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Johannisburger Heimatbrief 2009 - Familienforschung Sczuka

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Archiv der Kreisgemeinschaft Johannisburg e.V.<br />

brett zu springen. Meine Schwestern<br />

glaubten schon, ich käme nicht wieder.<br />

Auf einem Bahnhof wurde Steckrübensuppe<br />

an die Kinder verteilt. Die<br />

sonst so verwöhnten Kinder schlugen<br />

sich mit den Löffeln um diese Rübensuppe.<br />

Irgendwann fuhr der Zug wieder los.<br />

Einzige Gefahr waren die Tiefflieger.<br />

Der Lokführer war auf sein Gespür<br />

angewiesen, wann „die Luft rein war“<br />

und er weiterfahren konnte.<br />

Auf einem großen Bahnhof, evt. war<br />

es Stettin, wurden Züge nach Berlin<br />

aufgerufen. In den Abteilen waren<br />

Sitzplätze frei. Wir hätten Gelegenheit<br />

gehabt, nach Berlin – Brandenburg<br />

umzusteigen. Elfriede entschied,<br />

im Waggon zu bleiben und weiterzufahren.<br />

Das war richtig, denn die Brandenburger<br />

haben am Kriegsende viel Leid<br />

und Not erfahren müssen. Menschenleben<br />

waren nichts wert.<br />

Wir zockelten also weiter – tage- und<br />

nächtelang. Und eines Morgens lasen<br />

wir auf dem Bahnhofsschild „Lübeck“.<br />

Alles atmete erleichtert auf. Die Luft<br />

roch schon nach Frühling. Eine Dame<br />

hatte die ganze Zeit über auf einer<br />

Hutschachtel gesessen. Wir rätselten,<br />

was wohl drin wäre. Sie stöhnte in<br />

der letzten Nacht: „Ich halt es nicht<br />

mehr aus. Ich kann nicht mehr, ich<br />

kann nicht mehr!“<br />

Auf dem Lübecker Bahnhof ist sie<br />

entschwunden. Wir erfuhren vom<br />

DRK-Personal, dass es Anfang März<br />

sei. Wir hatten jedes Gefühl für die<br />

Zeit verloren. Hedwig hatte ihren Geburtstag<br />

unbewusst im Waggon verlebt.<br />

Was nun und wohin mit uns? Elfriede<br />

und die Kinder hätten nach Bielefeld<br />

weiterfahren können. Sie glaubte,<br />

dass Hansgeorg und Familie dort Zuflucht<br />

suchen würden. Von Lauenburg<br />

wollten sie mit einem Schiff über die<br />

Ostsee flüchten. Elfriedes Meinung:<br />

<strong>Johannisburger</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>2009</strong><br />

www.Kreis-Johannisburg.de<br />

Dort, wo die anderen Flüchtlinge<br />

hinkamen sollten wir auch hin.<br />

Wir kamen nach Rensefeld. In der<br />

Schule wurden wir auf einem Strohlager<br />

mit vielen anderen Flüchtlingen<br />

untergebracht. Ein Baby weinte die<br />

ganze Nacht. Am Morgen hielt die<br />

junge Mutter ihr totes Kind in den<br />

Armen. Es hatte den Hunger und die<br />

Strapazen der wochenlangen Flucht<br />

nicht überstanden. Die Mutter konnte<br />

es durch ihre Muttermilch nicht ernähren.<br />

Dennoch, hier in Rensefeld erhielten<br />

wir ein nahrhaftes Eintopfessen satt.<br />

Wir wurden in die Entlausung geschickt<br />

und auf ansteckende Krankheiten<br />

untersucht.<br />

Ich hörte, wie einer der Holsteiner<br />

Helfer sagte: „Das ist ja das einfache<br />

Volk. Feine, gebildete Leute sieht<br />

man unter diesen Flüchtlingen nicht.“<br />

Vermutlich machten wir nach all den<br />

Strapazen keinen sehr gepflegten<br />

Eindruck.<br />

Ja, und dann wurden wir auf die Dörfer<br />

verteilt.<br />

Ein Pferdewagen, mit Sitzbrettern<br />

ausgestattet, stand für uns bereit. Es<br />

war der gutmütige Herr Timmermann,<br />

der uns nach Arfrade brachte<br />

und bei der Schule ablieferte. Es war<br />

Vorfrühling. Die Luft war rein. Wir<br />

atmeten durch, keine Ängste mehr,<br />

irgendwie fühlten wir Freiheit und Sicherheit.<br />

Die Welt schien hier noch in<br />

Ordnung zu sein.<br />

Zunächst war ein Schulraum unsere<br />

Bleibe. Wir erhielten ausreichend<br />

warmes Essen. Einige Bäuerinnen<br />

brachten Äpfel, die wir lange entbehrt<br />

hatten. Jede Familie hoffte auf eine<br />

private Unterbringung im Dorf. Verständlicherweise<br />

mussten vom Dorfvorsteher<br />

menschlich zumutbare Unterkünfte<br />

organisiert werden.<br />

Der Verwalter des Arfrader Hofs,<br />

Clausen, hat die Familien Cramer,<br />

Kühn und mich aufgenommen. Es<br />

war ein großes Gutshaus mit viel<br />

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