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Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 01/2013

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Themen <strong>der</strong> Zeit<br />

durch die Geschäftsführung und Qualitätsmanagement verhängte<br />

Kontrolle wächst und sie kränkt die ¾rzte zuweilen, weil die<br />

Kontrolle bedeutet, dass ¾rzte kontrolliert werden müssen, damit<br />

sie gut handeln.Das heiût, man traut ¾rzten nicht zu, dass sie von<br />

sich aus gut handeln, son<strong>der</strong>n man muss sie kontrollieren und sie<br />

mit finanziellen Anreizen unterfüttern, damit sie das Richtige tun.<br />

Das ist <strong>der</strong> homo oeconomicus, <strong>der</strong> einfach dem Bild des Arztes<br />

als einem Helfer, <strong>der</strong> bedingungslos und vollkommen selbstverständlich<br />

hilft, diametral gegenübersteht.<br />

Es gibt kaum mehr fachliche Ermessensspielräume <strong>für</strong> den Arzt.<br />

Immer weniger wird es <strong>der</strong> genuin ärztlichen Erfahrung überlassen,<br />

was zu entscheiden ist.Stattdessen wird dem Arzt im Detail<br />

vorgeschrieben, was er zu tun hat.Dieses Handeln nach Vorgaben,<br />

fast schon nach Gebrauchsanweisungen, hat eigentlich<br />

nichts professionell ¾rztliches mehr an sich.Vielmehr ist im Zuge<br />

<strong>der</strong> Ökonomisierung eine politisch gewollte Deprofessionalisierung<br />

<strong>der</strong> ¾rzteschaft zu verzeichnen.Je mehr ökonomische Anreize<br />

die ¾rzte erhalten, desto mehr verlieren sie ihre Freiheit,<br />

sich ausschlieûlich an die professionseigenen Regeln ihrer erlernten<br />

Kunst zu halten.Sie geben das Fundament <strong>für</strong> die Ausübung<br />

ihrer Profession auf.Der Arzt wird tagtäglich in einen Rollenkonflikt<br />

getrieben, den er nur dann glaubt, bewältigen zu können,<br />

wenn er sich von den hehren Idealen seines freien Berufs<br />

verabschiedet und sich an den betriebswirtschaftlichen Vorgaben<br />

und Sachzwängen orientiert.Dass dies einem Ausverkauf des<br />

¾rztlichen und damit einem Ausverkauf <strong>der</strong> Vertrauenswürdigkeit<br />

<strong>der</strong> Medizin gleichkommt, wird dabei übersehen.<br />

5. Aushöhlung des sozialen Charakters <strong>der</strong> Medizin<br />

Das Gravierende dieser ökonomischen Überformung des ¾rztlichen<br />

ist die Tatsache, dass eine <strong>für</strong>sorgliche Praxis zur marktförmigen<br />

Dienstleistung transformiert wird.Dies hat schon Niklas<br />

Luhmann treffend auf den Punkt gebracht, als er sagte: ¹Mit dem<br />

Pathos des Helfens ist es vorbei, denn Geld gilt heute als das effektivere<br />

¾quivalent <strong>für</strong> Hilfe und Dankbarkeit.ª (Luhmann 1973,<br />

S.37) ± Über diese zentrale Umformung, die mit einer Abschaffung<br />

des ¹Pathos des Helfensª einhergeht, muss man näher nachdenken,<br />

wenn man erfassen will, was die Ökonomie mit <strong>der</strong> Medizin<br />

macht.Das heiût ja nichts an<strong>der</strong>es als dass es heute in Zeiten<br />

<strong>der</strong> Ökonomie gleichgültig zu sein hat, ob man als Arzt das innere<br />

Bestreben hat zu helfen o<strong>der</strong> nicht.Die Haltung, sie soll irrelevant<br />

sein, weil heute etwas an<strong>der</strong>es vom Arzt verlangt wird.Wir erleben<br />

heute eine totale Bindung an Programme und Vorgaben, wir<br />

erleben nicht weniger als eine komplette Verrechtlichung <strong>der</strong> ärztlichen<br />

Hilfe, die dann eben keine Hilfe mehr zu sein hat, son<strong>der</strong>n<br />

die Abgabe eines qualitätsgesicherten Produkts.Natürlich muss<br />

<strong>der</strong> Output stimmen, aber mit dem Output allein ist noch keine humane<br />

