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Erzähl mal! Der stille Zeuge - Literaturmachen

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72 <strong>Der</strong> <strong>stille</strong> <strong>Zeuge</strong><br />

Lauren Rombach<br />

Kapitel 21<br />

Jack war gerade dabei, ein dreckiges Rohr vom Abwasser zu befreien, als<br />

die raue und eher männliche Stimme der Waisenhauschefin durch das ganze<br />

Haus ertönte (es war drei Stockwerke hoch und eher eins von der alten<br />

Sorte). Wie schon so oft rief sie Jack, denn sie hatte immer irgend etwas<br />

auszusetzen. Das lag aber nur daran, dass Jack meistens die Arbeiten nicht<br />

gründlich oder sogar nur halb fertig machte.<br />

„Mister Jack Hausmeister, sofort in mein Büro!“<br />

Natürlich machte Jack dies dann auch und lief vom Badezimmer im ersten<br />

Stock in das gegenüberliegende große Büro der Chefin.<br />

„Ja, Mrs. Garison?”, fragte Jack mit einem missmutigen Unterton. Er schaute<br />

grimmig, aber auch ein wenig ängstlich in ihr dickes und mit Haaren überwuchertes<br />

Gesicht. Die hat sich bestimmt lange nicht mehr die Augenbrauen<br />

gezupft, dachte Jack grimmig. Und diese Hornbrille. Plötzlich schreckte<br />

er von seinen Tagträumen auf.<br />

„Mister Jack Hausmeister, Sie werden gefeuert, wenn das so weiter geht, ich<br />

dulde das nicht mehr lange!”, schrie Mrs. Garison wieder ein<strong>mal</strong> durchs<br />

ganze Haus.<br />

„Was habe ich denn schon wieder angestellt?”, fragte Jack in einem sanften,<br />

aber auch ärgerlichen Ton.<br />

„Das werde ich Ihnen schon zeigen, Sie Nichtskönner. Sie können nicht <strong>mal</strong><br />

einen Stuhl reparieren. Und schauen Sie sich dieses Rohr im Badezimmer<br />

an. Widerlich!” Mit diesen Worten verzog sie das Gesicht. „Und schauen Sie<br />

hier…” Sie zeigte auf ein Regal, eines der vielen in ihrem Büro. „Hier, dieses<br />

Regal, das ist doch nicht repariert.“<br />

Jack wandte sich in Gedanken dem Regal zu. Es sah eigentlich gar nicht<br />

schlecht aus. Alles war repariert, es war stabil, jedoch leicht schräg.<br />

<strong>Der</strong> Inhalt war schlimmer als das Regal selbst, denn darin stapelten sich<br />

ziemlich hässliche Puppen und Figuren, die aussahen, als hätten sie gerade<br />

so den 1. Weltkrieg überlebt. Die meisten davon hatten schottische Rö-<br />

Lauren Rombach: Kapitel 21 73<br />

cke und Umhänge an. Eine zum Beispiel hatte weit abstehende Haare, war<br />

leicht verbrannt, schaute jedoch immer noch vergnügt drein. Sie hatte, wie<br />

einige ihrer Sorte, nur dunkelrote Stofffetzen von Kartoffelsäcken an und<br />

war nicht gerade nor<strong>mal</strong> portioniert, also eher dick. Jack runzelte die Stirn,<br />

wandte sich aber wieder Mrs. Garison zu.<br />

„Nennen Sie das repariert, Mister Jack Hausmeister? Ja? Nennen Sie das R-<br />

E-P-A-R-I-E-R-T? Nein, ich denke nicht, oder?”<br />

Nun war Mrs. Garison auf 180.<br />

„Entschuldigen Sie, Mrs. Garison, es wird nicht mehr vorkommen…!”<br />

Denn mein Plan ist schon bald zu Ende, fügte Jack in seinen gruseligen<br />

Gedanken hinzu. „Nichts, entschuldigen Sie Mrs. Garison. Nichts, es wird<br />

nicht mehr vorkommen. Denken Sie, damit kommen Sie bei mir durch?<br />

Nein, dies<strong>mal</strong> nicht. Sie sollen richtig arbeiten, wie ein HAUSMEISTER.<br />

Haben Sie das langsam <strong>mal</strong> verstanden, Sie Nichtskönner? Am Anfang hat<br />

es doch auch geklappt, jetzt lerne ich Sie von ihrer richtigen Seite kennen,<br />

nicht wahr?”, kreischte sie jetzt noch aufgebrachter.<br />

Sie setzte sich auf ihren Stuhl, denn für sie war das alles sehr anstrengend.<br />

Sie war ja nicht eine von der nor<strong>mal</strong>en Breite. Im Gegensatz zu ihr sah der<br />

eigentlich durchtrainierte und gut gebaute Jack nicht gerade vielsagend aus.<br />

Nun stand Jack wie ein Häufchen Elend da, er hatte sich schon oft bei Mrs.<br />

Garison durchgesetzt, doch heute konnte er nichts mehr sagen. Er war ihr<br />

ausgeliefert, in Zukunft musste er wirklich alles so machen, wie sie es wollte,<br />

denn sonst könnte er die armen kleinen Kinder nicht vor diesem Waisenhausleben<br />

retten, und das war ja sein Plan.<br />

„Mrs. Garison, in Zukunft werde ich es besser machen, aber hören Sie auf,<br />

mich die ganze Zeit Nichtskönner zu nennen, klar?”, murmelte Jack leise vor<br />

sich hin. Er ging ein Schritt näher an die Tür des Büros, um gleich wegzulaufen,<br />

wenn das Gespräch vorbei war.<br />

„Wie bitte, ich soll Sie nicht mehr Nichtskönner nennen? Was denken Sie<br />

denn, wer Sie sind… äh… ja, gehen Sie jetzt und arbeiten Sie <strong>mal</strong> vernünftig!”,<br />

keuchte Mrs. Garison von ihrem Stuhl zu Jack.<br />

Er schaute grinsend in ihr überdimensionales Gesicht.<br />

„Tschüss, Mrs. Garison, und übrigens: Ich habe jetzt Feierabend, und den<br />

habe ich auch verdient, denn den können Sie mir ja wohl doch nicht nehmen,<br />

oder?“, schrie er und lief ins Bad.

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