Seelenpflege 2016-3-4 Spezial
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Berichte | Reports<br />
«In der Begegnung leben»<br />
Europäische Kongresse für Menschen mit Behinderungen<br />
Von Thomas Kraus<br />
Ich möchte allen danken, die diesen Impuls unterstützt haben. Ich<br />
werde darauf verzichten, Namen zu nennen, weil ich niemanden<br />
unerwähnt lassen oder gar vergessen möchte. Jede Persönlichkeit<br />
fühle sich angesprochen, die aktiv zum Gelingen beigetragen hat,<br />
auch diejenigen, die nicht mehr unter uns weilen!<br />
Vor zwanzig Jahren begannen in Berlin die Vorbereitungen<br />
zu einem ersten Kongress für Menschen mit Behinderungen.<br />
Das war kein leichtes Unternehmen. Es<br />
liessen sich kaum behindertengerechte Unterkünfte finden,<br />
selbst die Kongresszentren waren misstrauisch: Behinderte<br />
in solch grosser Anzahl würden doch bestimmt<br />
Schäden verursachen. Überhaupt, warum sollte man<br />
ausgerechnet für diesen Personenkreis einen Kongress<br />
durchführen, denn die meisten würden doch sowieso<br />
davon nichts mitbekommen. Dies in Frage zu stellen war<br />
ein Motiv, es dennoch zu wagen. Menschen mit Behinderungen<br />
Fachveranstaltungen zu ermöglichen, bei denen<br />
nicht über sie debattiert wird, sondern sie selbst die<br />
massgeblichen Sprecher sind, das war und ist bis heute<br />
ein Novum. Die angestrebten 300 Teilnehmenden konnten<br />
zum vorgesehenen Anmeldeschluss nicht erreicht<br />
werden. Lediglich 10% hatten sich bis dahin registriert.<br />
Die Nachfrage in den Lebensgemeinschaften und Einrichtungen<br />
auch über Deutschland hinaus ergab, dass man<br />
es für ziemlich gewagt hielt, seine «Betreuten» in eine<br />
Grossstadt reisen und an einem Kongress teilnehmen zu<br />
lassen. Die Sorge vor negativen Einflüssen war gross.<br />
Trotzdem wurde die Idee nicht aufgegeben und es gelang,<br />
1998 den ersten Europäischen Kongress mit 500<br />
Menschen in Berlin durchzuführen. Das war die Wende.<br />
Beispielsweise durch einen erkenntnistheoretischen Vortrag,<br />
der den Teilnehmenden zu mehr Selbstbewusstsein<br />
verhalf. Oder abends beim Buffet, als die ersten Besucher<br />
ihre gefüllten Teller denjenigen reichten, die dazu nicht<br />
selbständig in der Lage waren. Leute, die bisher nur Wiesen<br />
und Schafe gesehen hatten, staunten nicht schlecht<br />
über die Flugzeuge bei einer Exkursion zum Berliner Flughafen.<br />
Die Eindrücke dieses Begegnungsfestes waren so<br />
stark und die Forderung der Mitwirkenden so eindeutig,<br />
dass der Kongressimpuls fortgesetzt werden musste!<br />
Fast wäre dies jedoch gescheitert, da sich niemand fand,<br />
‹Living in the Encounter›<br />
European Congresses for People with Special<br />
Needs<br />
By Thomas Kraus<br />
I would like to thank everyone who has supported this impulse.<br />
So as to be certain that I am not forgetting anyone, I<br />
will avoid naming names. I direct these words personally to<br />
all who have taken an active part in this success, whether<br />
living or no longer with us!<br />
Twenty years ago, preparations began in Berlin for<br />
the first congress for people with disabilities. It was<br />
not an easy undertaking. It was almost impossible to<br />
find accessible lodgings, and even the conference centres<br />
were wary: Large numbers of people with disabilities<br />
were sure to cause damage. And why would<br />
we even want to hold a congress for this particular<br />
group of people, when most of them wouldn’t even<br />
get anything out of it? One of our motivations for<br />
daring to do so was to challenge this question. Enabling<br />
people with disabilities to attend congresses at<br />
which they are not the subject of debate but are rather<br />
the speakers themselves – this was, and still is, a novelty.<br />
The goal of 300 participants was not reached by the<br />
chosen registration deadline: only 10% had registered<br />
by that time. Inquiries in the lifesharing communities<br />
and institutions in Germany revealed that sending<br />
their ‹villagers› to a large city to take part in a conference<br />
was seen as rather risky. There was great fear of<br />
negative influences.<br />
Nevertheless, we did not give up, and in 1998 we were<br />
able to successfully hold the first European Congress<br />
in Berlin with 500 participants. This was the turning<br />
point. Perhaps it was the cognitive science lecture,<br />
which helped participants achieve more self-confidence.<br />
Or the evening buffet, where the first visitors<br />
handed their full plates to those who were not able to<br />
serve themselves. People who had never seen anything<br />
but fields and sheep were amazed at the airplanes on<br />
an excursion to the Berlin airport. The impressions<br />
from this festival of encounters were so strong and the<br />
demand from participants so clear that the congress<br />
impulse simply had to continue!<br />
However, this was very nearly a failure when we were<br />
unable to find anyone to take up the task after the first<br />
congress. So I took on the responsibility for the impul-<br />
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