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Ausgabe 6/2008 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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Unter der Überschrift "Kritische Momente in einer Sportlerkarriere"<br />

sind Konstellationen für eine Versuchung zur Manipulation<br />

aufgelistet:<br />

Du erreichst die Grenzen deiner Leistungsfähigkeit.<br />

Du schindest dich und hast trotzdem keinen Erfolg.<br />

Deine Trainer oder deine Eltern erwarten mehr von dir, aber du<br />

spürst, dass du nicht mehr kannst.<br />

Du kämpfst um den letzten freien Platz im Kader.<br />

Du hast eine langwierige Verletzung, die nicht ausheilen will.<br />

Du befürchtest, dass deine Konkurrenten verbotene Mittel<br />

nehmen, und willst der Ungerechtigkeit entgegenwirken.<br />

Der letzte Punkt war, wie sie in dem Druckwerk zitiert wird,<br />

auch für Kelli White entscheidend. Vor einem Untersuchungsausschuss<br />

der amerikanischen Regierung erklärte die zweifache<br />

Sprintweltmeisterin von Paris 2003, sie sei überzeugt gewesen,<br />

dass sie dopen musste, nicht um einen Vorteil zu haben, sondern<br />

um den illegalen Vorsprung der anderen auszugleichen.<br />

Der F.A.Z. sagte sie im Mai 2005: "Ich war ein Versuchskaninchen."<br />

Ihr Trainer und der Chef der Firma Balco, die das verbotene<br />

Designer-Steroid THG entwickelt und vertrieben hat,<br />

hätten von ihr verlangt, THG-Präparate zu testen, "um herauszufinden,<br />

ob ich auf bestimmte Produkte besser reagierte als<br />

auf andere". In einem Interview mit der Zeitung USA Today<br />

schildert Kelli White ihre Reuegefühle. Auf Bildern aus jener<br />

Zeit war ihre gestreifte Muskulatur zu sehen. "Ich hasse dieses<br />

Bild. Denn es zeigt jemand völlig anderes… Ich musste meine<br />

Integrität und mein Wertesystem aufs Spiel setzen. Ich wusste,<br />

dass das falsch war. Ich schaue mir diese Person an und denke:<br />

Das ist nicht Kelli White. Das ist nicht das, was ich einmal sein<br />

wollte." Heute arbeitet die Erfolgsathletin von einst mit der<br />

Welt-Doping-Agentur (Wada) zusammen: für einen sauberen<br />

Sport.<br />

Das umfangreiche Informationsmaterial, das die Nada in<br />

gedruckter und elektronischer Form anbietet, soll die Nachwuchsathleten<br />

auch davor bewahren, aus mangelnder Erfahrung<br />

in die Dopingfalle zu tappen. Die Mitarbeiter der Nada<br />

aber wissen, dass Papier geduldig ist, und die jungen Sportler<br />

auch die Tipps im Internet nicht unbedingt verinnerlichen.<br />

Deshalb sind sie auf Tour durch die 39 Eliteschulen des Sports<br />

quer durch Deutschland gegangen und haben in diesem Jahr<br />

auf 12 Stationen jeweils hundert bis zweihundert Schüler,<br />

darunter zahlreiche Kaderathleten, informiert und mit ihnen<br />

diskutiert.<br />

Dabei geht es so ähnlich zu wie Mitte September in der Carlvon-Weinberg-Schule<br />

