03.10.2013 Aufrufe

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 01/2013

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 01/2013

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 01/2013

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Themen <strong>der</strong> Zeit<br />

Von <strong>der</strong> ¹Chirurgischen Schuleª zur evidenzbasierten <strong>Chirurgie</strong><br />

Empirie, Evidenz, Empathie<br />

100 Jahre Mittelrheinische Chirurgenvereinigung (Frankfurt am Main, 28.09.2<strong>01</strong>2)<br />

A. Encke<br />

Geht man von <strong>der</strong> ¹Chirurgischen Schuleª als traditioneller Organisationsform<br />

und von <strong>der</strong> evidenzbasierten Medizin (EbM) als<br />

einem wissenschaftlichen Konzept aus, könnte mein Thema<br />

auch lauten ¹Von <strong>der</strong> Empirie zur Evidenzª.<br />

Mit meinem Vortrag möchte ich zeigen, dass EbM nicht die Ablösung<br />

<strong>der</strong> Chirurgischen Schule und <strong>der</strong> Expertenmeinung, son<strong>der</strong>n<br />

eine sehr wichtige, heute wohl unabdingbare Ergänzung bedeutet.<br />

Der Arzt schwört mit dem Eid des Hippokrates ¼, ¹dass ich meinen<br />

Lehrer in dieser meiner Kunst gleich achten werde meinen<br />

leiblichen Elternª.<br />

Medizin- und Chirurgenschulen gab es schon im Altertum, so in<br />

China, Mesopotamien, ¾gypten, Arabien und Indien, <strong>für</strong> uns vertrauter<br />

die Hippokratiker in Griechenland und in Rom Galen, dessen<br />

Lehre die europäische Medizin bis weit ins Mittelalter geprägt<br />

hat (18).<br />

Mit dem Begriff ¹Medizin- o<strong>der</strong> Chirurgenschulenª verbinden wir<br />

historisch zunächst Orte wie Bologna, Salerno, Montpellier, Paris<br />

± seit dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t v.a. Persönlichkeiten. Dabei spielen<br />

in <strong>der</strong> <strong>Chirurgie</strong> weniger Lehrmeinungen als vielmehr die gesamte<br />

Persönlichkeit des Lehrers und Wissenschaftlers, des Menschen<br />

und Arztes und nicht zuletzt des Operateurs, dessen tägliche Arbeit,<br />

Erfolge und sein Umgang mit Misserfolgen und Fehlern wie<br />

in keinem an<strong>der</strong>en Fach <strong>für</strong> alle Mitarbeiter offen liegen, die entscheidende<br />

Rolle. Das Handwerkliche, ein bleiben<strong>der</strong> Bestandteil<br />

<strong>der</strong> <strong>Chirurgie</strong>, ist ohne die Erfahrungen und Errungenschaften früherer<br />

Meister nicht zu denken.<br />

Die Vorbildfunktion gewinnt damit eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung.<br />

Jede nachfolgende chirurgische Generation sucht die Wurzel ihrer<br />

eigenen Entwicklung in <strong>der</strong> Biografie und im unmittelbaren<br />

Vorbild des chirurgischen Lehrers. Theodor Billroth definierte die<br />

Schule deshalb auch als ¹geistige Haltungª, beispielsweise in <strong>der</strong><br />

Weitergabe von Verhaltensmustern, Lebenserfahrung und<br />

Grundwerten <strong>der</strong> <strong>Chirurgie</strong> (18).<br />

20 Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong> ± <strong>Mitteilungen</strong> 1/13<br />

Gegründet 1872<br />

Sitz Berlin<br />

Allerdings ¹sollen wir nicht bei den Ideen <strong>der</strong> Lehrer stehen bleiben,<br />

son<strong>der</strong>n sie fortentwickelnª ± so Wölfler in seinem Nekrolog<br />

auf Billroth.<br />

Und treffend erscheint <strong>der</strong> Ausspruch des Komponisten und Dirigenten<br />

Gustav Mahler: ¹Tradition ist die Weitergabe des Feuers<br />

und nicht die Anbetung <strong>der</strong> Ascheª. ± Dieses Zitat geht im Übrigen<br />

schon auf Thomas Morus (1477±1535) im 15. Jahrhun<strong>der</strong>t zurück<br />

(22).<br />

Zur chirurgischen Tradition gehören natürlich auch Fehleinschätzungen.<br />

Dazu 3 Beispiele:<br />

Unter das Referat <strong>der</strong> Arbeit Rydigiers ¹Die erste Magenresektion<br />

beim Magengeschwürª im Zentralblatt <strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong> (1882)<br />

schrieb die Redaktion als Fuûnote ¹Hoffentlich auch die letzteª.<br />

Im gleichen Jahr schrieb Theodor Billroth: Die Eröffnung des<br />

Herzbeutels ist ¹eine Operation, die nach meiner Auffassung erreicht,<br />

was einige Chirurgen Prostitution <strong>der</strong> chirurgischen Kunst,<br />

an<strong>der</strong>e eine chirurgische Frivolität nennenª. Er fährt fort ¼ ¹Einige<br />

¾rzte planen die kühnsten Operationen. Bis jetzt wurden solche<br />

glücklicherweise nicht verwirklicht ¼ Ein Chirurg, <strong>der</strong> versuchte,<br />

eine Wunde des Herzens zu nähen, verlöre die Achtung seiner<br />

Kollegenª. ± Wir Frankfurter denken dabei an die erste Herznaht<br />

durch Ludwig Rehn im Jahre 1896. Letzterer war im Übrigen nie<br />

Schüler eines anerkannten Chirurgen. Den Werdegang und die<br />

originären Leistungen von Ludwig Rehn, Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mittelrheinischen<br />

Chirurgenvereinigung, hat Herr Sachs bereits dargestellt.<br />

19<strong>01</strong>, also vor mehr als 100 Jahren, konstatierte Ernst Ferdinand<br />

Küster in Marburg: ¹Die Hauptarbeit ist getan, und <strong>für</strong> unsere<br />

Nachfolger bleibt nur eine kärgliche Nachlese übrigª.<br />

Gegen Ende des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts war wegen <strong>der</strong> notwendig gewordenen<br />

Spezialisierung zunächst eine Trennung von ¹Medizinernª<br />

und ¹Schnittärztenª gefor<strong>der</strong>t worden, wobei <strong>der</strong> Jenenser

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!