Blickpunkt Musical 02-23 - Ausgabe 122
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<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Verlorene Chance im letzten Paradies<br />
Österreichische Erstaufführung von »Last Paradise Lost« in Innsbruck<br />
Es klingt nach einem bestechenden Konzept für<br />
einen <strong>Musical</strong>stoff – die Geschichte von Adam und<br />
Eva, ihr Leben im Garten Eden, ihr Griff zu dem Apfel<br />
und dann das Ende des Paradies’. Nahezu jeder dürfte<br />
damit aufgewachsen sein, sie bildet die Grundlage<br />
für alles, was die Bibel daraufhin an Weisheiten und<br />
Meinungen parat hat. John Milton (1608-1674), ein<br />
nicht unumstrittener, für seine Zeit hochmoderner<br />
Schriftsteller, nahm sich ebendiesen Themas an, um<br />
tiefer in die Materie einzudringen. Was in der Bibel<br />
in nur wenigen Versen abgehandelt wird, wollte er<br />
begreifen und begreifbar machen. Wer waren diese<br />
beiden? Wie haben sie als Paar funktioniert? Und<br />
welche Rolle spielten die Engel im Hintergrund? Wer<br />
waren sie, was war deren jeweilige Intention? Milton<br />
sah in dieser Geschichte alles, was es für ein großes<br />
Epos brauchte. Er sah in all dem den Schlüssel für die<br />
großen Fragen der Anthropologie, Psychologie, Ethik,<br />
Politik und Theologie. Er wollte ein Werk erschaffen in<br />
der Größe von Homers »Odysee« oder Vergils Versepos<br />
»Aeneis«. Seine Worte, seine Interpretationen sollten<br />
wegweisend sein. Dabei war es Milton wichtig, alle<br />
auftretenden Figuren, inklusive der Engel, menschlich<br />
erscheinen zu lassen, damit alle Leserinnen und Leser<br />
sich wiedererkennen können.<br />
Günter Werno, Andy Kuntz und Stephan Lill von<br />
der Band »Vanden Plas« schufen gemeinsam schon<br />
einige Bühnenwerke (u. a. »ChristO«, »Everyman«),<br />
bevor sie Miltons Versepos »Paradise Lost« (1667) heranzogen<br />
und daraus eine Rockoper schufen. Das Stück<br />
»Last Paradise Lost« wurde 2<strong>02</strong>1 in Kaiserslautern<br />
uraufgeführt, damals führte Johannes Reitmeier Regie<br />
unter der Intendanz von Urs Häberli. In Innsbruck<br />
nun führte Urs Häberli Regie unter der Intendanz von<br />
Johannes Reitmeier. Damit erklärt sich, weshalb dieses<br />
Werk seinen Weg in die Tiroler Landeshauptstadt<br />
gefunden hat, ohne dass es am Werk selbst großartige<br />
Verbesserungen gegeben hätte. In Kaiserslautern<br />
wurde Johannes Reitmeier noch zusammen mit Kuntz<br />
als für das Libretto verantwortlich genannt, in Innsbruck<br />
wird ihm diese Rolle nicht mehr zugeschrieben<br />
– vielleicht, um ihn als Intendanten herauszuhalten.<br />
Ob diese Form der Verbundenheit dem Stück geholfen<br />
hat, ist beim Ergebnis allerdings mehr als fragwürdig.<br />
Um der Geschichte einen Rahmen zu geben, beginnt<br />
sie in einer Ausstellungseröffnung mit alttestamentarischen<br />
Motiven (nicht neu, vgl. »Aida«). Diese Feier<br />
wird von Randalierern gestört, was dazu führt, dass<br />
der Museumsleiter in die Rolle des Erzengels (Andy<br />
Kuntz) schlüpft und die Geschichte der Entstehung<br />
von Gut und Böse zu erzählen beginnt. Er selbst verkörpert<br />
das Gute, während Luzifer (Randy Diamond)<br />
sich gegen die Allmacht Gottes auflehnt und wettet,<br />
dass er und seine Gefolgsleute es schaffen, die gerade<br />
entstandenen ersten Menschen erfolgreich aus dem<br />
Paradies zu vertreiben. So entstehen zwei Gruppen –<br />
auf der einen Seite der Erzengel mit seinen Helfershelfern,<br />
auf der anderen Seite Luzifer mit seinem Gefolge.<br />
Beide bemühen sich, Adam und Eva zu durchschauen<br />
und unbemerkt auf ihre Seite zu ziehen. Ihnen kommt<br />
dabei entgegen, dass die Langzeitbeziehung der beiden<br />
natürlichen Schwankungen der Glückseligkeit<br />
unterworfen ist. Diese Momente des Zweifelns kann<br />
Luzifer letztendlich ausnutzen. Um aber nicht Gottes<br />
Allmächtigkeit und auch seine Güte zu sehr zu untergraben,<br />
besitzt das Stück ein offenes Ende, denn auch<br />
ohne Paradies wird der Mensch sehr wohl zu großem<br />
Glück fähig sein und die Entscheidung, auf welche<br />
Seite des Lebens er sich schlägt, immer wieder, in<br />
jedem Lebensmomentum treffen müssen.<br />
So gut, wie die Geschichte auf dem Papier und in<br />
der Phantasie funktioniert, so wenig funktioniert sie<br />
Abb. oben:<br />
(Randy Diamond), Belial (Andrea de<br />
Majo) und Abaddon (Oliver Sailer<br />
mit Ensemble) verkörpern lustvoll<br />
das Böse<br />
Foto: Birgit Gufler<br />
Last Paradise Lost<br />
Günter Werno / Andy Kuntz /<br />
Stephan Lill / Johannes Reitmeier<br />
In englischer Sprache<br />
mit deutschen Übertiteln<br />
Eine Koproduktion mit dem<br />
Pfalztheater Kaiserslautern<br />
und dem Theater Münster<br />
Tiroler Landestheater Innsbruck –<br />
Großes Haus<br />
Österreichische Erstaufführung:<br />
11. Februar 2<strong>02</strong>3<br />
Regie ................................ Urs Häberli<br />
Musikalische Leitung ... Günter Werno<br />
Bühnenbild ............... Thomas Dörfler<br />
Kostüme ..... Michael D. Zimmermann<br />
Luzifer ..................... Randy Diamond<br />
Erzengel .......................... Andy Kuntz<br />
Adam ............................ Frank Kühfuß<br />
Eva ......................... Amber-Chiara Eul<br />
Beelzebub ................ Jennifer Maines /<br />
Astrid Vosberg<br />
Belial ....................... Andrea De Majo<br />
Zephan .................... Annina Wachter<br />
Ithuriel ........................ Sascha Zarrabi<br />
Seraph, späte Sünde ...... Julia Steingaß<br />
Abaddon, später Tod ...... Oliver Sailer<br />
Abdiel ....................... Julien Horbatuk<br />
Zophiel .......................... Verena Pötzl<br />
Chor des Tiroler Landestheater<br />
Innsbruck<br />
blickpunkt musical <strong>02</strong>/2<strong>02</strong>3<br />
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