Medizin realisiert.Gerade die Konfrontation mit einer ernsthaften<br />

Erkrankung führt den Menschen an Grenzerfahrungen he-<br />

30 Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong> ± <strong>Mitteilungen</strong> 1/13<br />

ran, und viele Patienten können sich nicht damit begnügen, so<br />

eine Art ausgewiesenen Ingenieur <strong>für</strong> den Menschen als Arzt zu<br />

haben, bei dem alle Zahlen stimmen, son<strong>der</strong>n sie werden doch<br />

immer darauf angewiesen sein, in ihrer existenziellen Grun<strong>der</strong>fahrung<br />

auf eine Persönlichkeit zu stoûen, nicht nur auf einen<br />

Könner, son<strong>der</strong>n auf eine Persönlichkeit, bei <strong>der</strong> sie sich menschlich<br />

aufgehoben fühlen.Dieses Hoffenwollen auf eine Persönlichkeit,<br />

<strong>der</strong> man menschlich vertraut, wird man nicht abstellen können<br />

durch die Lieferung eines perfekten Produkts.Die Orientierung<br />

am guten Outcome, am messbaren Outcome ist eine notwendige<br />

Bedingung <strong>für</strong> eine gute Medizin, aber sie ist eben nicht<br />

hinreichend.Denn die Begegnung von Arzt und Patient bleibt unweigerlich<br />

auf ein Vertrauenkönnen angewiesen, weil es hier oft<br />

um existenzielle Erfahrungen geht, die mehr erfor<strong>der</strong>n.<br />

6. Verlust <strong>der</strong> Kultur menschliche Anteilnahme<br />

Gegründet 1872<br />

Sitz Berlin<br />

Hier sehen wir, wo die Grenzen ökonomischen Denkens liegen,<br />

das sind die Grenzen <strong>der</strong> sich verän<strong>der</strong>nden Grundhaltungen.<br />

Das Gefährliche <strong>der</strong> Ökonomisierung liegt darin, dass die Ökonomie<br />

die Charaktere, die Grundeinstellungen verän<strong>der</strong>t.In einem<br />

ökonomisierten System gibt es keine Helfer mehr, son<strong>der</strong>n<br />

Dienstleistungsanbieter, in einem ökonomisierten System gibt es<br />

keine Sorge <strong>für</strong> den An<strong>der</strong>en mehr, son<strong>der</strong>n es gibt die Lieferung<br />

einer bestellt und vertraglich vereinbarten Gesundheitsware.Die<br />

Ökonomie bringt also nichts an<strong>der</strong>es zuwege als die Ablösung<br />

des Vertrauensverhältnisses durch ein Vertragsverhältnis.Das<br />

ist das Geschäftsmodell, das stillschweigend eingeführt wird.<br />

Der gröûte Schaden, den das rein ökonomische Denken anrichtet<br />

ist letzten Endes die emotionale Distanzierung vom Patienten, ist<br />

nichts an<strong>der</strong>es als die Einführung eines perfekten Services, aber<br />

ohne Mitimplementierung des Wesentlichen, nämlich <strong>der</strong> persönlichen<br />

Anteilnahme am Schicksal des kranken Menschen.Die<br />

Ökonomie führt neue Werte ein; anstelle des empathischen Engagements<br />

wird die unparteiische Dienstleistungserbringung gepriesen.Das<br />

ist nicht weniger als <strong>der</strong> Ersatz des Mitgefühls durch<br />

eine hinter perfektem Outcome gut maskierte aber salonfähig gemachte<br />

Teilnahmslosigkeit, ja manchmal gar Gleichgültigkeit.<br />

Wenn Medizin ein Unternehmen sein soll, so müssen wir bedenken,<br />

dass in einem Unternehmen allen beigebracht wird, dass<br />

man kalkulieren muss, dass man rechnen muss, dass man berechnen<br />

muss, dass man klug investieren muss.Keine Selbstverständlichkeit<br />

und Unmittelbarkeit des Gebens, son<strong>der</strong>n eine Hilfe<br />

nach Berechnung, eine Hilfe nach Kalkül.Aber passt das überhaupt<br />

zusammen: Hilfe und Kalkül? ± Viele Patienten spüren,<br />

dass das möglicherweise nicht zusammenpasst, denn viele Patienten<br />

fragen sich immer häufiger, wenn ihr Arzt ihnen eine Therapie<br />

empfiehlt, ob diese Empfehlung dem Kalkül <strong>für</strong> die Klinik<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hilfe <strong>für</strong> sie als Patient gilt.Die Gleichzeitigkeit von Hilfe<br />

und Kalkül ist insofern eine ständige Gefährdung <strong>der</strong> Grundfesten

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