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Erzähl mal! Der stille Zeuge - Literaturmachen

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38 <strong>Der</strong> <strong>stille</strong> <strong>Zeuge</strong><br />

Birgit Sonnleitner<br />

Kapitel 9<br />

„Jaaack?“<br />

Jack stand im Hausflur und wechselte gerade die kaputte Glühbirne aus, als<br />

Mrs. Nowak durch das ganze Haus nach ihm rief.<br />

„Jaaack?! Komm <strong>mal</strong> schnell in die Küche, der Abfluss ist schon wieder verstopft!“<br />

Jack stieg von der Leiter und schaute auf die Uhr. Es war 7.30 Uhr, die Kinder<br />

schrieen und lachten aus dem Esszimmer. War ja auch klar, es war Frühstückszeit,<br />

obwohl man es nicht mehr wirklich Frühstück nennen konnte,<br />

da es jeden Montag, und das schon seit Jack hier war, Brot und die immer<br />

gleiche Marmelade gab. Alle schrieen durcheinander und stritten, wer das<br />

Meiste bekam. Als er kurz reinschaute, wusste er auch, warum sie lachten.<br />

Dave wurde <strong>mal</strong> wieder mit der Marmelade beworfen und ausgelacht.<br />

Mr. Brown saß daneben, las Zeitung und aß Spiegeleier mit Speck. Es interessierte<br />

ihn gar nicht, was die Kinder machten. Sie waren ihm sowieso egal.<br />

Er schaute kurz hoch, sah Jack mit einem kalten Blick an und grummelte<br />

etwas in der Art von „Guten Morgen!“.<br />

Jack grüßte zurück und machte sich schleunigst auf den Weg in die Küche,<br />

da Mrs. Nowak wieder nach ihm schrie, dies<strong>mal</strong> nur etwas lauter und wütender.<br />

Als er ankam, sah er dann auch das Problem. Denn als er die Tür auf machte,<br />

kam ihm schon eine Ladung Wasser entgegen geschwemmt, und mittendrin<br />

stand Mrs. Nowak und sagte: „Ich habe die Marmeladengläser abgespült<br />

und danach Kartoffeln für die Kartoffelsuppe heute Abend in das Becken<br />

geschält. <strong>Der</strong> Abfluss verstopfte und ich konnte das Wasser nicht abdrehen,<br />

weil der Wasserhahn auch schon so lange klemmt.“<br />

Er fasste ins Wasser, machte den Abfluss frei und versuchte, den Dreck in<br />

den Mülleimer zu werfen, doch als er merkte, dass der auch noch klemmte,<br />

nahm er sich vor, die Küche heute Nachmittag auf Vordermann zu bringen,<br />

wenn niemand da war. Das Abflussrohr sollte auch <strong>mal</strong> wieder dringenst<br />

Birgit Sonnleitner: Kapitel 9 39<br />

gereinigt werden. Jack versuchte das Wasser abzudrehen, was ihm aber erst<br />

nach dem vierten Versuch gelang. Dann ging er zum Wandschrank, holte<br />

einen Eimer und einen Lappen und wischte das Wasser auf.<br />

Danach ging er hoch, wo die verstopften Jungs-Toiletten auf ihn warteten.<br />

Nach ungefähr einer Stunde war er fertig, dann ging er runter in die leere<br />

Küche, da Mrs. Nowak zu Mr. Brown ins Wohnzimmer gegangen war, um<br />

sich mit ihm vor das Radio zu setzen und die Nachrichten zu hören. Jack<br />

ging ins Esszimmer, um den Tisch abzuräumen, damit er ihn nachher reparieren<br />

konnte. Doch zu seiner Verwunderung traf er dort Dave, der auf dem<br />

Boden saß und leise wimmerte.<br />

Jack fragte Dave, was mit ihm los war, obwohl er es ja eigentlich wusste.<br />

Dave versuchte sich rauszureden: „Ich wollte gerade aufstehen und meinen<br />

Teller nehmen, da ist er auf mein T-Shirt gefallen.“ Jack sah den Teddy neben<br />

Dave liegen und wollte nach ihm greifen, doch Dave war schneller und<br />

drückte ihn an sich.<br />

Jack schickte ihn hoch, damit er duschte, weil er voller Marmelade war. Jack<br />

ging mit und sah, dass das Licht in der Dusche flackerte.<br />

„Nicht schon wieder eine Lampe“, dachte er leicht verärgert.<br />

Nachdem Dave geduscht hatte, wechselte Jack die Glühbirne aus und fuhr<br />

ihn zur Schule.<br />

Im Auto fragte Jack noch, was er in der Schule heute für Fächer hatte, doch<br />

Dave antwortete nicht. Als Jack wieder im Waisenhaus ankam, ging er<br />

gleich ins Esszimmer, um den Tisch zu reparieren, weil er wackelte und man<br />

immer kleckerte, wen man dort aß.<br />

Mr. Brown ging zu ihm und fing ein Gespräch an. Er erzählte Jack zum Beispiel,<br />

dass er in Scheidung lebte und nicht genug Geld hatte, um seine Wohnung<br />

zu bezahlen. Dass die Arbeit mit den Kindern sehr schwer war und<br />

nicht gut bezahlt wurde, deshalb kümmerten sich die Betreuer nicht so um<br />

die Kinder. Jack hörte aufmerksam zu und reparierte noch in paar Stühle.<br />

Am Schluss seines Redeschwalls lobte Mr. Brown Jack, weil er ein guter Zuhörer<br />

war, obwohl Jack nicht viel tat außer zuhören und reparieren. Jack war<br />

sowieso schon überrascht, dass ausgerechnet Mr. Brown auf ein<strong>mal</strong> zu ihm<br />

kam, da er der zurückhaltendste Betreuer von allen war.<br />

Nach einer halben Stunde, nachdem er noch ein bisschen was in der Küche<br />

getan hatte, kamen auch schon die Kinder mit lautem Geschrei aus der

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