in Frankfurt am Main. In der Aula mahnte<br />

ein Nada-Experte die Schüler der Sportklassen vom neunten<br />

Jahrgang zur Wachsamkeit, um nicht aus Leichtsinn positiv auf<br />

Doping getestet zu werden. Eindringlich schärfte er den jungen<br />

Sportlern, darunter dreißig Kaderathleten, ein: "Verantwortlich<br />

für die Wahl der richtigen Medikamente seid ihr ganz allein."<br />

18<br />

Nicht die Eltern oder der Hausarzt. Deshalb sei es wichtig,<br />

anhand der Liste der verbotenen Wirkstoffgruppen zu überprüfen,<br />

was unter Doping fällt und was nicht. Ausdrücklich warnte<br />

er vor verunreinigten Nahrungsergänzungsmitteln. Selbst Omas<br />

Mohnkuchen könne gefährlich werden. Oder in der Disco neben<br />

jemandem zu stehen, der kifft.<br />

Besonders gut kommt bei den Schülern an, dass gestandene<br />

Athleten aus ihren Erfahrungen berichten. In Frankfurt erzählte<br />

"Fußball-Weltmeisterin" Nia Künzer, wie aufgeregt sie als Siebzehnjährige<br />

war, als Doping-Kontrolleure vor der Haustür<br />

standen und sie unter Aufsicht Urin in einen Becher abgeben<br />

musste. Der Vorgang verlaufe aber sehr diskret, beruhigte die<br />

Fußballspielerin die Sportlerinnen. Im Übrigen hätte sie trotz der<br />

erhöhten Aufmerksamkeit bei der Einnahme von Medikamenten<br />

oder Nahrungsergänzungsmitteln "ein ganz normales Leben"<br />

führen können.<br />

Das ist leichter gesagt als getan. Denn für Sportler der A- und<br />

B-Kader gilt die Meldepflicht. Und wer sie verletzt, gilt rasch als<br />

einer, der betrogen hat. Das hat Pascal Behrenbruch von der LG<br />

Eintracht Frankfurt am eigenen Leibe erfahren. "Man muss in<br />

eine Datenbank übers Internet genau eintragen, wann man wo<br />

trainiert und unterwegs ist. Das habe ich vergangenes Jahr<br />

einmal nicht gemacht und damit einen Test verpasst." Das trug<br />

dem EM-Fünften im Zehnkampf eine Verwarnung ein, wie er in<br />

einer der beiden Diskussionsgruppen erzählte. Bei einer Wiederholung<br />

dieser Nachlässigkeit "wäre ich gesperrt und die sportliche<br />

Karriere vorbei". Der 23Jährige beklagt, dass in anderen<br />

Ländern nicht so streng kontrolliert wird wie in Deutschland: "In<br />

Russland haut mancher Zehnkämpfer für drei Monate zu einer<br />

Anabolika-Kur nach Sibirien ab und macht dann 500 Punkte<br />

mehr." Ein Schüler fragt den gebürtigen Offenbacher: "Haben<br />

Sie denn nie daran gedacht zu dopen?" Als Zehnkämpfer habe<br />

sich diese Frage nie gestellt, behauptet Behrenbruch. "Wenn ich<br />

jedoch Radfahrer wäre und alle an mir vorbeiziehen würden,<br />

dann würde ich sicherlich ins Grübeln kommen."<br />

Der neunzehnjährige Nachwuchs-Radsportler Martin Andes<br />

zeigt seinen Schulkollegen bei der Nada-Veranstaltung am<br />

Heinrich-Heine-Gymnasium in Kaiserslautern ein anderes Bild<br />

von seinem Sport. "Echte Kerle dopen nicht" steht auf dem<br />

Trikot des FC Rheinland-Pfalz/Saar, das er und seine Vereinskameraden<br />

wie ein Demonstrationsobjekt tragen. Wichtiger aber<br />

ist ihm ein freiwilliger Akt: "Alle vier Wochen lasse ich neben<br />

den üblichen Dopingkontrollen ein großes Blutbild machen.<br />

Besser kann ich meine saubere Einstellung wohl nicht beweisen."<br />

Auf die Frage: "Was macht Ihr denn, wenn Euch jemand beiseite<br />

nimmt, ein Kumpel oder jemand aus dem Betreuer-Umfeld und<br />

sagt: ‚Hier, nimmt doch dieses Mittelchen, dann bist du schneller?'"<br />

kam prompt die Antwort: "Ich würde das nicht nehmen.<br />

Ich würde petzen." Wie die junge Leverkusener Hürdensprinterin

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