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Pieks_2021_02_26

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Plasmas bei Covid-19“, sagt Winfried Kern,<br />

Professor für Innere Medizin am Universitätsklinikum<br />

Freiburg. „Studien weisen darauf hin,<br />

dass die Gabe dieses therapeutischen Plasmas<br />

das Abwehrsystem von Erkrankten darin unterstützt,<br />

das Coronavirus zu bekämpfen.“<br />

Dem Ärztlichen Leiter der Abteilung Infektiologie<br />

zufolge ist die Serumtherapie jedoch<br />

weder eine flächendeckende Behandlung noch<br />

eine Lösung des Problems fehlender Wirkstoffe.<br />

„Es kann in Einzelfällen bei schwer kranken<br />

Covid-19-Patienten sowie bei Erkrankten mit<br />

einer Immunschwäche ein Therapiebaustein<br />

in einer komplexen Behandlung sein“, sagt Kern.<br />

„Wir diskutieren den Einsatz allerdings bei<br />

jedem einzelnen Patienten und verwenden<br />

nur das Blut individuell ausgesuchter Spender,<br />

das ist sehr aufwendig.“ Die Serumtherapie<br />

ist dem Infektiologen zufolge maximal eine<br />

Interims lösung. „Qualitätsgeprüfte, synthetisch<br />

hergestellte Antikörper, wie sie derzeit erforscht<br />

und hoffentlich bald verfügbar sein werden,<br />

sind natürlich um Längen besser.“<br />

Tatsächlich verlangt die rasante Dynamik<br />

der Pandemie mehr denn je nach neuen Strategien<br />

im Kampf gegen Covid-19. Neben Impfstoffen<br />

prüfen Wissenschaftler und Hersteller<br />

unter Hochdruck mehrere vielversprechende<br />

Ansätze. So werden Wirkstoffe mit Namen wie<br />

Aprotinin, Tocilizumab oder Molnupiravir in<br />

Studien getestet.<br />

DER TRUMP-STOFF: REGN-COV2<br />

Zu den größten Hoffnungsträger gehören – wie<br />

auch Experte Kern aus Freiburg sagt – neutralisierende,<br />

monoklonale Antikörper, die synthetisch<br />

hergestellt werden. Es gibt mehrere Kandidaten,<br />

der Wettlauf um den besten Mix für<br />

diese Passivimpfung hat längst begonnen. Am<br />

weitesten vorn liegt die Firma Regeneron mit<br />

ihrem Antikörper-Cocktail: Im November hat<br />

die US-Arzneimittelbehörde FDA dem Produkt<br />

eine Notfallzulassung erteilt. REGN-COV2,<br />

das auch der damalige US-Präsident Donald<br />

Trump erhielt, kann bereits für die frühe<br />

Therapie von Hochrisikopatienten bei schweren<br />

Covid-19-Symptomen eingesetzt werden.<br />

Ende Januar wurde bekannt, dass auch Deutschland<br />

200 000 Dosen davon eingekauft hat,<br />

obwohl der Wirkstoff keinerlei Zulassung hat.<br />

Neutralisierende Antikörper sind seit Mitte<br />

der 1970er-Jahre bekannt, 1984 gab es für<br />

ihre Erforschung den Medizinnobelpreis. Mittlerweile<br />

werden diese teuren Biologika gegen<br />

viele Krankheiten eingesetzt. Bei einer sogenannten<br />

Passivimpfung erhält der menschliche<br />

Körper fertige Antikörper gegen das Virus, er<br />

muss sie nicht mehr selbst erzeugen. Im Gegensatz<br />

dazu steht die aktive Impfung, die den<br />

Körper anregt, selbst Antikörper zu bilden.<br />

Eine Passivimpfung ist aus mehreren Gründen<br />

kein Ersatz für den selbst aufgebauten<br />

Immunschutz. „Da die Antikörper im Körper<br />

ABWEHRTRAINING<br />

So stärken Sie Ihr<br />

Immunsystem<br />

‸ Regelmäßig bewegen Ausdauersport<br />

wie Schwimmen, Radfahren, Laufen,<br />

Inlineskaten und Nordic Walking erhöht<br />

die Anzahl an weißen Blutkörperchen.<br />

‸ Gesund essen Vitamine, Mineralien,<br />

Spuren­elemente­stärken­die­Darmfloraund<br />

wehren Keime aus der Nahrung ab.<br />

‸ Stress abbauen reguliert den Kortisolspiegel<br />

und reduziert Entzündungen.<br />

‸ Ausreichend schlafen fördert die Funktion<br />

der T-Immunzellen.<br />

‸ Regelmäßig saunen hält das Herz-<br />

Kreislauf-System­fit­und­steigert­die­<br />

Abwehrkräfte.<br />

‸ Viel spazieren gehen im Tageslicht fördert<br />

die körpereigene Vitamin-D-Produktion.<br />

‸ Zigaretten meiden Sie schwächen<br />

die Abwehr von Krankheitskeimen in den<br />

Atemwegen.<br />

‸ Auf Alkohol verzichten Das Zellgift mindert<br />

