Erzähl mal! Der stille Zeuge - Literaturmachen
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50 <strong>Der</strong> <strong>stille</strong> <strong>Zeuge</strong><br />
früher, als ich noch klein war. Für mich war es die gleiche Situation, ich wusste<br />
als Einziger über das Gespräch Bescheid. Und natürlich Mrs. Brown und der<br />
Mann von der Bank, aber davon abgesehen war ich sonst der Einzige. Aber<br />
dies<strong>mal</strong> war es doch ein wenig anders.<br />
Das Gespräch zwischen Mrs. Brown und dem Mann von der Bank war ruhiger.<br />
Es war irgendwie auch ein trauriges Gespräch. Sie diskutierten kaum,<br />
redeten nur davon, wie sie das Waisenhaus noch retten konnten. Aber dies<strong>mal</strong><br />
verstand ich selten ein Wort.<br />
Ich verstand, wie der Mann von der Bank sagte: „Wissen Sie, ich kann verstehen,<br />
dass Sie gerne hier in dem Waisenhaus arbeiten und sich auch gerne<br />
um das Waisenhaus kümmern, aber die Schulden sind in diesem Jahr einfach<br />
noch viel höher als in dem Jahr zuvor.“<br />
„Kann man denn das Waisenhaus nicht durch irgend etwas retten?“, fragte<br />
Mrs. Brown.<br />
„Nun ja, ich werde mich erkundigen, wie viele Schulden Sie in den letzten<br />
Monaten noch dazu bekommen haben, denn ich habe leider nur noch die Gesamtsumme<br />
von den letzten Jahren. Die jetzige Summe wurde mir leider noch<br />
nicht zugestellt. Ich werde in den nächsten Tagen noch ein<strong>mal</strong> bei Ihnen vorbei<br />
schauen und Ihnen berichten, wie hoch der Schuldenbetrag in der letzten<br />
Zeit gestiegen ist“, sagte der Mann von der Bank.<br />
Mehr hatte ich leider nicht verstanden. Trotzdem hätte ich gerne mehr von<br />
dem Gespräch mitbekommen, aber irgendwann musste es ja rauskommen,<br />
dass das Waisenhaus Schulden hat, und dass es deswegen vielleicht geschlossen<br />
werden muss.<br />
Trotzdem machte ich mir wieder meine eigenen Gedanken darüber und fragte<br />
mich, warum es solche hohen Schulden hatte. Ich wusste zwar, dass es nichts<br />
bringen würde, wenn ich mir selber vorstelle, wie es sein könnte, da ich ja<br />
wusste, was es mir früher gebracht hatte. Nur noch mehr Ungewissheit. Ich<br />
konnte natürlich nicht davon ausgehen, dass ich die Antwort bald erfahren<br />
würde.<br />
Aber irgendwann werde ich es ja erfahren, hoffe ich.<br />
Paolo Mele: Kapitel 13 51<br />
Paolo Mele<br />
Kapitel 13<br />
Lange Zeit nachdem Herr Friedrich gegangen war, war Jack, wie immer <strong>mal</strong><br />
wieder, auf dem Weg, etwas zu reparieren. Dieses Mal handelte es sich um<br />
die Tür des Speisesaals. Eine Schraube hatte sich gelöst, und schon bei der<br />
kleinsten Bewegung quietschte die Türe lautstark.<br />
Auf dem Weg dorthin fiel ihm wieder auf, wie Annika und Max sich im Aufenthaltsraum<br />
schlugen. Beide gaben sich harte Tritte und Schläge ins Gesicht,<br />
bis Max dann <strong>mal</strong> so richtig ausholte, sodass er mit voller Kraft mitten<br />
in Annikas Gesicht traf. Annika sackte nun zu Boden. Sie hatte Nasenbluten<br />
bekommen, und beim Anblick von Blut wurde ihr immer übel. Jack dachte<br />
sich: Die Arme! Sie tut mir so leid, aber ich kann ihr nicht helfen. Wenn ich<br />
doch nur etwas unternehmen könnte!<br />
Schreiend saß sie nun da. Das versuchte Jack dann zu ignorieren. Er beobachtete<br />
trotz des Vorfalls immer noch den Aufenthaltsraum, und auch,<br />
dass alle Betreuer, die vorbeiliefen, alles ignorierten und die Kinder das tun<br />
ließen, was sie wollten, und sich nicht um sie kümmerten.<br />
Mrs. Nowak war auch eine vom ihnen und Jack sah auch sie. Er versuchte<br />
sie zur Rede zu stellen und ging hin, doch dies merkte sie schnell. Ihr lässiglockerer<br />
Gang sah jetzt eher so aus, als wäre ein furchteinflößender Hund<br />
hinter ihr her.<br />
Wie so oft saß auch wieder Dave da, in der Zimmerecke, weinend unter einer<br />
weißen Decke, mit Jacks Ex-Teddy unterm Arm. Das kam Jack sehr bekannt<br />
vor, und schon nach kurzer Zeit konnte er es sich nicht mehr mit ansehen.<br />
Er lief zu Mr. Browns Büro, klopfte und wartete, bis er hinein durfte. Mr.<br />
Brown war sehr damit beschäftigt, einen Rahmen mit dem Bild seiner Familie<br />
zu putzen.<br />
Er fragte ungeduldig: „Was wollen Sie denn nun schon wieder, Mr. Miller?“<br />
Jack sagte fest entschlossen zu Mr. Brown:<br />
„Fällt Ihnen eigentlich nicht auf, wie schlecht es den Kindern geht?“