Seelenpflege 2016-3-4 Spezial
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Beiträge | Contributions<br />
sein ist. Der Begriff Geistesgegenwart weist in treffender<br />
Weise auf den erforderlichen Zustand hin. Es soll Geistiges<br />
realisiert werden. Auf diesem scheinbaren Nichts,<br />
dem Augenblick, baut sich die ganze Pädagogik auf.<br />
Steiner drückt es in diesen Worten aus: «Aber wenn man<br />
zum Wirken aus dem Geistigen kommt, muss man sich<br />
täglich, stündlich vor Entscheidungen gestellt fühlen, bei<br />
jeder Tat sich vor die Möglichkeit gestellt fühlen, sie tun<br />
zu können oder unterlassen zu können, oder sich völlig<br />
neutral verhalten zu können. Und zu diesen Entscheidungen<br />
gehört eben Mut, innerer Mut. […] Und der erwacht<br />
nur, wenn man sich die Grösse der Dinge immer vor<br />
Augen stellt: du tust etwas, was die Götter sonst tun im<br />
Leben zwischen Tod und nächster Geburt. Das zu wissen,<br />
ist von gar grosser Bedeutung. Nehmen Sie das meditierend<br />
auf.» (Steiner 1975, S. 41)<br />
Uns mit dem Ganzen verbinden<br />
Das kleine Kind wagt die ersten Schritte in die Welt aus der<br />
Sicherheit der Bindung, die es zu einem Menschen erfahren<br />
durfte. Die innere Sicherheit schafft die Voraussetzung,<br />
die Welt zu entdecken und die Entdeckungen ihrerseits<br />
stärken das Selbstvertrauen des Kindes. Beziehungen zu<br />
andern Menschen machen uns für andere sichtbar und wir<br />
werden gleichzeitig auch für uns selbst sichtbar.<br />
Beziehungen brauchen eine vielseitige Unterstützung. Sie<br />
sind störungsanfällig und wollen gepflegt sein.<br />
Die alltäglichen Erlebnisse müssen verarbeitet werden.<br />
Erleben wir Dinge, die wir als Misserfolge einstufen, neigen<br />
wir dazu, uns von der Welt zu trennen und ziehen<br />
uns zurück in sichere Räume. Schnell kann sich die Beziehung<br />
mit Angst und Verurteilungen füllen. Wollen wir<br />
dieser Tendenz entgegenwirken, brauchen wir sichere<br />
Räume, in denen die Maske sich nicht verhärtet, sondern<br />
abgelegt werden kann.<br />
Es ist die Aufgabe der Erziehung, den Kindern eine unvoreingenommene<br />
Beziehung zur Welt zu ermöglichen, sie<br />
im Spannungsfeld von Ich und Welt, mikrokosmischem<br />
Mittelpunkt und Makrokosmos zu begleiten. «Denken<br />
Sie sich, lebendig das gefühlt, was das bedeutet! Wie da<br />
die Idee vom Weltenall und seinem Zusammenhang mit<br />
dem Menschen übergeht in ein Gefühl, welches durchheiligt<br />
alle einzelnen Vornahmen des Unterrichts. Ohne<br />
dass wir solche Gefühle vom Menschen und dem Weltenall<br />
haben, kommen wir nicht dazu, ernsthaft und richtig<br />
zu unterrichten», mahnt Steiner. (Steiner 1992, S. 156)<br />
Auch Martin Buber beschreibt dieses Spannungsfeld:<br />
«Heilen wie erziehen kann nur der gegenüber Lebende<br />
und doch Entrückte.» (Buber 1995)<br />
Beide Zitate weisen auf die grundlegende Bedeutung des<br />
Menschen für den Entwicklungsprozess des Kindes hin.<br />
Angesichts der fortschreitenden Umweltzerstörung und<br />
der Kriege in vielen Ländern kann man sich aber durchaus<br />
fragen: Braucht es den Menschen wirklich? Viele junge<br />
Menschen vertreten die Ansicht, dass es den Menschen<br />
in dieser Welt nicht brauche; er sei ein Störfaktor, der die<br />
Natur und damit seine eigene Lebensgrundlage und die<br />
anderer Lebewesen zerstöre. Prüfen Sie sich selbst und<br />
fragen Sie sich, ob Sie felsenfest davon überzeugt sind,<br />
dass es den Menschen braucht.<br />
Das Ja zum Menschen bildet die Grundlage eines echten<br />
Vertrauens in unsere Existenz. Allen voran stellt die<br />
Bibel das Ja ins Zentrum: Liebe deinen Nächsten wie dich<br />
selbst. Das Finden des Menschen in uns selbst gibt unserem<br />
Dasein den Sinn.<br />
Sein Inneres, das eigentlich Menschliche zu zeigen, ist<br />
jedoch ein Risiko. Wir verfallen schnell in ein Rollenspiel<br />
und tragen eine Maske, die das Innere verhüllt. Nelson<br />
Mandela weist in seiner Antrittsrede darauf hin, indem er<br />
aus dem Buch «A Return to Love» von Marianne Williamson<br />
(1992) zitiert:<br />
Unsere tiefste Angst ist nicht,<br />
dass wir unzulänglich sind.<br />
Unsere tiefste Angst ist,<br />
dass wir unermesslich machtvoll sind.<br />
Es ist unser Licht, das wir fürchten,<br />
nicht unsere Dunkelheit.<br />
Für das Verständnis des Menschen ist das Zusammenspiel<br />
des kleinen irdischen und grossen kosmischen<br />
Menschen, von Punkt und Umkreis, notwendig. So erst<br />
entsteht ein ganzheitliches, dynamisches Menschenbild,<br />
das immer wieder neu erschaffen werden kann.<br />
Aus der Sicht des Ganzen erscheint das Einzelne stets<br />
in einem Zusammenhang, in dem nichts nur um seiner<br />
selbst willen existiert, sondern um des Ganzen willen.<br />
Wie auch der Mensch beschaffen ist, mit vielen Talenten<br />
oder wenigen, er ist einmalig und nicht auswechselbar.<br />
Er hat seinen Platz in der Weltordnung.<br />
Sinn finden<br />
Die Aufgabenstellung für die Erziehenden ergibt sich aus<br />
den Entwicklungsbedürfnissen der Kinder. Dabei geht es<br />
nicht um Zielvorgaben, sondern um Sinnfindung. Die Individualität<br />
ist bestrebt, ihren Sinn zu finden und alles<br />
was ihr dabei helfen kann, ist eine Bereicherung. Sie<br />
steht nicht in Konkurrenz zu andern Individualitäten.<br />
Wenn wir für den Sinn leben, gibt es keine Konkurrenz.<br />
Das gilt auch für die Institution Schule oder Kinder-<br />
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