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HfG Karlsruhe Jahresbericht Staatliche Hochschule für Gestaltung ...

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KW MT<br />

AR MT<br />

98 99<br />

Prof. Dr. Boris Groys Aus dem Englischen von<br />

Katharina Voget und<br />

Die Menschheit als Kunstgemeinschaft<br />

Barbara Kuon / German<br />

Translation by Katharina<br />

Mit dem Ende des 20. und dem Beginn des 21. Jahrhunderts brach <strong>für</strong> die Kunst ein neues<br />

Voget and Barbara Kuon<br />

Zeitalter an: das der künstlerischen Massenproduktion. Neu deswegen, weil das vorige Zeit-<br />

alter der Moderne geprägt war von einem Massenkonsum von Kunst. Folglich wurde es von<br />

vielen einflussreichen Theoretikern auch entsprechend bezeichnet: Das Zeitalter des Kitsch<br />

(Greenberg), der »Kulturindustrie« (Adorno) oder des Spektakels (Debord). Kunst wurde <strong>für</strong><br />

die Massen gemacht – sie wollte die Massen verführen und von ihnen konsumiert werden.<br />

Die Popkultur des 20. Jahrhunderts wurde allerdings von der Elite bestimmt – und nicht von<br />

den Massen. Jetzt ist die Situation anders. Zwei Hauptentwicklungen haben zu dieser Veränderung<br />

geführt. Zum einen sind neue technische Möglichkeiten der Bildproduktion aufgekommen.<br />

Zum anderen hat es einen Wandel im Kunstverständnis gegeben, eine Änderung<br />

der Regeln, mit Hilfe derer bestimmt wird, was als Kunst gilt und was nicht.<br />

Beginnen wir zunächst mit letzterer Entwicklung. Heute sehen wir ein Kunstwerk nicht mehr<br />

vor allem als ein Objekt, das in Handarbeit von einem einzelnen Künstler geschaffen wurde,<br />

sondern als Resultat einer Auswahl, Platzierung, Verschiebung, Umwandlung oder Kombination<br />

bereits bestehender Bilder und Objekte. Und hunderte Millionen von Menschen überall<br />

auf der Welt machen in ihrem täglichen Leben genau das. Natürlich tendieren wir selbst<br />

nach dem Diskurs über den Tod des Autors und die Dekonstruktion der Subjektivität und Intentionalität<br />

dazu zu glauben, dass all diese Vorgänge nur dann als Kunstproduktion interpretiert<br />

werden können, wenn sie ursprünglich auch als Kunstprojekt deklariert, d.h. mit ästhetischer<br />

Absicht vollzogen wurden. Außerdem neigen wir auch dazu anzunehmen, dass die<br />

Massen keine solche Absicht haben und ästhetische Effekte irgendwie »unbewusst« schaffen.<br />

Die breite Masse von heute ist mittlerweile allerdings sehr gut informiert über die hoch entwickelte<br />

Kunstproduktion – dank der Biennalen, der Documentas und der Berichte über sie<br />

in den Medien – und, ja, sie schaffen ihre Kunst doch mit Absicht. Moderne Mittel der Kommunikation<br />

und Netzwerke wie Facebook, MySpace, YouTube, Second Life und Twitter geben<br />

den Menschen weltweit die Möglichkeit, ihre Fotos, Videos und Texte so zu posten und zu arrangieren,<br />

dass man keinen Unterschied zu anderen post-konzeptualistischen Kunstwerken<br />

mehr feststellen kann. Design bietet zudem genau diesen Menschen heute die Möglichkeit,<br />

ihre Wohnung oder ihren Arbeitsplatz als künstlerische Installation zu formen und zu erfahren.<br />

Damit ist zeitgenössische Kunst zu einer kulturellen Massenpraktik geworden. Das wirft<br />

die folgende Frage auf: Wie kann ein Künstler in der heutigen Zeit diesen Populärerfolg zeitgenössischer<br />

Kunst überleben? Oder: Wie kann ein Künstler in einer Welt überleben, in der<br />

letztendlich jeder ein Künstler ist?<br />

Unter dem Druck dieser Frage blicken wir nostalgisch zurück in die Moderne. Zu einer Zeit,<br />

in der die zynische politische und wirtschaftliche Elite die Welt mit Pseudo-Kunst überschüttete,<br />

um die breite Masse zu politischem Gehorsam und/oder zum Konsumrausch zu verführen,<br />

konnte ein Künstler stolz darauf sein, Kunstwerke zu schaffen, die allein durch ihre<br />

