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Kicker 070-2015

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90 REPORT<br />

Wasser-<br />

Walzer<br />

41 Jahre nach dem WM-Duell treffen sich<br />

GRZEGORZ LATO (65) und BERND HÖLZENBEIN (69)<br />

wieder. Wie damals in Frankfurt, wo es am<br />

4. September für die Nachfolger der Altstars<br />

um wichtige EM-Qualifikationspunkte geht.<br />

Ein sonniger Vormittag im August,<br />

das Thermometer zeigt 27 Grad.<br />

Es hängen zwar ein paar Wolken<br />

am Himmel, von drohendem Niederschlag<br />

kann jedoch keine Rede<br />

sein. Grzegorz Lato schlendert entlang<br />

der Frankfurter Fußball-Arena,<br />

dem früheren Waldstadion. Als er<br />

an der Fassade hochblickt, kann er<br />

sich eine Bemerkung trotz des guten<br />

Wetters nicht verkneifen. „Das<br />

Dach ist bestimmt zu. Es könnte ja<br />

regnen“, sagt er mit einem Lachen.<br />

Das kann er mittlerweile, 41 Jahre<br />

nach dem Tag, als er an selber<br />

Stelle eine sehr bittere Niederlage<br />

erleidet – auch wegen eines starken<br />

Wolkenbruchs.<br />

Bei der Weltmeisterschaft 1974<br />

trifft die deutsche Elf von Bundestrainer<br />

Helmut Schön am 3. Juli<br />

im Waldstadion auf die polnische<br />

Mannschaft um ihren Ausnahmestürmer<br />

Grzegorz Lato. Es geht um<br />

den Einzug ins Finale. Dem DFB-<br />

Team reicht ein Unentschieden,<br />

Polen muss gewinnen. Wegen heftiger<br />

Regenfälle steht der gesamte<br />

Platz unter Wasser. Einen kleinen<br />

Teil davon entfernt die Feuerwehr<br />

mit Wasserwalzen und Pumpen.<br />

Obwohl der Rasen weiterhin unbespielbar<br />

ist, pfeift Schiedsrichter<br />

Erich Linemayr aus Österreich die<br />

Partie mit 30-minütiger Verspätung<br />

an. Am Ende gewinnt Deutschland<br />

trotz eines von Uli Hoeneß verschossenen<br />

Elfmeters 1:0 durch ein<br />

Tor von Gerd Müller, zieht ins Finale<br />

ein und wird gegen Holland Weltmeister.<br />

Das Duell mit Polen, das<br />

nach einem 1:0 über Brasilien Dritter<br />

wird, geht als „Wasserschlacht<br />

von Frankfurt“ in die Annalen ein.<br />

Fotos: Harder (3), imago<br />

All das schießt Lato durch den<br />

Kopf, während er um das neue WM-<br />

Stadion läuft, das keine Ähnlichkeit<br />

mehr mit der alten Spielstätte<br />

aufweist. Wer hätte gewonnen, was<br />

wäre passiert, wenn es nicht geregnet<br />

hätte? „Das fragen wir uns in<br />

Polen schon seit 41 Jahren“, so Lato.<br />

An den Ort der Niederlage kehrt<br />

er für eine Dokumentation des<br />

Fernsehsenders „Polsat“ im Vorfeld<br />

des EM-Qualifikationsspiels zwischen<br />

der DFB-Elf und Polen am<br />

4. September in Frankfurt zurück.<br />

Der kicker organisiert dafür ein<br />

Treffen mit einem alten Bekannten.<br />

Der stand damals auf der siegreichen<br />

Seite, holte den Elfmeter heraus.<br />

Und hat seinerzeit wie heute<br />

ein Heimspiel: Bernd Hölzenbein.<br />

Die Begrüßung zwischen der Frankfurter<br />

Legende und dem WM-Torschützenkönig<br />

– diesen Titel errang<br />

Lato mit sieben Turniertreffern als<br />

bislang einziger Pole – fällt herzlich<br />

aus. „Er hat ein bisschen weniger<br />

Haare als ich“, scherzt Hölzenbein.<br />

Obwohl sich beide letztmals bei<br />

einem Benefizspiel 1995 in Polen<br />

trafen, ist die Stimmung schnell<br />

gelöst. Erste Erinnerungen werden<br />

ausgetauscht. Lato versteht ein bisschen<br />

deutsch, den Rest übersetzt<br />

der polnische TV-Mann und langjährige<br />

kicker-Korrespondent Roman<br />

Koltan. Das Symbol des Spiels<br />

ist im Eintracht-Museum schnell<br />

gefunden. Gemeinsam betätigen<br />

sich die Altstars als Wasser-Walzer.<br />

Dieser noch nicht in den klassischen<br />

Kanon aufgenommene Standardtanz<br />

beschreibt wohl auch am<br />

besten die damaligen Bewegungen<br />

auf dem Fußballfeld.<br />

Dorthin zieht es die beiden WM-<br />

Protagonisten recht schnell. Lato<br />

nimmt auf der Ersatzbank Platz.<br />

„Mittlerweile der beste Platz für<br />

Schlank und rank:<br />

Lato beobachtet 1974<br />

Hölzenbeins Zweikampf<br />

mit Szymanowski. Oben:<br />

Beide an der Walze.<br />

mich“, flachst er auf Englisch. Der<br />

ehemalige Torjäger präsentiert sich<br />

locker wie nie, war er doch früher<br />

gerade auf Journalisten nicht gut<br />

zu sprechen. Seit er vor drei Jahren<br />

als polnischer Verbandspräsident<br />

aufgehört hat, genießt der leidenschaftliche<br />

Angler sein Leben „mit<br />

gutem Wein und gutem Essen“.<br />

Neid auf die heutigen Topgehälter<br />

der Stars sei nicht angebracht, sind<br />

sich beide einig: „Das Wichtigste<br />

ist, dass wir gesund sind.“ Die Sonne<br />

knallt inzwischen vom Himmel,<br />

der Schweiß rinnt. Zur Fragerunde<br />

geht’s auf die schattigere Tribüne.<br />

Herr Hölzenbein, Herr Lato, was sind Ihre<br />

ersten Gedanken zur Wasserschlacht 74?<br />

HÖLZENBEIN: Ich hatte so eine Angst,<br />

als wir eine halbe Stunde in der<br />

Kabine saßen, dass das Spiel nicht<br />

angepfiffen wird. Es war mein Heimatstadion<br />

und ich habe mich so

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