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Ausgabe 6/2008 - Deutsche Olympische Gesellschaft

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die Migranten, die Türken, die Marokkaner, die Griechen, die<br />

Italiener gefragt: ‚Was verstehen Sie unter Sport?'" Heraus<br />

kam: Sport ist für sie Fußball, Basketball, Boxen, Ringen. Mit<br />

Breitensport und Vereinssport hatten sie nichts im Sinn und<br />

erst recht nichts mit Sport für Frauen. "Das Freizeitverhalten<br />

von Südländern ist ganz anders als das von Mitteleuropäern.<br />

Man trifft sich, isst und trinkt viel, man unterhält sich über<br />

Gott und die Welt. Man packt nicht wie bei den <strong>Deutsche</strong>n<br />

üblich die Kinder und geht zum Schwimmen." Daraus folgerte<br />

die Einsicht: "Wir kommen mit den Ideen, Programmen und<br />

Materialien des LSB nicht in die Wohnzimmer der Migranten<br />

und in die Köpfe der Familien." Gül Keskinler hatte dann die<br />

zündende Idee: "Wir müssen die Migranten mit dem Thema<br />

‚Gesundheit' aufrütteln, bei ihren Problemen mit den Gelenken,<br />

dem Rücken, dem hohen Blutdruck oder der Diabetes<br />

einhaken." Sie hat sehr schnell ein Netzwerk von Ärzten,<br />

Ernährungsberatern, Sportsoziologen aufgebaut, die aus dem<br />

jeweiligen Kulturkreis stammten und die Teilnehmer an den<br />

Gesundheitsseminaren in ihrer vertrauten Sprache zu der<br />

Botschaft führten: "Ihr müsst euch bewegen!"<br />

Bei den Türken war die Resonanz besonders gut. "Denn wir<br />

haben die Seminare am Sonntagnachmittag in den Räumlichkeiten<br />

der Moscheen und Kulturvereine gemacht, dort wo<br />

sich die Familie ohnehin trifft." Es sei nicht das Ziel gewesen,<br />

die Großmutter für den Sportverein zu gewinnen. "Aber wenn<br />

die Oma das Sportangebot für Seniorinnen in einem<br />

Moscheeverein annimmt und sich jeden Mittwoch oder<br />

Freitag sportlich betätigt, dann wirkt sie als Vorbild und trägt<br />

das Thema in die Familie." Allmählich stellte sich der Erfolg<br />

ein. Inzwischen sind in Frankfurt am Main, Darmstadt und<br />

Rüsselsheim mehr als sechzig Übungsleiterinnen aus den<br />

verschiedensten Ländern ausgebildet worden. Außer der<br />

Vermittlung sporttechnischer Inhalte wurden die Frauen vor<br />

allem sprachlich so fit gemacht, dass sie sich auch in den<br />

deutschen Sportvereinen ihres Stadtteils behaupten können.<br />

Denn dort haben sie immer noch Widerstände zu überwinden,<br />

auch wenn viele Vereine dabei seien, die alte Sichtweise<br />

zu überwinden: Wer zu uns kommt, muss so sein oder so<br />

werden wie wir.<br />

Eine große Rolle in der Integrationsarbeit spielt für Gül Keskinler<br />

der Fußball. Der ist ihr nicht nur durch ihren Sohn<br />

vertraut. "Die Profis des 1. FC Köln mit Wolfgang Overath, mit<br />

"Toni" Schumacher und Pierre Littbarski haben früher am<br />

Waldrand in Bensberg trainiert. Da waren wir Kinder natürlich<br />

dabei." Mit ihrer Agentur betreute sie zuletzt das Modellprojekt<br />

"Fußball ist das Tor zum Lernen", das vom DFB, der Bundesagentur<br />

für Arbeit, dem Land Hessen und dem Hessischen<br />

Fußballverband getragen wird. Damit wurden im Frankfurter<br />

Raum junge, in der Mehrzahl männliche Langzeit-Arbeitslose<br />

mit Eltern von Einwanderern durch Berufsbildungsmaßnahmen<br />

