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Blickpunkt Musical 02-23 - Ausgabe 122

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Eine Festung für den Rock’n’Roll<br />

»Radioland« uraufgeführt an der Neuköllner Oper Berlin<br />

Abb. oben:<br />

Die Kommerzialisierung – »Sealand«<br />

als Geschäftsmodell (v.l.:<br />

Owen Peter Read, Meik van<br />

Severen, Mathilda Switala, i.d.bes.<br />

Vorst. Lucille-Mareen Mayr)<br />

Foto: Thomas Koy<br />

Radioland<br />

Christopher Verworner /<br />

Misha Cvijović / Lars Werner /<br />

Fabian Gerhardt<br />

Neuköllner Oper Berlin<br />

Uraufführung: 26. Januar 2<strong>02</strong>3<br />

Regie ......................... Fabian Gerhardt<br />

Musikalische Leitung ...........................<br />

Christopher Verworner / Misha Cvijović<br />

Choreographie .................. Chris Jäger<br />

Bühnenbild .............. Sabrina Rossetto<br />

Kostüme ........................ Sophie Peters<br />

Maske .................. Anne-Claire Meyer<br />

Sounddesign ............ Jonathan Richter<br />

Vater Roy Bates .... Sophia Euskirchen /<br />

Stefanie Dietrich<br />

Tochter Penny Bates .... Lucille-Mareen<br />

Mayr / Mathilda Switala<br />

Herman Z. German ..... Owen Peter Read<br />

Mutter Joan Bates .... Meik van Severen<br />

Sohn Michael Bates .............................<br />

Armin Wahedi Yeganeh<br />

Nach dem »Iron Curtain Man« haben sich Lars<br />

Werner und Fabian Gerhardt erneut für eine<br />

Theaterproduktion an der Berliner Neuköllner Oper<br />

zusammengetan. Die Ende Januar zur Uraufführung<br />

gekommene neue Musiktheater-Produktion warf einen<br />

Blick zurück auf die britische Geschichte und Licht auf<br />

eine ehemalige Seefestung. Fort Roughs, auch bekannt<br />

als Maunsell Sea Forts, stammt noch aus dem Zweiten<br />

Weltkrieg. 1942 als militärischer Stützpunkt für Seeund<br />

Luftangriffe erbaut und besetzt, wurden 1956 die<br />

Einsatzkräfte abgezogen und die Festung sich selbst<br />

überlassen. 1966 landeten Paddy Roy Bates vom Radio<br />

Essex (von 1965 bis 1966 auf der Festung Knock John<br />

Tower) und Ronan O’Rahilly vom Radio Caroline auf<br />

der verlassenen Festung und beanspruchten sie. Im<br />

Zuge der Auseinandersetzungen mit der Royal Navy,<br />

die darin gipfelten, dass der Gerichtshof aufgrund<br />

mangelndem Geltungsbereich, dank der geografi schen<br />

Lage der Plattform den Fall abwies, wurde am 2.<br />

September 1967 das Fürstentum Sealand gegründet.<br />

Bates hatte Pläne, von hier aus einen neuen Piratensender<br />

fernab des Monopols der BBC zu betreiben,<br />

ließ die Pläne jedoch fallen, als die BBC ihr Programm<br />

änderte und Bates mit seiner Beatmusik nicht mehr<br />

Radiopionier gewesen wäre. Der selbsternannte Fürst<br />

Roy von Sealand verteidigte die Festung bis zu seinem<br />

Tod. Ab 1972 wurden Münzen geprägt und als Sealand<br />

Dollar gehandelt, seit 1969 wurden Briefmarken<br />

herausgegeben und abgestempelt, auch Sealand-Pässe<br />

wurden verkauft. Zudem verwendete Sealand einen<br />

Amateurfunk. Es blieb jedoch zeitlebens die Streitfrage<br />

um die Anerkennung der Festung als Fürstentum.<br />

Heute wird Sealand nur noch pro forma von einem<br />

Wachposten beaufsichtigt; keiner der übrigen Familienmitglieder<br />

und auch sonst niemand wohnt mehr<br />

dort. »Radioland« greift diese Geschehnisse auf: von<br />

der Proklamation über die Entwicklung der Sealand<br />

State Corporation sowie der Entstehung einer eigenen<br />

Regierung, Gesetzgebung und Rechtsprechung bis<br />

hin zum Putsch von 1978, als der Deutsche Alexander<br />

Gottfried Achenbach eine Zeit lang die Festung übernahm,<br />

dem Fürsten Verfassungsbruch vorwarf und<br />

schließlich von Bates als Kriegsgefangener geführt und<br />

verurteilt wurde. So wurde aus einer Freiheitsidee ein<br />

Staat auf einem umkämpften Fleckchen Land auf dem<br />

Wasser mit eigenen Regeln und Gesetzen.<br />

Das Musiktheater beginnt zur Verortung des Stücks<br />

mit der Pathé Wochenschau. In Schwarz-Weiß-Aufnahmen<br />

wird auf einer Leinwand das alltägliche Leben auf<br />

Sealand gezeigt. Die Bühne (Sabrina Rossetto) besteht<br />

einzig aus einer wuchtigen Plattform mit Röhren, Zuund<br />

Abgängen, einer Flaggenvorrichtung, angedeuteten<br />

Schießvorrichtungen und einem Geländer sowie einem<br />

angrenzenden Podest im hinteren Bereich. In der Mitte<br />

des Podests für die siebenköpfige Liveband, die teilweise<br />

jamartig und als Underscore Beatmusik, Rock’n’Roll,<br />

elektronische Klänge sowie Schiffsrauschen und andere<br />

Geräusche zu einem dichten, wummernden Soundtrack<br />

verwebt, ist noch eine beeindruckende Anlage aufgebaut<br />

mit Studiokasten zur Ausstrahlung des Piratensenders<br />

Radio Essex vom Knock John Tower. Nach der Wochenschau<br />

beginnt das Stück mit Bates’ Tochter Penny<br />

(Lucille-Mareen Mayr) in einer schwarzen Gerichtsverteidiger-Robe<br />

(Kostüme: Sophie Peters), die in einer Art<br />

Rahmenhandlung beginnt, die Geschichte von ihrer<br />

merkwürdigen Familie und von Sealand zu erzählen. Der<br />

Theaterabend zerfällt inhaltlich in zwei Teile: die Zeit<br />

vor und die Zeit während/nach der Staatsgründung auf<br />

Sealand. Sophia Euskirchen beeindruckt als Fürst Roy<br />

mit ihrer Stimmkraft und geballten Bühnenenergie. Die<br />

Rolle als ehemaliger Offizier und Liebhaber seiner Frau<br />

in Uniform oder mit Pelzmantel bietet viele Lacher und<br />

Running Gags. Euskirchen nimmt trotzig und brüsk<br />

immer wieder eine Stellung im Studiokasten des Piratensenders<br />

ein und singt von der rebellischen Kraft des<br />

Rock’n’Roll und der aufkommenden Beatmusik für die<br />

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