Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 01/2013
Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 01/2013
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Themen <strong>der</strong> Zeit<br />
· genom- und biomarkerbasierte, maßgeschnei<strong>der</strong>te Diagnostik und<br />
Therapie<br />
· stratifizierende Medizin<br />
· nationaler und europäischer Schwerpunkt<br />
· nationale För<strong>der</strong>ung: 5,5 Mrd. € bis 2<strong>01</strong>4 (Med. Innovationen,<br />
Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung)<br />
· fragwürdige Werbe- und Vermarktungs-Strategien <strong>der</strong> Industrie<br />
· positives klinisches Beispiel: Onkologie<br />
Abb.11 Individualisierte Medizin.<br />
Technikfolgen-Abschätzung beim <strong>Deutschen</strong> Bundestag 2008<br />
Individualisierung bedeutet entsprechend den Initiatoren ¹eine feinere,<br />
klinisch relevante Unterteilung von ¼ Patientengruppen (also<br />
Stratifizierung)¼., um diese Untergruppen differenziert zu behandelnª¼<br />
Eine Stratifizierung bis hin zu Einzelpersonen sei allerdings<br />
aus Gründen <strong>der</strong> Wirtschaftlichkeit, <strong>der</strong> Praktikabilität<br />
und des Nutzens we<strong>der</strong> möglich noch sinnvoll (11). Eine klinische<br />
Binsenwahrheit.<br />
Bei näherer Betrachtung handelt es sich um eine stratifizierende<br />
Therapie, die nicht zuletzt <strong>der</strong> verdeckten Vermarktung neuartiger<br />
Biomarker, neuer teurer medizinischer Verfahren und vermeintlicher<br />
Innovationen dienen soll. Unterschieden werden krankheitsund<br />
arzneimittelbezogene Biomarker.<br />
Die Bundesregierung hält individualisierte Therapieansätze in ihrem<br />
Rahmenprogramm ¹Gesundheitsforschungª (2<strong>01</strong>0) <strong>für</strong> beson<strong>der</strong>s<br />
för<strong>der</strong>ungswürdig (5,5 Milliarden bis 2<strong>01</strong>4), wohl nicht zuletzt<br />
auch zur industriellen Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung.<br />
Die begrenzten Möglichkeiten einer stratifizierenden Medizin lassen<br />
sich bisher am Beispiel von prognostischen und prädiktiven<br />
Biomarkern in ¹zielgerichtetenª medikamentösen Therapien in<br />
<strong>der</strong> Onkologie belegen. Es fehlt aber nach Wolf-Dieter Ludwig<br />
(14) häufig noch die Evidenz <strong>für</strong> den Nutzen solcher stratifizieren<strong>der</strong><br />
diagnostischer und therapeutischer Maûnahmen.<br />
¾uûere Rahmenbedingungen<br />
Alle ärztlichen und wissenschaftlichen Überlegungen werden<br />
heute maûgeblich durch äuûere Rahmenbedingungen bestimmt.<br />
Gegenwärtig beherrscht das naturwissenschaftlich geprägte<br />
Weltbild das Denken von Gesundheitspolitik und -ökonomie. Alles<br />
erscheint messbar, standardisierbar, kalkulierbar und v.a. kontrollierbar.<br />
Die von allen Partnern im Gesundheitswesen beschworene<br />
soziale Verantwortung wird dabei zunehmend Kategorien<br />
des Marktes und industriellen Konzepten geopfert.<br />
26 Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong> ± <strong>Mitteilungen</strong> 1/13<br />
Soziale Verantwortung vs. Marketing<br />
1. Standardisierung > Effizienzschraube<br />
2. Beschleunigung<br />
3. ökonomische Überformung <strong>der</strong> Medizin<br />
4. ärztliche Zuwendung > Herabsetzung und Entwertung<br />
5. Messung und Kontrolle > Qualitätsmanagement<br />
6. De-Professionalisierung des Arztberufs<br />
> modulierte Fertigkeiten, Ingenieur <strong>für</strong> den Menschen<br />
Gegründet 1872<br />
Sitz Berlin<br />
Giovanni Maio Z Allg Med 2<strong>01</strong>1; 87:36-41<br />
G. Maio: Mittelpunkt Mensch: Ethik in <strong>der</strong> Medizin, Schattauer 2<strong>01</strong>2<br />
Abb.12 Ökonomie und Medizin. Heilen als Management? (G. Maio).<br />
Der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio (15, 16) hat die<br />
Charakteristika des gegenwärtigen Produktionsprozesses von<br />
Gesundheit wie folgt benannt (Abb.12):<br />
Standardisierung, die als Effizienzschraube genutzt werden soll.<br />
Die damit einhergehende Prozessbeschleunigung.<br />
Eine ökonomische Überformung <strong>der</strong> Medizin.<br />
Als Folge die Herabsetzung und Entwertung <strong>der</strong> ärztlichen und<br />
pflegerischen Zuwendung,<br />
Die Messung von Daten und die Kontrolle des Produktionsprozesses<br />
werden als Qualitätsindikatoren genutzt.<br />
Es folgt die De-Professionalisierung des Arztberufs (Modulierte<br />
Fähigkeiten, Ingenieure <strong>für</strong> Menschen).<br />
Damit einher geht aus meiner Sicht die augenblickliche Untergrabung<br />
(Demontage) <strong>der</strong> ärztlichen Autorität durch die Administration<br />
auf allen Ebenen (Gesundheitspolitik, Krankenhaus- und<br />
Kostenträger).<br />
G. Maio stellt die Frage, wie viel von dem eigentlichen sozialen<br />
Gedanken <strong>der</strong> Medizin bewahrt werden kann, wenn alle Organisationsstrukturen<br />
<strong>der</strong> Medizin nur noch nach den Konzepten des<br />
Marktes als perfektes Dienstleistungsangebot aufgebaut werden.<br />
Der Produktionsprozess verlangt eine Modularisierung und Standardisierung.<br />
Durch die Bestrebungen <strong>der</strong> Effizienzsteigerung mit<br />
unaufhaltsamer Prozessbeschleunigung werden die persönliche<br />
ärztliche Leistung des Chirurgen und seine Zuwendung zum<br />
Kranken wegrationalisiert.<br />
Der Autor G. Maio zitiert fast wie einen Hilferuf den Chirurgen<br />
Theodor Billroth: ¹Es werden auch wie<strong>der</strong> Zeiten kommen, in denen<br />
die Persönlichkeit den Sieg über Wissen und Können davonträgtª.<br />
Ich fasse zusammen:<br />
Die chirurgische Schule, charakterisiert durch die Persönlichkeit<br />
des eigenen Lehrers, bleibt ein wesentlicher Eckpfeiler in <strong>der</strong> persönlichen<br />
Erfahrung jedes einzelnen Chirurgen wie auch <strong>für</strong> das<br />
Grundverständnis unserer handwerklichen Disziplin.