MAGNIFICAT Heilige Woche 2021

Das Bild im Blick 6
Leben mitten im Tod
Der Blick auf die Kreuzigung Jesu ist für heutige Menschen
durch die extremen Leidensdarstellungen der Spätgotik
und des Barock geprägt. Den Christen vor der ersten Jahrtausendwende
war dies aber gänzlich unbekannt. Sie hatten eine
ganz andere Sicht auf den Gekreuzigten, die sich durch einen
kurzen Blick in die Geschichte erklärt.
Sieger über den Tod
Die Darstellung der Kreuzigung hat erst verhältnismäßig spät
Eingang in die christliche Kunst gefunden. Gründe dafür sind,
dass bis zu Kaiser Konstantin die Kreuzigung als Todesstrafe
für Schwerstverbrecher in Gebrauch war und sich die Christen
deshalb bis über das 4. Jahrhundert hinaus schämten, ihren
Herrn am Schandpfahl des Kreuzes darzustellen; außerdem
lagen den Christen für Passionsdarstellungen keine ikonografischen
Vorbilder aus der heidnischen Kunst vor (wie z. B. bei
Darstellungen der Wunder Jesu), sie mussten diese erst selbst
finden. Gesichert begegnet uns das christliche Kreuzzeichen
erst ab 350 in den sogenannten Passionssarkophagen und später
in Mosaiken des 5. Jahrhunderts. Hier wird aber das Kreuz
immer als Triumphzeichen gesehen und jeder Anklang an den
schmachvollen Tod Jesu am Kreuz wird vermieden. In den ersten
künstlerischen Zyklen des Lebens Jesu fehlt deshalb auch
die Kreuzigung.
Erste gesicherte Darstellungen der Kreuzigung Jesu entstammen
dem 5. Jahrhundert (Elfenbeinrelief im British Museum
in London; Holztür von Santa Sabina in Rom). Hier wird Jesus
aber als Sieger über den Tod dargestellt, er ist der am Kreuz
erhöhte König, sein Kreuzestod wird als Triumph über den Tod
interpretiert. Diese Interpretation zieht sich durch die christliche
Kunstgeschichte bis zum Rex triumphans der großen roma-