Form signalisierten, dass man gegen die dominante Kulturästhetik der Massen Widerstand<br />

leistete oder ironisch mit ihr spielte oder sich zumindest von ihr distanzierte. Die moderne<br />

Philosophie und Ästhetik / Philosophy and Aesthetics<br />

Kunst war elitär, aber sie war nicht anti-demokratisch. Die Moderne war eine Arena, in der<br />

sich der Kampf zweier Eliten abspielte – beide suchten die Unterstützung der schweigenden<br />

demokratischen Mehrheit, beide gaben vor, demokratischer zu sein als die andere. Heute leben<br />

wir jedoch nicht unter Massen von Zuschauern, sondern unter Massen von Künstlern.<br />

Die Ablehnung der vorherrschenden Ästhetik ist zu einer undemokratischen Geste geworden,<br />

ja sogar zu einer faktisch unmöglichen Geste. Erstens: Lehnt man die dominante Ästhetik<br />

von Facebook und YouTube ab, weist man damit nicht Kunst zurück, die <strong>für</strong> die Massen<br />

gemacht ist, sondern Kunst, die von den Massen geschaffen wird. Zweitens: Die Ästhetik dieser<br />

massengefertigten Kunst entspricht genau der fortschrittlichsten, post-konzeptualistischen<br />

Ästhetik zeitgenössischer Kunst. Es ergibt also keinen Sinn, mit der Suche nach neuen<br />

Formen zu beginnen, die denen der zeitgenössischen demokratischen Popkultur entgegen<br />

stehen könnten. Es ergibt auch keinen Sinn, nach Strategien politischen oder ethischen Engagements<br />

zu suchen, da die Internetkultur von heute mittlerweile über genügend Webseiten<br />

zur Platzierung dieser Strategien verfügt. Diese zwei klassischen Strategien der Moderne<br />

scheinen heutzutage ineffizient. Aber noch einmal: Bedeutet dies, dass ein Künstler heute<br />

den Massenerfolg zeitgenössischer Kunst nicht überleben kann? Die Tatsache, dass mittlerweile<br />

jeder ein Künstler ist, birgt allerdings nicht nur Risiken, sondern bringt auch Chancen<br />

<strong>für</strong> die Position des Künstlers in der Gesellschaft mit sich. Heute teilen Künstler auf der Ebene<br />

des täglichen Lebens die künstlerische Aktivität mit ihrem Publikum. Der Künstler teilt<br />

die Kunst mit dem Publikum so, wie er früher die Religion oder die politische Haltung mit<br />

ihm teilte. Das Künstlerdasein ist kein exklusives Schicksal mehr. Stattdessen ist es auf intimster,<br />

alltäglicher Ebene repräsentativ <strong>für</strong> die gesamte Gesellschaft geworden. Aber auch<br />

hier bietet sich dem Künstler die Chance, einen universalistischen Anspruch zu erheben –<br />

im Versuch, die inneren Strukturen des täglichen Lebens in der heutigen Zeit offen zu legen,<br />

selbst wenn dies einen Einblick in die Duplizität und Zwiespältigkeit der alltäglichen Existenz<br />

des Künstlers ergibt.<br />

Mankind as an Art Community<br />

At the end of the 20th and the beginning of the 21st centuries, art entered a new era – namely,<br />

an era of mass artistic production. This era is new because the previous, Modern age was<br />

an era of mass consumption of art. And it was described as such by many influential theoreticians:<br />

as an era of kitsch (Greenberg), of “cultural industry” (Adorno) or as a society of spectacle<br />

(Debord). This was the era of art that was made for the masses – art that wanted to seduce<br />

the masses, to be consumed by the masses. But the popular culture of the 20th century<br />

was produced by the elite – not by the masses themselves. Now, the situation has changed.<br />

There are primarily two developments that lead to this change. One of them is the emergence<br />

of the new technical means of image production and distribution, and the other one is a shift<br />

in our understanding of art, a change of the rules that are used for the identification of what<br />

is art and what is not art.<br />

Let us begin with the second development. Today, we do not identify a work of art primarily<br />

as an object produced through manual work by an individual artist. Rather, a work of art is<br />

seen as an effect of choosing, placing, shifting, transforming and combining pre-existing images<br />

and objects. And it is, of course, precisely what hundreds of millions of people around<br />

KW MT<br />

AR MT

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