wieder an eine geregelte Tätigkeit herangeführt. Die<br />

Möglichkeit, die C-Lizenz "Fußballtrainer Breitensport" zu<br />

32<br />

erwerben oder sich als Schiedsrichter ausbilden zu lassen,<br />

trug wesentlich zu ihrer Motivation bei. Von 32 Teilnehmern<br />

blieben 27 bei der Stange und erhielten Praktikumsplätze in<br />

verschiedensten Unternehmen. Ein Erfolg, der es ermöglicht,<br />

in Kürze das Projekt neu aufzulegen.<br />

Schlagzeilen machte Gül Keskinler, als der <strong>Deutsche</strong> Fußball-<br />

Bund sie vor zwei Jahren zu seiner ehrenamtlichen Integrationsbeauftragten<br />

berief. Schon vorher war sie gefragt in<br />

Talkshows von Sabine Christiansen bis Maischberger, nahm<br />

kürzlich wieder am dritten Integrationsgipfel unter der Leitung<br />

von Angela Merkel teil und wurde zur Beratung des<br />

Nationalen Integrationsplans hinzugezogen.<br />

Als kooptiertes Mitglied des DFB-Vorstands eröffnen sich Gül<br />

Keskinler gute Möglichkeiten, ihre Vorhaben im Fußball<br />

durchzusetzen. Nicht zuletzt, da DFB-Präsident Theo Zwanziger<br />

das Thema Integration, das mittlerweile auch im Schulund<br />

Mädchen-Fußball Eingang findet, zur Chefsache gemacht<br />

hat. Inzwischen haben die meisten der 21 Landesverbände<br />

des DFB ebenfalls "Brückenbauer zwischen den Kulturen"<br />

berufen. Gül Keskinler zieht durch die Lande und spricht in<br />

permanenter Überzeugungsarbeit über das gesellschaftliche<br />

Phänomen der Integration durch Fußball, die als nächstes die<br />

Basis der Vereine erreichen soll. "Im türkisch-sprachigen<br />

Fernsehen wollen wir in Talkshows auf die Bildungsangebote<br />

von Vereinen und Verbänden hinweisen und so in die Wohnzimmer<br />

kommen." Ein Großteil der 1.000 Minispielfelder sind<br />

mittlerweile hauptsächlich in Stadtteilen mit hohem Anteil an<br />

Migranten gebaut worden, deren Kinder über den Fußball in<br />

die Gemeinschaft wachsen sollen. Mit solchen Aktionen<br />

könnten, so hofft sie, die latente Diskriminierung abgebaut<br />

und die Gewalt, in der junge Migranten nicht selten ihre<br />

gesellschaftliche Frustration im Fußball ausleben, verringert<br />

werden.<br />

Dazu können Ereignisse wie das EM-Spiel zwischen Deutschland<br />

und der Türkei beitragen, das in entspannter Atmosphäre<br />

über die Bühne ging. "Besonders positive Wirkungen hatten<br />

die Botschaften von Bundestrainer Joachim Löw, wie gastfreundlich,<br />

wie fußballbegeistert die Türken sind. Die türkisch-sprachigen<br />

Medien haben ausführlich darüber berichtet.<br />

Das hat den Türken sehr gut getan", berichtet Frau Keskinler.<br />

Viel verspricht sie sich von der nachrückenden Einwanderer-<br />

Generation. Mustafa Dogan hatte vor neun Jahren als erster<br />

türkischstämmiger Spieler zwei kurze Einsätze in der deutschen<br />

Nationalmannschaft. Der Bremer und frühere Schalker<br />

Mesut Özil wurde U19- und U21-Auswahlspieler, und der<br />

Stuttgarter Serdar Tasci hat es inzwischen auf vier Länderspiele<br />

gebracht. Andere Spieler werden folgen. Und Gül<br />

Keskinler weiß: "Die Jungs identifizieren sich mit der deutschen<br />

Nationalmannschaft und sind stolz darauf, dort zu<br />

spielen. Wir brauchen solche Vorbilder." Als Zugpferde der<br />

Integration.

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