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Urheberrecht in digitalisierter Wissenschaft und Lehre - TIB

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6. Kartellrechtliche Zwangslizenzen<br />

Prof. Dr. Thomas Hoeren<br />

Denkbar wäre auch e<strong>in</strong>e kartellrechtliche Erweiterung der Schranken <strong>in</strong> besonderen E<strong>in</strong>zelfällen.<br />

Ausgangspunkt ist Art. 82 EGV 98 <strong>und</strong> die dort verankerte Missbrauchskontrolle bei<br />

marktbeherrschenden Unternehmen.<br />

Berühmt ist die hierzu ergangene Entscheidung des EuGH <strong>in</strong> Sachen Magill. Hier bejahte der<br />

EuGH die Möglichkeit, die Ausübung urheberrechtliche Verwertungsrechte kartellrechtlich zu<br />

überprüfen. Im konkreten Fall hatten BBC <strong>und</strong> ITV dem kanadischen Verleger den Zugriff auf<br />

Listen verweigert, <strong>in</strong> denen das Fernsehprogramm der kommenden Wochen enthalten war. Magill<br />

brauchte die Listen, um e<strong>in</strong>e Fernsehzeitschrift auf den Markt zu br<strong>in</strong>gen. BBC <strong>und</strong> ITV beriefen<br />

sich auf ihr nach britischem Recht bestehendes <strong>Urheberrecht</strong> an den Programmlisten, obwohl sie<br />

selbst auf dem Markt für Programmzeitschriften nicht tätig waren. Dies sah der EuGH als<br />

möglichen Missbrauch e<strong>in</strong>er marktbeherrschenden Stellung an. 99 Allerd<strong>in</strong>gs beschränkte der<br />

EuGH e<strong>in</strong>e solche Anwendung des Kartellrechts bei urheberrechtlichen Konstellationen auf<br />

„außergewöhnliche Umstände“.<br />

Die genaue Auslegung der „außergewöhnlichen Umstände“ überließ der EuGH der Entscheidung<br />

im Fall „Bronner“. 100 Die Lieferung solcher Informationen sei für die Herausgabe des<br />

Programmführers „unentbehrlich“ gewesen. Auch sei die Weigerung „nicht durch sachliche<br />

Erwägungen gerechtfertigt“ gewesen. Schließlich sei sie geeignet, „jeglichen Wettbewerb auf dem<br />

abgeleiteten Markt“ auszuschließen. Insofern bedarf es dreier kumulativ zu prüfender Kriterien<br />

für die Annahme e<strong>in</strong>es Kontrahierungszwanges: Die Weigerung zum Abschluss von<br />

Lizenzverträgen muss geeignet se<strong>in</strong>, jeglichen Wettbewerb auf dem betreffenden Markt<br />

auszuschalten. Die Weigerung ist nicht objektiv gerechtfertigt. Die verweigerte Leistung ist<br />

unentbehrlich, d.h. tatsächlich <strong>und</strong> potenziell unersetzbar; der Kontrahierungszwang ist hiernach<br />

ultima ratio gegenüber dem Aufbau eigener Informationsbeschaffungs- <strong>und</strong> Vertriebsstrukturen.<br />

Neben dem Magill-Fall bietet auch das Verfahren <strong>in</strong> Sachen IMS Health 101 Anlass, über die<br />

Grenzen der Ausübung urheberrechtlicher Befugnisse zum Ausbau der eigenen Stellung am<br />

Markt <strong>und</strong> vor allem zur Marktkontrolle nachzudenken. Am 3. Juli 2001 veröffentlichte die EU<br />

Kommission ihre Entscheidung, wonach IMS Health, der Weltmarktführer bei der Sammlung von<br />

Daten über den Absatz von Arzneimitteln, Lizenzen für se<strong>in</strong>e Struktur „1860 Bauste<strong>in</strong>e“ zu<br />

erteilen habe. 102 Diese Datenstruktur erlaubt es, das Gebiet der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland <strong>in</strong><br />

Absatzsegmente, so genannte Bauste<strong>in</strong>e, zu unterteilen; dieser Standard hat sich zu e<strong>in</strong>er<br />

landesweiten Norm für die deutsche Pharma<strong>in</strong>dustrie entwickelt. Die Kommission sah die<br />

98<br />

Zur Zwangslizenzierung nach § 24 PatG siehe das jüngste Urteil des BGH vom 13. Juli 2004 – KZR 40/02.<br />

99<br />

EuGH, GRUR Int. 1995, 316 = EuGHE 1995, 743 Rdnr. 54 – 56. Siehe dazu Deselaers, EuZW 1995, 563 ff.;<br />

Bechtold, EuZW 1995, 345 ff.; Gött<strong>in</strong>g, JZ 1996, 307 ff.; Pilny, GRUR Int. 1995, 956 ff.<br />

100<br />

EuGH, EuZW 1999, 86 = NJW 1999, 2259.<br />

101<br />

Siehe dazu auch: Frank Immenga „Das EU Wettbewerbsrecht bedroht das <strong>Urheberrecht</strong>“ <strong>in</strong> FAZ vom 09. Mai<br />

2001 S.29<br />

102<br />

Case COMP D3/38.044 – NDC Health/IMS Health: Interim Measures; die Entscheidung beruht auf Art. 3 der<br />

Verordnung Nr. 17.<br />

55

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