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Blickpunkt Musical 02-23 - Ausgabe 122

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Einblick<br />

nahe gebracht und gezeigt, wie verrückt er eigentlich<br />

ist. Für uns war es super, dass wir dazwischen<br />

»Ku’damm 56« gemacht haben, um vorher noch<br />

ganz viel zu lernen. »Ku’damm 56« ist eigentlich<br />

ein Theaterstück mit Musik, während bei »Romeo<br />

& Julia – Liebe ist alles« fast nichts gesprochen,<br />

sondern so gut wie nur gesungen wird. Früher<br />

hätte man es vielleicht als Rockoper bezeichnet.<br />

Das klingt aber gleich wieder so angestaubt. Ich<br />

habe keinen richtigen Ausdruck dafür, jedenfalls<br />

keine Rockoper.<br />

ULS: »Ku’damm 56« steht für sich allein. »Romeo<br />

& Julia – Liebe ist anders« ist was ganz anderes.<br />

Daher kann nichts in Konkurrenz miteinander<br />

stehen. Das Eindrucksvolle ist wirklich die Sprache<br />

der Übersetzung von (Friedrich) Schlegel.<br />

Auch das schöne Libretto von ihm, das wir sehr<br />

gekürzt haben – anders geht es nicht, sonst hätten<br />

wir eine Wagner-Oper –, ist etwas Besonderes. Die<br />

Reibung zwischen dem Alten und dem Neuen<br />

ist total modern. Genauso wie Shakespeare total<br />

komisch, aber auch sehr tragisch ist, ist das <strong>Musical</strong><br />

klassisch, aber durch die Musik sehr modern.<br />

Das ist das Besondere. Wir hatten fette Castings<br />

und mussten auch nach Leuten suchen, die Schlegels<br />

Shakespeare ohne Unterstützung sprechen<br />

konnten.<br />

Als Yasmina (Hempel) die Balkonszene gesprochen<br />

hat, war das absolut toll. Ich war schon am<br />

Einschlafen, weil wir ein so langes Casting hatten.<br />

Und dann kam Yasmina und sie hatte verstanden,<br />

wovon sie sprach.<br />

blimu: Yasmina und Paul harmonieren auch sehr<br />

schön als Paar.<br />

PP: Ja, nicht wahr! Aber so etwas weiß man ja vorher<br />

nicht. Doch die beiden gehen so toll miteinander<br />

um. Wir hatten den Videodreh und schon bei<br />

den Proben wurde deutlich, dass beide es so sehr<br />

wollen. Das macht natürlich Spaß.<br />

blimu: Paul repräsentiert den jugendlichen Rebellen<br />

in Jeans und Lederjacke und stellt damit einen<br />

großen Kontrast zu seiner klassischen Figurenvorlage<br />

da. Doch er passt mit seiner Erscheinung<br />

wunderbar in unsere Zeit.<br />

ULS: Dennoch ist er der leidende Teenager, der sich<br />

einfach alle drei Minuten verliebt. Anfangs hatten<br />

wir ein sehr tragisches Einstiegslied für Romeo, das<br />

mehrfach veröffentlicht wurde: ›Die Liebe kennt<br />

mich‹.<br />

PP: Doch wir hätten Romeo dadurch als den Leidenden<br />

positioniert. Dabei soll er ein junger Mann<br />

sein, dessen Leben noch nicht zu Ende ist. Das mit<br />

Rosalinde war nur eine Schwärmerei, da war nie<br />

wirklich was. Aber für ihn geht es dennoch in die<br />

Tiefe, seine Gefühle für sie sind schon so gemeint.<br />

Er ist ein hormongesteuerter Teenager. Und das<br />

war uns auch wichtig. Beim Casting haben es viele<br />

als Tragödie gespielt, was aber gar nicht der Fall sein<br />

soll. Die jungen Leute sind total frech und sexuell<br />

versaut, alle! Das ist eine reine Herumflirterei und<br />

Stichelei, was für die damalige Zeit, glaube ich,<br />

sehr heftig war. Das muss man mit reinbringen. Es<br />

spielt in Verona im Hochsommer und keiner von<br />

ihnen kann schlafen, weil sie »Hummeln im Arsch<br />

haben« und raus möchten. Und damit entstehen<br />

auch die Aggressionen.<br />

ULS: Ich bin überzeugt, man muss sich auch die<br />

Stoffe suchen, in die man sich verlieben kann. Das<br />

ist auch gar nicht so intellektuell, das Publikum<br />

muss nicht immer die ganze Zeit nur denken,<br />

denken, denken.<br />

PP: Das kommt eher aus dem Gefühl. Deswegen<br />

hatten wir auch die tollen Jahre mit Detlev Buck<br />

(Schauspieler, Drehbuchautor und Filmregisseur),<br />

der ist uns in dieser Hinsicht sehr ähnlich. Er ist<br />

grandios in seiner Arbeit und er weiß, was er will.<br />

ULS: Wir haben die Songs für »Bibi & Tina«<br />

geschrieben und immer, wenn wir gemerkt haben,<br />

Detlev fährt nicht darauf ab, dann haben wir ein<br />

neues Lied geschrieben. Er hat aber auch immer<br />

