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Pieks_2021_02_26

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KINDER ∙ IMPFEN<br />

um gegen so eine Mehrfachimpfung anzukämpfen,<br />

und deshalb das Risiko für einen Impfschaden<br />

größer sei. Sie entschied gemeinsam mit<br />

dem Kinderarzt, nicht alles auf einmal, sondern<br />

einzeln nacheinander zu impfen. Ihr Mann<br />

ließ sie machen – ihm war vor allem wichtig,<br />

„dass die Kinder komplett geimpft sind, sobald<br />

sie in den Kindergarten kommen und dort<br />

auf andere Kinder treffen“.<br />

SKEPSIS, NICHT ABLEHNUNG<br />

Die Heinzes sind keine Impfgegner – von denen<br />

möchten sie sich klar distanzieren. Impfungen,<br />

die sie nicht für unbedingt nötig hielt, wollte<br />

Judith Heinze ihren Töchtern dennoch ersparen:<br />

„Über Hepatitis haben wir lange diskutiert und<br />

dann entschieden, die Impfung erst mal wegzulassen“,<br />

berichtet die zweifache Mutter. „Erst vor<br />

einer Auslandsreise haben wir sie nachgeholt.“<br />

Später als üblich erhielt die jüngere Tochter<br />

auch ihre Masernimpfung: „Paula haben wir<br />

recht früh impfen lassen, und sie bekam danach<br />

einen schlimmen Husten“, erzählt Judith Heinze.<br />

„Viele meiner Freunde meinten dann, das sei<br />

ein Impfschaden. Bei Juna hatte ich daher<br />

richtig Angst vor der Impfung und hätte sie fast<br />

weggelassen.“ Erst als ein Besuch bei Freunden<br />

in Berlin anstand und dort kurz vorher die<br />

Masern ausbrachen, holten die Heinzes die<br />

Impfung nach. „Denn plötzlich war die Gefahr<br />

ganz nah. Meine Freundin, die wir besuchen<br />

wollten, ist Ärztin. Sie sagte: Wenn dein Kind<br />

nicht gegen Masern geimpft ist, kannst du nicht<br />

nach Berlin kommen, das ist total gefährlich.“<br />

Für Vater Tobias Heinze war die Situation eine<br />

Bestätigung dafür, wie wichtig das Impfen ist:<br />

„Wir hatten die Masern doch fast ausgerottet.<br />

Und plötzlich brechen sie wieder aus, weil Leute<br />

ihre Kinder nicht impfen lassen? Da frage ich<br />

mich: Wie blöd ist das eigentlich?“<br />

Die Töchter der Heinzes, heute sieben und<br />

elf, haben mittlerweile alle Impfungen, die<br />

die STIKO empfiehlt – obwohl die Sorge vor<br />

Nebenwirkungen groß war. „Ich hatte jedes Mal<br />

Zweifel“, gibt ihre Mutter zu. „Doch ich habe<br />

mich auch jedes Mal gefragt: Will ich mein<br />

Leben lang schuld daran sein, wenn mein Kind<br />

krank wird und vielleicht sogar stirbt, weil ich<br />

es nicht habe impfen lassen? Auf keinen Fall.“<br />

Den Kontakt zu Impfgegnern im Bekanntenkreis<br />

habe die Familie abgebrochen, berichtet<br />

Vater Tobias Heinze: „Die stellten teilweise<br />

wirre Verschwörungstheorien auf und ließen<br />

gar keine andere Meinung zu.“<br />

Auch Caroline Cornfine, die Mutter von<br />

Matiu und Clara, hat eine klare Meinung zu<br />

Impfgegnern: „Es macht mich wütend, und ich<br />

kann das einfach nicht nachvollziehen: Man<br />

will doch seine eigenen Kinder schützen!“<br />

Wären die Schäden durch Impfungen größer als<br />

der Nutzen, davon ist die 37-Jährige überzeugt,<br />

„gäbe es das Konzept Impfen doch gar nicht“.<br />

Cornfine gibt zu, dass ihr eine Schluckimpfung<br />

lieber wäre: „Ich bin kein Spritzenfan. Aber<br />

es gibt eben keine Alternative, und die Kinder<br />

werden den <strong>Pieks</strong> schon vergessen.“ Auf die<br />

Mehrfachimpfung hätten beide stärker reagiert<br />

als auf andere, erinnert sie sich: „Matiu war<br />

müde und unruhig, und Clara bekam richtig<br />

Fieber. Mir ist eine einzige Impfung dennoch<br />

lieber als sechs einzelne.“<br />

Dass das Immunsystem eines Babys mit<br />

einem Sechsfachimpfstoff nicht überfordert ist,<br />

könne er versichern, sagt Kinder- und Jugendarzt<br />

Terhardt. „Es stimmt, dass die Infektionsabwehr<br />

in dem Alter noch nicht ausgereift ist.<br />

Aber wenn sie durch Impfen Bekanntschaft<br />

mit Krankheitserregern macht, ist das wie ein<br />

Training. Außerdem: Über das Essen und die<br />

Atemluft nimmt ein Kind täglich viel mehr<br />

Antigene auf, als in einer einzigen Sechsfachimpfung<br />

stecken.“<br />

ALLE FRAGEN IN RUHE BEANTWORTEN<br />

Terhardt ist es wichtig, verunsicherte Eltern<br />

ernst zu nehmen und auf ihre Sorgen einzugehen:<br />

„Gerade für junge Eltern mit dem ersten<br />

Kind ist das alles neu. Sie haben viele Fragen,<br />

die ihnen der Kinderarzt in Ruhe beantworten<br />

sollte.“ Stellen sich Eltern als Impfgegner<br />

heraus, verweist Terhardt sie nicht der Praxis –<br />

wie es tatsächlich manche seiner Kollegen tun:<br />

„Wenn ich sie rauswerfe, landen sie womöglich<br />

noch bei einem impfskeptischen Arzt, der<br />

solche Leute um sich schart. Das wäre mir<br />

auch nicht recht.“<br />

Terhardt sagt, er habe Mitleid mit den Kindern<br />

der Impfgegner, weil die Eltern an Mythen<br />

und Falschinformationen glaubten. „Ich erkläre<br />

ihnen, dass ihr Kind ein Recht hat, geschützt<br />

zu werden. Und dass sie ein Risiko in Kauf<br />

nehmen, das sie falsch einschätzen.“<br />

Konsequente Impfverweigerer lässt der Arzt<br />

sogar ein Formular unterschreiben, auf dem<br />

steht, dass ihnen die Risiken und die Verant-<br />

Kinder, die in den Kindergarten<br />

oder in die Schule gehen,<br />

müssen seit März 2<strong>02</strong>0 in Deutschland<br />

gegen Masern geimpft sein<br />

»Meine Freundin<br />

sagte: Wenn dein Kind<br />

nicht gegen Masern<br />

geimpft ist, kannst du<br />

nicht nach Berlin.«<br />

Judith Heinze mit Familie<br />

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