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Blickpunkt Musical 02-23 - Ausgabe 122

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Wo die Wasser des Mississippi unterm Monde<br />

fließen … Uraufführung von »Tom Sawyer« an der Komischen Oper Berlin<br />

Abb. oben:<br />

Tom Sawyer (Tom Schimon) hat<br />

sich in seine neue Mitschülerin<br />

Becky (Josefine Mindus) verliebt<br />

Foto: Barbara Braun<br />

Tom Sawyer<br />

Kurt Weill / Kai Tietje /<br />

Maxwell Anderson / Ira Gershwin /<br />

John von Düffel<br />

Komische Oper Berlin<br />

Uraufführung: 18. Februar 2<strong>02</strong>3<br />

Regie ........................... Tobias Ribitzki<br />

Musikal. Leitung &<br />

Arrangements ....................... Kai Tietje<br />

Kinderchor ............... Dagmar Fiebach<br />

Ausstattung ............... Stefan Rieckhoff<br />

Licht ................................. Olaf Freese<br />

Tom Sawyer .................. Tom Schimon<br />

Huckleberry Finn ......... Michael Heller<br />

Ben Harper ........Nikita Voronchenko<br />

Becky Thatcher .......... Josefine Mindus<br />

Amy Lawrence .......... Elisabeth Wrede<br />

Alfred Temple ........... Ferdinand Keller<br />

Tante Polly ................ Caren van Oijen<br />

Killer-Joe ................... Christoph Späth<br />

Muff Potter ............ Carsten Sabrowski<br />

Mrs Harper ........ Alexandra Lachmann<br />

Dr. Robinson / Richter Thatcher ...........<br />

Kai-Uwe Fahnert<br />

Lehrer / Pfarrer ................ Theo Nüster<br />

Kinderchor der Komischen Oper Berlin<br />

Lotte Lenya sang 1933 in dem Ballett »Die sieben<br />

Todsünden« von Bertolt Brecht und Kurt Weill:<br />

»Wo die Wasser des Mississippi unterm Monde fl ießen<br />

…«. Das Thema Amerika zieht sich wie ein roter Faden<br />

durch Weills Werke: Von dem »Mahagonny Songspiel«<br />

(1927) über »Happy End« und »Die sieben Todsünden«<br />

in Europa; und ab 1935 in Amerika »Johnny Johnson«,<br />

»Street Scene« und »Down in the Valley«. Kurz vor<br />

seinem Tod 1950 sagte er zu seiner Frau Lotte Lenya:<br />

»Zwei Dinge möchte ich noch machen, ›Huckleberry<br />

Finn‹ und ›Moby Dick‹, mein Tribut an Amerika.«<br />

Für »Huckleberry Finn« schaffte er gerade noch<br />

fünf Songs, dann starb er. Aus diesen Fragmenten hat<br />

die Komische Oper Berlin nun die Kinderoper »Tom<br />

Sawyer« kreiert, eine Weltpremiere. Ausgangspunkt<br />

dafür war John von Düffels Theaterstück zu diesem<br />

Stoff, das er 2014 für das Deutsche Theater in Göttingen<br />

verfasste. Dort lief es mit Mark Twains Romanen<br />

»Die Abenteuer des Tom Sawyer« (1876) und »Die<br />

Abenteuer des Huckleberry Finn« (1884) als Grundlage<br />

unter dem Titel »Tom Sawyer und Huckleberry<br />

Finn« – inklusive der fünf Songs. Schweizer Erstaufführung<br />

feierte es am Theater Basel (vgl. blimu 01/15).<br />

Das Trio, bestehend aus Kai Tietje (Arrangement),<br />

Tobias Ribitzki (Regie) und Ulrich Lenz (2018 Chefdramaturg<br />

an der Komischen Oper, der das Projekt<br />

damals initiierte und leitete), hat das Material nun<br />

für Berlin erweitert. Den ohnehin kaum bekannten<br />

Weill-Songs wurden weitere unbekannte hinzugefügt<br />

– aus »Ulysses Africanus«, das nie zur Aufführung<br />

kam. Weitere Ergänzungen entnahmen sie aus »Knickerbocker<br />

Holiday«, »The Firebrand of Florence« und<br />

»Johnny Johnson«. Die Übersetzung von Maxwell<br />

Andersons und Ira Gershwins Liedtexten stammt von<br />

John von Düffel und Kai Tietje.<br />

Es gibt also viel zu entdecken und selbst wenn es<br />

als Kinderoper angepriesen wird, ist es, wie für Weill<br />

charakteristisch, eine Fusion der Musiktheater-Genres<br />

<strong>Musical</strong> und Oper. Die Hauptdarsteller Tom Schimon<br />

(Tom Sawyer) und Michael Heller (Huckleberry Finn)<br />

kommen aus dem <strong>Musical</strong>fach. Sie tragen die Erzählung<br />

gut, sodass es ihnen gelingt, die Aufmerksamkeit<br />

der Kinder durchweg zu halten.<br />

Mit einem Panorama des Mississippi eröffnet die<br />

Produktion. Die Weiten Amerikas in der Dämmerung<br />

erstrecken sich vor dem Zuschauenden (Ausstattung:<br />

Stefan Rieckhoff ). Musikalisch wird dies in dem sanften,<br />

aber mächtigen, fl ießenden ›River Chanty‹ atmosphärisch<br />

umgesetzt, hier mit dem Titel ›Wo kommst<br />

du her, Wasser?‹ ins Deutsche gebracht. Es ist klar:<br />

Spielort und Zeit sind weit entfernt von der Gegenwart<br />

und mit Kinderaugen, ist es eine berechtigte Frage, wo<br />

das Wasser denn herkommt. Instrumental mischen<br />

sich noch die heiteren Töne des ›Catfi sh-Song‹ und des<br />

›Apple Jack‹ in die Ouvertüre, bevor sich die Bühne mit<br />

Kindern füllt und Tante Polly (Caren van Oijen) sich<br />

zu ihrem herumstreifenden 12-jährigen Neffen Tom<br />

Sawyer durchfragt. Der genießt das Leben, insbesondere<br />

wenn er später mit seinem besten Freund Huckleberry<br />

Finn, Huck genannt, im Mississippi angelt. Vergnüglich<br />

lässt der ›Catfish-Song‹, hier ›Karpfensong‹,<br />

mit seiner federnden Melodie das unbeschwerte Leben<br />

für ein paar Momente Wirklichkeit werden.<br />

Während Huck ohne familiäre Bindungen als<br />

›Landstreicher‹ gilt, wandelt Tom zwischen dem freien<br />

Leben seines Freundes und der Zivilisation unter der<br />

Obhut seiner Tante Polly. Tom muss in die Schule<br />

gehen und wenn er mal was ausgefressen hat, droht<br />

Strafe. Eine davon ist, den Zaun zu streichen. Es ist eine<br />

herrliche Szene, wie es ihm gelingt, aus der ihm aufgetragenen<br />

Strafarbeit eine anspruchsvolle Handwerksleistung<br />

zu machen, über die sich die Nachbarskinder<br />

beweisen wollen, sodass er selbst sich der Aufgabe<br />

entziehen kann. Die Schule liegt dem freiheitsliebenden<br />

Jungen auch nicht – schon gar nicht, wenn unter<br />

den Mitschülern so ein Streber ist wie Alfred Temple<br />

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