Denkbild in Kunst und<br />

Wissenschaft (zus. mit /<br />

with Tristan Weddigen),<br />

in: Grammatik der Kunstgeschichte.Sprachproblem<br />

und Regelwerk<br />

im »Bild-Diskurs«. Oskar<br />

Bätschmann zum 65.<br />

Geburtstag, hrsg. von /<br />

eds. Hubert Locher und<br />

Peter Schneemann,<br />

Emsdetten/Berlin: Edition<br />

Imorde, 2008, S. 54–78.<br />

Erziehung des Auges<br />

– Erziehung des<br />

Körpers. Die geschwungene<br />

Linie als visuelle<br />

Ausdrucksform sozialer<br />

Normierung, in: Kulturen<br />

des Wissens im 18.<br />

Jahrhundert, hrsg. von /<br />

eds. Ulrich Johannes<br />

Schneider, Berlin/New<br />

York: De Gruyter, 2008,<br />

S. 498–498.<br />

Der Produzent als Autor.<br />

Künstlerische Theorie<br />

als kunsthistorische<br />

Herausforderung, in:<br />

Kunstgeschichte und<br />

Gegenwartskunst. Vom<br />

Nutzen und Nachteil der<br />

Zeitgenossenschaft, hrsg.<br />

von / eds. Verena Krieger,<br />

Köln / Weimar / Wien:<br />

Böhlau, 2008, S.193–211.

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