Blickpunkt Musical 02-23 - Ausgabe 122
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Musical</strong>s in der Welt<br />
meistert ihren zwiespältigen Charakter mit bravouröser<br />
Empathie. René Setlhako, die als Lindiwe glänzt,<br />
erobert sofort die Herzen der Zuschauer; in vielen<br />
Facetten ihres Spiels erinnert sie an die wunderbare<br />
Whoopi Goldberg und sorgt für zahlreiche Lacher.<br />
Last, but not least, rührt Nobuntu Mpahlaza als<br />
Mutter zu Tränen, wenn sie die geliebte Tochter nach<br />
Amerika schickt und ihr das letzte Ersparte mit auf den<br />
Weg gibt.<br />
Das gesamte Ensemble wuchtet einen ungeheuren<br />
Kraftakt auf der Bühne, und die extrem begabten Darstellerinnen<br />
und Darsteller spielen einander die Bälle<br />
zu. Am liebsten würde man sie alle namentlich erwähnen,<br />
was bei einer 26-köpfigen Besetzung allerdings<br />
die Ausmaße eines Telefonbuchs in Anspruch nähme.<br />
Mit berauschenden Bildern, fantastischen Kostümen<br />
(Pei Lee), einfallsreichen Choreographien (Celeste<br />
Botha) und verblüffendem Lichtdesign (Alan C.<br />
Edwards) beantworten die Schöpfer des Abends jene<br />
Fragen, die sich in der heutigen Zeit regelrecht aufdrängen;<br />
oder sie geben uns zumindest den Wegweiser<br />
dafür an die Hand, selbst in tiefster Verzweiflung die<br />
Hoffnung nicht aufzugeben.<br />
Als Verstärkung hat sich Gillham den aus New York<br />
stammenden Regisseur Peter Flynn an die Seite geholt,<br />
der ihr Buch wortgetreu und mit Respekt in Szene<br />
setzt. Und die Zurückhaltung der Inszenierung erweist<br />
sich als besonderer Glücksgriff: Das kreative Team, das<br />
für den Abend verantwortlich zeichnet, lässt der Cast<br />
allen Raum, sich zu entfalten.<br />
Alice Gillham ist ein herausragendes Werk gelungen.<br />
Die Partitur ist phänomenal – man kann sich<br />
eigentlich gar nicht entscheiden, welches Lied zum<br />
Lieblingssong wird. ›Do You Think About Me‹ gehört<br />
sicherlich zu den stärksten Nummern, was neben der<br />
überzeugenden Musik auch an dem berührenden Text<br />
liegt, in dem die Figuren ihre Sehnsüchte intonieren.<br />
Nicht zuletzt deshalb wurde dieser Song auch vorab<br />
veröffentlicht. In ›Handful of Dragonflies‹ lernen wir<br />
Isabella mit all ihren Charaktereigenschaften kennen.<br />
So hat der Abend eine reiche musikalische Bandbreite<br />
mit wunderschönen Balladen (zum Niederknien:<br />
›Learn to Love‹) und vielen »ansteckenden« Up-<br />
Tempo-Nummern wie ›Fly With the Sun‹, ›This Aint<br />
Broadway‹ oder ›Shine in the Light‹.<br />
Der Zauber dieser Produktion ist seiner ideenreichen,<br />
schwungvollen, manchmal beinahe selbstvergessenen<br />
Leichtigkeit zu verdanken: der Liebe, die auf<br />
der Heimatsuche der einzelnen Persönlichkeiten der<br />
entscheidende Motor ist – dieser herzergreifenden, uns<br />
alle verbindenden Liebe.<br />
»Calling Us Home« ist ein mitreißender Kraftakt<br />
des gesamten Ensembles und der dahinter stehenden<br />
Kreativen, getragen von den sinnlichen, zauberhaft<br />
zarten bis kraftvoll tanzbaren Melodien der Autorin.<br />
Südafrika ist, was die <strong>Musical</strong>branche betrifft, ein<br />
noch junger Markt. Aber gerade dort wachsen außergewöhnliche<br />
Talente nach, die Gillham mit ihrer Produktionsfirma<br />
SHY-MUSIC fördert.<br />
Die Inszenierung ihres Stücks »Calling Us Home«<br />
ist ein wahrer Glücksgriff, und es wäre der Produktion<br />
zu wünschen, dass Gillham damit international auf<br />
Tour geht. Denn sie verfügt über das Potential, auch in<br />
dunklen Zeiten die Fackel der Hoffnung zu entzünden<br />
und die kalte Wirklichkeit mit dem nötigen Hauch an<br />
Wärme zu bereichern.<br />
Fazit: Ein berauschendes Fest der Sinne, das sich<br />
den ernsten Themen unserer Zeit stellt und das, getragen<br />
von fantastischen Melodien und brillanten Darstellern,<br />
mit großer Leichtigkeit Hoffnung verheißt.<br />
Daniel Call<br />
Abb. unten:<br />
Graces Mutter (Nobuntu Mpahlaza)<br />
schickt ihre Tochter schweren<br />
Herzens nach Amerika<br />
Foto: Daniel Rutland Manners<br />
blickpunkt musical <strong>02</strong>/2<strong>02</strong>3<br />
71