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Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 01/2013

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Historie<br />

Die Ambivalenz <strong>der</strong> Antibiotika<br />

B. Seifert<br />

Der Siegeszug gegen die Infektionen, eingeleitet vor nunmehr 84<br />

Jahren durch eine Zufallsentdeckung von Sir Alexan<strong>der</strong> Fleming<br />

in Gestalt <strong>der</strong> teilungshemmenden Wirkung <strong>der</strong> Penizillinase des<br />

Pinselschimmels, scheint beendet. Tausende von inzwischen<br />

entwickelten Antibiotika zeigen gegen resistent gewordene<br />

Krankheitskeime keine Wirkung mehr. Trotz peinlichster Hygiene<br />

sind die Krankenhäuser zu Brutstätten von krank machenden Infektionen<br />

geworden, die auch zum Tode führen können. Man bezeichnet<br />

diese als nosokomiale Infektionen.<br />

W. Schmitt schrieb schon 1968 in seinem Buch ¹<strong>Chirurgie</strong> <strong>der</strong> Infektionenª:<br />

¹Wir sind heute vom Wunschtraum einer infektionsfreien<br />

<strong>Chirurgie</strong> mindestens so weit entfernt wie vor <strong>der</strong> Entdeckung<br />

<strong>der</strong> Antibiotika.ª<br />

Als Arzt im 83. Lebensjahr und Chirurg in fast 40 Berufsjahren<br />

habe ich als Zeitzeuge die Geschichte <strong>der</strong> Antibiose und <strong>der</strong>en<br />

Ambivalenz miterlebt. Es drängt sich mir die Frage auf, was haben<br />

wir falsch gemacht? Fehler nicht im Sinne medizinisch halb<br />

gebildeter Medienvertreter, die in Unkenntnis <strong>der</strong> wahren Zusammenhänge<br />

die Krankenhausinfektionen als ¹¾rztepfuschª deklarieren,<br />

Fehler aber, weil die von A. Fleming in weiser Voraussicht<br />

gefor<strong>der</strong>ten Postulate nicht hinreichend wahrgenommen und umgesetzt<br />

wurden. Fleming hat schon die Keim- und Resistenzbestimmung<br />

vor Anwendung des Penizillins verlangt und seine ausreichend<br />

lange und hohe Dosierung.<br />

Mit Ausnahme schwerer Infektionen, die einen sofortigen ungezielten<br />

Einsatz <strong>der</strong> Antibiotika verlangten, haben wir in <strong>der</strong> von<br />

mir geleiteten Einrichtung <strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong> immer Keim- und Resistenzbestimmungen<br />

durchgeführt.<br />

Die Missachtung obiger initialer For<strong>der</strong>ungen und <strong>der</strong> groûzügige<br />

Einsatz hochwirksamer Antibiotika ohne Notwendigkeit, auch Anwendung<br />

vermeintlich prophylaktischer Antibiose in minimaler<br />

Dosierung hat dazu geführt, dass sich die Bakterien durch Mutation<br />

zur Wehr setzen konnten, wodurch sich die Medizin selbst um<br />

die in <strong>der</strong> Natur vorhandenen Antibiose beraubt hat.<br />

Möglicherweise sind auch früher übliche Hygienevorschriften im<br />

blinden Vertrauen auf die Wirkung <strong>der</strong> Antibiotika aufgeweicht<br />

und vernachlässigt worden. Ich denke dabei an eine sorgfaltspflichtvernachlässigende<br />

Wundexzision bakterienbesiedelter<br />

Gegründet 1872<br />

Sitz Berlin<br />

Wunden. Früher roch es in den Spitälern nach Desinfektionsmittel<br />

(Phenole), heute nicht mehr, seit Hygieniker angeblich herausfanden,<br />

dass die Keime auch durch warmes Wasser unter Einsparung<br />

von teueren Desinfektionsmitteln zu beseitigen sind. Über<br />

fast 40 Jahre habe ich als Chirurg Hände und Unterarme, mitunter<br />

mehrmals am Tag, mit keimfreien Bürsten unter flieûend warmem<br />

Wasser malträtiert mit anschlieûendem Alkoholbad, was zu bleibenden<br />

Hautschäden führte. Seit Jahrzehnten wird allerorten die<br />

zeitsparende Händeschnelldesinfektion mit Chemikalien vorgenommen,<br />

ohne bakteriologische Testung ihrer Wirksamkeit.<br />

Ob durch eine leitlinienempfohlene (G68) perioperative Antibiotikaprophylaxe<br />

mit einer einmaligen Antibiotikagabe Keimfreiheit<br />

zu erzielen ist? Ich glaube es nicht.<br />

Drei schwere nosokomiale Infektionen aus dem eigenen Umfeld<br />

haben sich mir eingegraben: Septischer Schock mit Todesfolge<br />

nach Hüftgelenlsendoprothese. Eine schwere Infektion nach<br />

Kniegelenkendoprothese mit Prothesenentfernung, Antibiose<br />

und Zweitoperation. Schlieûlich auch Kniegelenkendoprothese<br />

mit postoperativer Pneumonie und folgen<strong>der</strong> Sepsis mit Psoasabszess<br />

und Epiduralphlegmone bei intaktem Kniegelenk.<br />

Nosokomiale Infektionen nehmen im Vergleich zur Gesamtsumme<br />

aller geglückten Operationen einen kleinen Prozentsatz ein,<br />

sind aber im Anstieg begriffen und <strong>für</strong> die Betroffenen hun<strong>der</strong>tprozentig!<br />

Meine Schlussfolgerungen: Gelenkresektionen mit Metallendoprothesen<br />

gehören zu den gefährlichen Operationen und sind keinesfalls<br />

Bagatelleingriffe wie von den Laien meist angenommen.<br />

Es wird zu oft operiert, was durch eine sinnvolle konservative Behandlung<br />

mit Schmerz- und Physiotherapie sowie extrakorporaler<br />

fokussierter Stoûwellentherapie vielfach verhin<strong>der</strong>t werden kann.<br />

Zu for<strong>der</strong>n ist eine strengere Indikationsstellung durch operierende<br />

¾rzte und Beendigung von vermeintlichen Indikationen durch<br />

merkantilinteressierende Verwaltungen! Bei schmerzhaften Arthrosen<br />

stellt nur eine die Lebensqualität einschränkende Situation<br />

eine Op-Indikation dar, wodurch enorme Kosten (Unkosten)<br />

<strong>für</strong> das Gesundheitswesen eingespart werden könnten.<br />

Neuerdings wird sogar die Frage gestellt, ob Antibiose auch<br />

Schäden verursachen kann? Mit <strong>der</strong> parenteralen Antibiotikabe-<br />

Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong> ± <strong>Mitteilungen</strong> 1/13 59

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