unterschwellig kommuniziert, dass wir uns da<br />

nicht so darauf vorbereiten und nicht so fleißig<br />

sein sollen. Wenn man einfach nur wach ist, saugt<br />

man alles in sich auf, ohne es wirklich zu wollen.<br />

Und das passte. Wir haben beide als Kinder keine<br />

Hausaufgaben gemacht und waren schlimm im<br />

Unterricht. Ich war im Mündlichen immer gut.<br />

Man muss einfach immer seine Augen und Ohren<br />

offenhalten und im richtigen Moment kommt<br />

dann etwas und darauf muss man vertrauen.<br />

Der Song ›Wir sind Verona‹ war gar nicht so einfach<br />

zu schreiben. Das muss ja auch mal gesagt<br />

werden, dass manche Songs mehrfach geschrieben<br />

werden mussten. Am Ende war der Song dann<br />

plötzlich innerhalb eines halben Tages fertig.<br />

PP: Bei den Interviews fällt uns erst so richtig auf,<br />

was an Shakespeare so genial war: Er erzählt uns<br />

überhaupt nicht, weshalb die Familien überhaupt<br />

verfeindet sind. Ich weiß nicht, ob das damals<br />

absichtlich war, aber es ist sehr intelligent. Das<br />

macht es so grandios. Wir wachsen alle mit Klischees,<br />

Bildern und Erzählungen auf und lassen<br />

uns auf einen politischen Diskurs ein. Man wächst<br />

quasi auf mit der Teilung in Gut und Böse. Das ist<br />

halt so. Wenn unsere Version von »Romeo & Julia«<br />

auch nur einem Zuschauenden dabei hilft, darüber<br />

nachzudenken, wäre ich unglaublich stolz.<br />

ULS: Niemand weiß, wer Shakespeare war, und<br />

sein jahrzehntelanger Twist wird plötzlich aufgelöst.<br />

Bestimmt sogar ohne Aussprache. Am Ende<br />

versöhnen sie sich einfach. Und das ist es natürlich,<br />

was es so unabhängig von der lustigen und<br />

tragischen Liebesgeschichte macht. Es hat über<br />

die Jahrhunderte überlebt, ohne dass sich etwas<br />

verändert hat. Wir stehen immer noch an unseren<br />

verhärteten Fronten. Man muss dabei noch nicht<br />

einmal an etwas Politisches denken, man findet es<br />

in der eigenen Familie. Tante Erna ist verhasst und<br />

eigentlich weiß niemand, weshalb. Lustigerweise<br />

verstehen sich beim Begräbnis alle. Auch das findet<br />

man bei Shakespeare. Deswegen ist die Geschichte<br />

so interessant, weil es ein gängiges Muster der<br />

Menschheit ist.<br />

blimu: Haben Sie sich im Vorfeld andere Stücke<br />

über »Romeo und Julia« angesehen?<br />

PP: Ich bin dazu viel zu faul. Doch ich glaube, bei<br />

mir ist es nicht nur die Faulheit, sondern es nimmt<br />

mir auch die Fantasie und die Kreativität. Man<br />

fängt dann doch an, zu klauen. Daher ist es besser,<br />

nichts vorher zu schauen.<br />

ULS: Ich habe, wie alle in den 1990ern, damals<br />

den Kinofilm gesehen. Ich hatte jetzt zunächst<br />

angefangen, ihn noch einmal zu sehen, und habe<br />

dabei gemerkt, dass er absolut MTV-mäßig mit der<br />

Ästhetik der 90er gearbeitet ist. Ich habe dann aufgehört,<br />

weil ohnehin jeder seine eigene Meinung<br />

zu »Romeo und Julia« hat. Jeder Regisseur hat<br />

seine eigene Meinung, was wichtig ist. Wenn man<br />

versucht, auf all das Rücksicht zu nehmen, kann<br />

man nur scheitern. Deswegen haben wir gesagt,<br />

wir machen unsere eigene Version. Und das ist<br />

auch das Grandiose an dem Baz-Luhrmann-Film.<br />

Er hat einfach sein Ding durchgezogen, wie er es<br />

immer durchzieht, wie auch jetzt bei »Elvis«. So<br />

ziehen wir jetzt unser Ding durch. Da wird ganz<br />

viel fehlen, aber dafür wird es auch Sachen geben,<br />

die neu sind.<br />

blimu: Es ist schön, wenn jede einzelne Vorstellung<br />

ihre Besonderheiten hat, sodass es auch für die<br />

Zuschauer nie langweilig wird.<br />

ULS: Es ist so witzig, dass Sie das sagen. Denn im<br />

West End und am Broadway ist es genau so. Wenn<br />

man ein Stück am Broadway sieht, leider war ich<br />

jetzt schon ein paar Jahre nicht mehr da, und dann<br />

zwei Jahre später im West End, dann sind die<br />

Versionen ganz anders. Es ist ein anderes Make-up<br />

bei den Engländern, wie man beispielsweise auch<br />

bei »Billy Elliot« sieht – da war es ganz extrem. Es<br />

Paul Csitkovics und Yasmina Hempel<br />

spielen Romeo und Julia<br />

Foto: Ferran Casanova<br />

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