Ausgabe 6/2008 - Deutsche Olympische Gesellschaft
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<strong>Olympische</strong>s Dorf Berlin 1936:<br />
Nicht nur der Sport kehrt zurück<br />
Von Bianka Schreiber-Rietig<br />
Wäre da nicht das Schild, dann würden viele, die bei<br />
Elstal auf der B5 westlich Berlins an dieser Mauer<br />
und den Wohnhausruinen vorbei fahren, gar nicht<br />
wissen, was für ein historischer Ort das ist: "<strong>Olympische</strong>s Dorf"<br />
steht da. <strong>Olympische</strong>s Dorf? Ja, es sind die Athletenunterkünfte<br />
von 1936, als die Nationalsozialisten aus den Spielen ein politisches<br />
Propagandaspektakel machten und auch dieser Ort zur<br />
Strategie des Regimes gehörte.<br />
Zwiespältige Gefühl überkommen den Besucher, wenn er eine<br />
der professionellen Führungen der engagierten Guides mitmacht,<br />
die alle dem Verein Historia Elstal e.V. angehören. Die<br />
Erweiterung der Anlage auf dem Truppenübungsplatz Döberitz<br />
war von der Reichswehr ohnehin geplant, und so kam die Idee<br />
mit dem <strong>Olympische</strong>n Dorf nicht ungelegen.<br />
Das "Dorf des Friedens", von 1934 bis 1936 errichtet, war von<br />
vorneherein als Ausbildungsstätte der Wehrmacht konzipiert:<br />
Verkehrsgünstig gelegen, mit Anbindung an die Fernstraße<br />
Berlin-Hamburg (heutige B5) und eine nahezu geradlinige<br />
Verlängerung der "Via triumphalis" - der olympischen Feststraße<br />
vom Alexanderplatz bis zum Reichssportfeld - waren<br />
für beide Zwecke unschlagbare Standortkriterien. Und nicht<br />
zuletzt bot das Gelände Idylle pur: Die reizvolle Landschaft<br />
war für das Organisationskomitee ein weiterer Grund, die<br />
Sportler aus aller Welt dort unterzubringen. Die Idee des<br />
<strong>Olympische</strong>n Dorfes war zu dieser Zeit relativ neu - in Paris<br />
1924 wurde das erste mangels ausreichender Hotelkapazität<br />
gebaut.<br />
Konzipiert war die Anlage nur für die männlichen Teilnehmer:<br />
4.000 Athleten lebten im "Dorf ohne Frauen", während die 500<br />
Sportlerinnen in den weniger komfortablen Gebäuden Friesenhaus,<br />
Annaheim und Kursistenräumen rund um das Reichssportfeld<br />
untergebracht wurden. Nicht nur strenge Moralvorstellungen,<br />
sondern auch immer noch mangelnde Akzeptanz bei<br />
den Herren der Ringe und den Olympiamachern waren Gründe,<br />
warum die Frauen nicht im Dorf Quartier nehmen durften. Das<br />
Zitat des Gründers der Spiele der Neuzeit, Baron Pierre de<br />
Coubertin, spricht Bände: "Der einzige wirklich olympische Held<br />
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ist ... die vollendet kraftvolle Persönlichkeit. Folglich: keine<br />
Frauen, keine Sportmannschaften."<br />
Die gute Laune verdarb das den Athleten offensichtlich nicht.<br />
Versorgt und betreut von der Reederei Norddeutscher Lloyd<br />
ging es allen gut. Die Männer konnten im <strong>Olympische</strong>n Dorf<br />
trainieren: Sportplatz, Turn- und Schwimmhalle standen zur<br />
Verfügung. Für die Unterhaltung war gesorgt - heile Welt. Lob<br />
nicht nur von Athleten und Betreuern, sondern auch von der<br />
Presse in aller Welt, die vom Dorf als "wahres Paradies"<br />
schwärmte. "Hier draußen ist die Olympiade, hier fühlt man<br />
ihren Pulsschlag..." schrieb eine US-amerikanische Zeitung.<br />
Man kann es sich gut vorstellen an diesem Spätfrühlingstag,<br />
wie die Athleten nach anstrengendem Training vom Sportblatz<br />
herübertraben, nach dem Duschen vor ihren Wohnungen auf<br />
den Terrassen sitzen, zum Speise- oder Festsaal schlendern. Oder<br />
wie am Eingang vom Kommandanten des Dorfes, Freiherr von<br />
und zu Gilsa, die letzten Delegationen mit Pauken und Trompeten<br />
empfangen werden. Verschwommene Bilder von dem<br />
großen schwarzen US-Leichtathleten Jesse Owens oder seinem<br />
deutschen Freund Lutz Long, von US-Zehnkampf-Olympiasieger<br />
Glenn Morris oder dem japanischen Marathonsieger Kitei Son,<br />
dem deutschen Läufer Rudolf Harbig oder Gewichtheber Rudolf<br />
Ismayer werden lebendig. Ob sie die Politik in ihren Gesprächen<br />
ausklammern konnten? Zwei Wochen ohne Rassendiskriminierung,<br />
ohne Diffamierung, ohne Hass? Keine Fragen nach den<br />
jüdischen Teamkollegen, die aus der deutschen Mannschaft<br />
nahezu alle ausgeschlossen worden waren?<br />
Trotz der unbeschwerten Stimmung war sicher Vorsicht geboten,<br />
mit wem und worüber man sprach. Athleten, die sich hier<br />
als Freunde begegneten, trafen sich später als Feinde auf den<br />
Schlachtfeldern wieder. Viele von ihnen fielen nicht nur im<br />
Krieg, sondern wurden in Konzentrationslagern umgebracht.<br />
Heute liegt über dem Dorf eine merkwürdige Ruhe, aber auch<br />
etwas Bedrückendes. Die Stimme des Guides holt den Besucher<br />
in die Realität zurück. Gerade schildert er, wie 550.000 Quadratmeter<br />
des Geländes neu gestaltet, Erdmassen hin und her