1. Einleitung - Fachhochschule Potsdam
1. Einleitung - Fachhochschule Potsdam
1. Einleitung - Fachhochschule Potsdam
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
8<br />
Rechte vom religiösen Bekenntnis. Doch nach der militärischen Niederschlagung der<br />
Revolution wurden sowohl die Grundrechte als auch die gesamte Verfassung der<br />
Deutschen Nationalversammlung annulliert. Erst das Gesetz des Norddeutschen<br />
Bundes (1869), das 1871 in die Verfassung des Deutschen Reiches aufgenommen<br />
wurde, bestimmte, „daß die Konfession kein Hindernis zur Bekleidung öffentlicher<br />
Ämter bilden dürfe.“ 6<br />
Die Akzeptanz und Integration der jüdischen Bürger im Vereinsleben der erwähnten<br />
Kleinstädte vor und nach der Reichsgründung kann insofern erklärt werden, als sie<br />
sich hinsichtlich ihres sozialen Status (Kaufleute, Händler, Unternehmer), ihrer<br />
Schicht- und Klassenzugehörigkeit (alter Mittelstand, Besitz- und Bildungsbürgertum)<br />
und ihrer politischen Orientierung (National- und Linksliberale) den nichtjüdischen<br />
Bürgern angenähert hatten und den liberalen Kulturbetrieb tatsächlich mit ihnen<br />
teilten. Dennoch hielten es die jüdischen Gemeinden für ratsam, nachdem die<br />
Gründerkrise und die Große Depression mit der sie begleitenden antisemitischen<br />
Publizistik der Antisemitenparteien begonnen hatten, sich dem Verein zur Abwehr<br />
des Antisemitismus bzw. dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen<br />
Glaubens sowie dem Verein für jüdische Geschichte und Literatur anzuschließen.<br />
„Der Zusammenschluss jüdischer Bürger, sei es als ganze Gemeinde, sei es als<br />
Einzelmitglieder, im Abwehrverein, im C.V. und im Verein für jüdische Geschichte<br />
und Literatur, Organisationen, die von linksliberalen Rechtsanwälten und Politikern<br />
gelenkt wurden, kann nicht nur als ein Ergebnis der Ausbildung jüdischer<br />
‚Teilkulturen‘ (Jacob Borut) gesehen werden, sondern war ein politisches Verhalten<br />
der Klugheit, der öffentlichen Zivilcourage und der Gewaltenteilung. Wenn die<br />
Gerichte im Kaiserreich nicht gewillt waren, Antisemiten angemessen zu verurteilen,<br />
wenn die Verwaltung jüdische Bürger aus den Bereichen Justiz, Erziehungswesen,<br />
Hochschulwesen und Militär beruflich ausgrenzte oder gegenüber Nichtjuden<br />
benachteiligte, so waren die Öffentlichkeitsarbeit und der Rechtsschutz des<br />
Abwehrvereins und des C.V. ebenso wie die Kulturveranstaltungen des Vereins für<br />
jüdische Geschichte und Literatur notwendige gesellschaftliche Aktivitäten, die es<br />
den einzelnen jüdischen Bürgern erlaubten, den nicht leichten identifikatorischen,<br />
ausbalancierenden Prozess, die Bindungen sowohl zur jüdischen als auch zur<br />
deutschen Kultur, im Alltag auszuhalten.“ 7