Seelenpflege 2016-3-4 Spezial
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Beiträge | Contributions<br />
Über die Grundlagen der Heilpädagogik<br />
Von Ita Wegman<br />
Wiederholt hat Rudolf Steiner darauf hingewiesen, dass<br />
für denjenigen, der von einer umfassenden Welt- und<br />
Menschenerkenntnis ausgeht, der Pädagoge bis zu<br />
einem gewissen Grade ebenso ein Heiler ist wie der Arzt.<br />
Und daneben steht der Ausspruch Rudolf Steiners, der<br />
besagt, dass der Arzt, der im wahren Sinne ein Heiler<br />
sein will, die Erziehungskunst, im weitesten Sinne aufgefasst,<br />
in sich lebendig haben muss, mit dem Bewusstsein,<br />
dass die Heilkunst in engster Verbindung mit der<br />
Initiationswissenschaft steht. Beide Hinweise wird auch<br />
derjenige voll und ganz verstehen, der sich ernstlich mit<br />
demjenigen befasst hat, was die Geisteswissenschaft<br />
an Erkenntnisgut für das Verständnis der menschlichen<br />
Entwickelung und im Besonderen der Entwickelung im<br />
kindlichen Alter gegeben hat. Und so musste natürlicherweise<br />
das Heilen und Erziehen miteinander verbunden<br />
werden, um zu einer speziellen Heilpädagogik zu kommen;<br />
zu einer solchen Heilpädagogik, die ihr Entstehen<br />
dem anthroposophischen Wissen verdankt, und zu der<br />
uns Rudolf Steiner hingeführt hat.<br />
Es soll nun im Folgenden vom ärztlichen Standpunkte<br />
aus dargestellt werden, wie die Krankheitszustände mit<br />
körperlichen und seelischen Entwickelungsstörungen im<br />
Kindesalter zu betrachten sind, und in welcher Weise<br />
Heilpädagogik in Anwendung kommen kann.<br />
So wissen wir, dass das Kind in seiner Entwickelung<br />
nach Leib, Seele und Geist durch ganz verschiedene Lebensepochen<br />
hindurchgehen muss, dass es in den verschiedenen<br />
Lebensaltern in ganz verschiedener Weise<br />
der Aussenwelt gegenübersteht, und dass auch seine<br />
physiologischen Vorgänge in den einzelnen Lebensphasen<br />
sich wesentlich voneinander unterscheiden. Wir<br />
müssen uns vorstellen, dass das Kind durch die Geburt<br />
den physischen Leib erhält, der ihm durch die Eltern<br />
zukommt. Es ist eine Art Modell eines physischen Leibes,<br />
behaftet mit den Merkmalen der Vererbung, in das<br />
hinein das Kind geboren wird, und in das es nach und<br />
nach mit seinen höheren Wesensgliedern untertauchen<br />
muss. Diesen physischen Leib, dieses durch die Eltern<br />
vererbungsmässig erhaltene Modell muss das geistigseelische<br />
Wesen, das sich in diesem Leib verkörpert hat,<br />
allmählich umgestalten, um sich darin seinem eigenen<br />
Wesen entsprechend entfalten zu können. Dies vollzieht<br />
Zeitschrift <strong>Seelenpflege</strong> <strong>Spezial</strong> / <strong>2016</strong><br />
sich in den ersten sieben Lebensjahren, und diese Umgestaltung<br />
ist umso intensiver, je stärker das individuelle,<br />
geistig-seelische Wesen des Kindes ist.<br />
Aufgabe der Erziehung ist es nun, in dieser Lebensepoche<br />
dem Kinde zu helfen, in gesunder Weise sich seinen<br />
neuen physischen Leib zu gestalten, und alle diejenigen<br />
Einflüsse von ihm fernzuhalten, die es bei dieser Arbeit<br />
stören können. Denn das Kind ist in den ersten sieben<br />
Lebensjahren wie ein einziges grosses Sinnesorgan zu<br />
betrachten das auf alle Vorgänge seiner Umgebung mit<br />
seiner ganzen Organisation nachahmend reagiert. Und<br />
alles, was von aussen her an Unharmonischem an das<br />
Kind herandringt, macht es krank, weil es die höheren<br />
Wesensglieder in ihrer Arbeit an einem gesunden Aufbau<br />
der leiblichen Organisation hemmt.<br />
Diese Arbeit an seiner physischen Leiblichkeit nimmt<br />
das Geistig-Seelische des Kindes in der Zeit von der Geburt<br />
bis zum Zahnwechsel voll und ganz in Anspruch.<br />
Und zeigt sich das geistig-seelische Wesen stark, dann<br />
werden die Vererbungskräfte im physischen Leib überwunden,<br />
was jedoch meist nicht ohne Kampf vor sich<br />
gehen kann. Und dieser Kampf führt dann zu den sogenannten<br />
Kinderkrankheiten, die ja in dieser Zeit des Kindesalters<br />
besonders häufig auftreten. Auch alle anderen<br />
akuten Krankheiten in diesem Alter können gewissermassen<br />
betrachtet werden als ein Kämpfen der geistigseelischen<br />
Individualität gegen den vererbten Leib, das<br />
sogenannte Modell.<br />
Die Krankheit ist also hier schon als ein natürlicher Heilvorgang<br />
zu betrachten, und ein Arzt, der diese Vorgänge<br />
in rechter Weise versteht, wird sogleich zum Erzieher, der<br />
das Kind in solche Verhältnisse bringt, wo die Krankheit<br />
und dasjenige, was aus ihr entstehen kann, dahin gelenkt<br />
wird, dass es für die Entwickelung des Kindes förderlich<br />
ist.<br />
Hier kann man also schon sehen, wie eng das Heilen mit<br />
dem Erziehen verbunden ist. Und noch intensiver wird<br />
der Arzt eingreifen müssen, wenn es sich um konstitutionelle<br />
Krankheiten mit körperlichen und seelischen<br />
Entwickelungsstörungen handelt. Da wird der Arzt noch<br />
mehr zum Heilpädagogen werden müssen, indem er vor<br />
der Notwendigkeit steht, neben seinen medikamentösen<br />
Verordnungen noch individuelle, dem Wesen und<br />
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