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Pieks_2021_02_26

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eingeführte Impfpflicht entflammte ein erbitterter<br />

Streit.<br />

Man könne die beiden Krankheiten indes<br />

schlecht vergleichen, so Eckart. „Nach einer<br />

Maserninfektion hatten nur wenige Kinder<br />

schwere Hirnschädigungen, davon wissen oft<br />

nur die Betroffenen und ihre Kinderärzte etwas.<br />

Die meisten Menschen bekamen das nicht mit<br />

und kalkulieren das Risiko nicht mit ein.“ Tatsächlich<br />

war es sogar eine Zeit lang üblich, dass<br />

Mütter ihre Kinder zu Masernpartys brachten,<br />

damit sie schnell mit der Infektion durch seien.<br />

Das Image einer Impfung sei immer stark<br />

vom Kontext abhängig, sagt Eckart. „Als Anfang<br />

des 20. Jahrhunderts die Pockenimpfung in<br />

deutschen Kolonien eingeführt wurde, waren<br />

Impfängste in der indigenen Bevölkerung stark<br />

verbreitet, weil die Menschen eine Riesenangst<br />

davor hatten, dass ihnen die fremden Weißen<br />

angeblich Giftstoffe injizieren.“<br />

UND HEUTE?<br />

Die heutigen Impfgegner knüpfen zum Teil<br />

noch an die alten Vorwürfe an. Impfung sei<br />

eine Vergiftung des Menschen. Etwas, das nicht<br />

der Natur entspreche – heilen, indem man<br />

krank macht. „Das ist ganz ähnlich wie damals<br />

und setzt sich sehr breit fort. Das andere ist<br />

natürlich, das Impfen als Eingriff in die individuelle<br />

Freiheit zu interpretieren. Und zu sagen,<br />

die Freiheit des Menschen werde dadurch<br />

beeinträchtigt, denn es gibt ja das Recht auf<br />

körperliche Unversehrtheit“, so Eckart.<br />

„Es ist stets ein relationales Problem. Ein<br />

Verhältnis zwischen Chancen und potenziellem<br />

Schaden. Impfgegnerschaft ist immer ein<br />

Indikator dafür, dass es noch keine hinreichende<br />

Aufklärung über den Sinn und Nutzen<br />

einer Impfung gibt oder gegeben hat. Da muss<br />

man ansetzen“, meint der Wissenschaftler.<br />

Und er weist darauf hin, dass bei Covid-19 die<br />

Befürchtung um die neuartige Impftechnologie<br />

hinzukomme.<br />

„Da wundert es einen natürlich nicht, dass<br />

Menschen erst einmal vorsichtig sind und<br />

eine gewisse Skepsis hegen.“ Was fehle, sei<br />

solidarisches Denken. „Wir sehen in der Regel<br />

leider nicht, dass sich die kleine individuelle<br />

Einschränkung lohnt, da es dem Großen und<br />

Ganzen, also der Gemeinschaft, nützt, indem<br />

wir eine Herdenimmunität erreichen.“<br />

AUFKLÄRUNG STATT PFLICHT<br />

Eine Impfpflicht hält der Medizinhistoriker<br />

aber nicht für sinnvoll, weil das die Entstehung<br />

von Impfängsten fördere. „Wenn man sich<br />

unausweichlich einer Impfung unterziehen<br />

muss, facht das den Widerstand an. Ich halte<br />

viel mehr von Aufklärung.“<br />

Die beste Motivation sei der Erfolg selbst,<br />

meint Eckart: „Ich glaube, dass wir aufgrund<br />

der Erfahrungen mit Covid-19 ein größeres<br />

Vertrauen in Impfstoffe haben werden.“<br />

UMGANG MIT GERÜCHTEN<br />

»Neu ist das Misstrauen<br />

gegenüber Big Pharma«<br />

Wie entstehen Impfmythen, warum halten sie sich oftmals so lange?<br />

Und in welchen Ländern leben die meisten Impfskeptiker? Was treibt sie an?<br />

Das erforscht die Anthropologin Heidi J. Larson<br />

Wie untersucht man Phänomene<br />

wie Mythen und Ängste? „Seit es<br />

soziale Medien gibt, beobachten<br />

wir gezielt Onlinenachrichten, weil wir<br />

global vergleichbare Informationsstränge<br />

erhalten wollen“, erklärt Heidi J. Larson.<br />

Facebook, Twitter und Youtube machten<br />

die Arbeit schwerer und leichter zugleich.<br />

Leichter, weil ebendiese vergleichbaren<br />

Informationsstränge international zur Verfügung<br />

stehen. „Schwerer, weil die sozialen<br />

Medien auf Gerüchte wie Teilchenbeschleuniger<br />

wirken. Was früher Wochen<br />

brauchte, breitet sich nun exponentiell aus.“<br />

Die aktuellste Entwicklung, die die<br />

Anthropologin beobachtet hat, ist das<br />

Misstrauen gegenüber Big Pharma, an dem<br />

die Pharmakonzerne zum Großteil selbst<br />

schuld seien. „Da waren die Menschenexperimente<br />

der Kolonial- und der<br />

Neuzeit. Und in Entwicklungsländern wird<br />

sehr genau beobachtet, dass an Tropenkrankheiten<br />

wie Malaria nicht so eifrig<br />

geforscht wird wie an Zivilisationsleiden.“<br />

In Europa führe Frankreich die Rangliste<br />

der Länder mit der größten Impfskepsis<br />

an. Auch in Russland, Ungarn und Polen<br />

sei das Vertrauen in den Covid-Impfstoff<br />

sehr gering. Überhaupt weise kein anderer<br />

Kontinent so große Vorbehalte auf wie<br />

Europa. Viel Vertrauen wurde durch den<br />

Skandal um HIV-verseuchte Blutkonserven<br />

in den Achtzigerjahren verspielt, ist Larson<br />

überzeugt. Der französische Gesundheitsminister<br />

etwa ließ ein Impfprogramm<br />

an Schulen unterbrechen, als Gerüchte<br />

aufkamen, die Impfstoffe würden Multiple<br />

Sklerose auslösen. „Und als die Regierung<br />

noch viel zu große Mengen Impfstoff gegen<br />

Schweinegrippe kaufte, war die Wut groß.<br />

Da kam ein Skandal nach dem anderen.“<br />

Staatliche Aufklärungskampagnen<br />

seien denn auch nicht das richtige Mittel,<br />

um die Impfbereitschaft zu steigern,<br />

sagt Larson. „Am ehesten können örtliche<br />

Politiker, Geistliche oder am besten die<br />

Nachbarn dazu beitragen, dass die Skepsis<br />

nachlässt.“<br />

PROF. DR. HEIDI J. LARSON<br />

Professorin der Anthropologie<br />

Bekannt geworden<br />

mit veganen<br />

Kochbüchern, tut<br />

sich Attila Hildmann<br />

nun als Lautsprecher<br />

der Verschwörungstheoretiker<br />

hervor<br />

Heidi J. Larson hat an der Schule für Hygiene und<br />

Tropenmedizin in London das Vaccine Confidence<br />

Project gegründet. Außerdem ist sie Professorin<br />

für Health Metrics Sciences in Seattle (Washington).<br />

Im vergangenen Sommer ist ihr Buch<br />

„Stuck: How Vaccine Rumors Start – and Why<br />

They Don’t Go Away“ erschienen.<br />

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