die Immunabwehr in allen Organen.<br />

nach und nach abgebaut werden, besteht nur<br />

für etwa vier bis zwölf Wochen eine Immunität“,<br />

sagt Harald Prüß, Forschungsgruppenleiter<br />

am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative<br />

Erkrankungen (DZNE). Nach einer<br />

aktiven Immunisierung bleibt der menschliche<br />

Organismus im besten Fall ein Leben lang<br />

immun. Die Passivvakzine ist zudem in der<br />

Herstellung deutlich teurer.<br />

Während eine Aktivimpfung möglichst viele<br />

Gesunde vor einer Coronainfektion schützt,<br />

ist eine schnell wirksame Passivimpfung vor<br />

allem für die Behandlung von Risikopatienten<br />

vorgesehen, die sich mutmaßlich frisch infiziert<br />

haben. Oder für immungeschwächte Kranke<br />

mit Krebs oder Autoimmunerkrankungen. „Es<br />

wäre ideal, wenn es beide Impfungen gäbe,<br />

dann könnten wir auf jede Situation flexibel<br />

reagieren“, sagt Prüß, der zudem Oberarzt an<br />

der Klinik für Neurologie mit Experimenteller<br />

Neurologie an der Charité Berlin ist.<br />

Zusammen mit seinem Team vom DZNE<br />

und der Charité-Universitätsmedizin veröffentlichte<br />

Prüß jüngst vielversprechende Ergebnisse<br />

für eine Passivimpfung. Aus dem Blut von<br />

Menschen, die eine Covid-19-Erkrankung überstanden<br />

hatten, isolierten die Forscher zunächst<br />

fast 600 verschiedene Antikörper. Durch<br />

Labortests konnten sie diese Zahl auf einige<br />

hochwirksame Exemplare eingrenzen und<br />

diese dann mittels Zellkulturen – quasi in der<br />

Petrischale – künstlich nachbilden. „Drei der<br />

600 identifizierten Antikörper sind für eine<br />

klinische Entwicklung besonders vielversprechend“,<br />

sagt Prüß. „Mittels Strukturanalysen<br />

haben wir gezeigt, dass diese Antikörper an<br />

das Virus binden und so verhindern, dass es in<br />

Zellen eindringen und sich vermehren kann.“<br />

Die Antikörper neutralisieren das Virus sehr<br />

effektiv, das Immunsystem beseitigt die Erreger.<br />

Untersuchungen an Hamstern – sie sind ähnlich<br />

wie Menschen anfällig für eine Infektion<br />

durch SARS-CoV-2 – belegen die hohe Wirksamkeit<br />

der ausgewählten Antikörper.<br />

VIELVERSPRECHENDE HOFFNUNG<br />

Die Chance auf sichere und nebenwirkungsfreie<br />

Vakzinen ist dem Neurologen zufolge sehr<br />

hoch. „Denn wir haben die Antikörper nicht<br />

wie bei der Serumtherapie aus Plasma von<br />

corona infizierten Spendern gewonnen, sondern<br />

aus Antikörper produzierenden B-Immunzellen,<br />

die im Blut schwimmen“, sagt Prüß.<br />

Durch Ablesen deren genetischen Bauplans<br />

konnten sie im Labor rekombinante Antikörper<br />

nachbauen. „So lassen sich die maßgeschneiderten<br />

Antikörper in industriellem Maßstab in<br />

gleichbleibend hoher Qualität und theoretisch<br />

beliebiger Menge produzieren, und der Körper<br />

stößt die identischen, humanen Antikörper<br />

nicht als fremd ab“, sagt der Oberarzt.<br />

Derzeit arbeitet der Industriepartner Miltenyi<br />

Biotec daran, die Antikörper effektiv und den<br />

strengen Zulassungskriterien entsprechend in<br />

großen Mengen herzustellen. Mit einem Wirkstoff,<br />

der in Phase-I- und -II-Studien getestet<br />

wird, rechnen die Wissenschaftler im Frühjahr.<br />

„Die Konkurrenten Regeneron und Eli Lilly<br />

sind unserer Entwicklung klar voraus“, sagt<br />

Prüß. „Aber es wird sicher genügend Raum für<br />

eine Vielzahl therapeutischer Antikörper geben,<br />

da die Produktion aufwendig ist und doch für<br />

viele Patienten potenziell infrage kommt.“<br />

Bis all die Fragen einer effektiven Therapie<br />

gegen Covid-19 geklärt sein werden, ist also<br />

Geduld gefragt. Zwischendrin gibt es aber<br />

immer wieder auch Grund für Zuversicht. So<br />

zeigten jüngst zwei Studien unabhängig voneinander:<br />

Das Risiko, dass sich Menschen nach<br />

einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion<br />

erneut anstecken, ist sehr gering.<br />

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