Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 01/2013
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Chirurg/-in und <strong>Chirurgie</strong><br />
Die Chirurgische Schule<br />
Laudatio zum 85. Geburtstag von Prof. Dr. med. H. G. Borst<br />
H. Oelert<br />
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Hans Borst!<br />
In <strong>der</strong> Einladung vom 24. April 2<strong>01</strong>2 zur heutigen Veranstaltung<br />
heiût es: ¹Wir planen ein Symposium aus Anlass <strong>der</strong> ersten Elephant<br />
Trunk-Operation im Jahr 1982 sowie des 85. Geburtstags<br />
von Hans Georg Borst.ª Für das Programm, das beiden Anlässen<br />
gerecht werden soll, wurde ich gebeten, einen Vortrag zum Thema:<br />
¹Die chirurgische Schuleª zu halten. Als erstes kam mir bei<br />
den Stichworten Schule und Elefant <strong>der</strong> Begriff Elefantenschule<br />
in den Sinn, wie er beson<strong>der</strong>s anschaulich vorgelebt ist, wenn in<br />
Familienherden dem ¹groûenª Elefanten, <strong>der</strong> vorangeht, viele<br />
¹kleine Elefantenª, die auch einmal groû werden wollen, in Rüsselkontakt<br />
gemessenen Schrittes folgen.<br />
Erkundigt man sich jetzt bei Wikipedia über die inhaltliche Bedeutung<br />
<strong>der</strong> Elefantenschule, dann heiût es dort:<br />
In einer Elefantenschule werden Elefanten auf ihren jeweiligen<br />
Einsatz vorbereitet und zielgerichtet ausgebildet. Die Ausbildung<br />
dauert etwa 7 Jahre, <strong>der</strong> Lehrplan glie<strong>der</strong>t sich in: a) ordnungsgemäûes<br />
Marschieren; b) arbeiten am Baumstamm; c) Hilfestellung<br />
<strong>für</strong> den Vorarbeiter. Nun, das klingt vielen von uns nicht unbekannt,<br />
wenn wir uns erinnern an: a) ordnungsgemäûes Erscheinen<br />
in <strong>der</strong> Klinik; b) arbeiten am Patienten auf <strong>der</strong> Station; c) Hilfestellung<br />
dem Chef im OP. Wie sich die Curricula doch gleichen!<br />
Ein Schelm ist, wer sich Schlechtes dabei denkt!<br />
Der Begriff <strong>der</strong> ¹Schuleª stammt dem Wort wie <strong>der</strong> Sache nach<br />
aus dem antiken Griechenland. ¹Scolh¢ª, wie das Wort im Griechischen<br />
lautet, meint zuerst Muûe, d.h. nicht Müûiggang, son<strong>der</strong>n<br />
eine Zeit <strong>der</strong> freien Beschäftigung mit selbstgewählten Tätigkeiten.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e <strong>für</strong> die erste Hochschule Europas, die Platonische<br />
Akademie, war die ¹Scolh¢ª das Ideal des gemeinschaftlichen<br />
Lebens. Für dieses gemeinschaftliche Leben spielte die<br />
Herkunft keine Rolle, wurde von niemandem ein finanzieller Beitrag<br />
erwartet und gab es keine von vornherein festgelegten Hierarchien.<br />
Wichtig war in erster Linie das gemeinsame Streben<br />
nach Erkenntnis um ihrer selbst willen. Erst danach sorgte ein aktives<br />
Tätigsein im Dienste <strong>der</strong> Wissenschaft <strong>für</strong> die Vervollkommnung<br />
dessen, was je<strong>der</strong> von sich aus kann, damit er bei allem zukünftigen<br />
Tun rational und nicht beliebig verfahre. Nicht gleich zu<br />
Beginn also sollte <strong>der</strong> Schüler spontane Eigenbeiträge leisten,<br />
46 Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong> ± <strong>Mitteilungen</strong> 1/13<br />
Gegründet 1872<br />
Sitz Berlin<br />
son<strong>der</strong>n erst nach einer langen Phase des Zuhörens und Lernens<br />
durfte er mit eigenem kritischem Urteil hervortreten und Lehr- und<br />
Forschungsaufgaben übernehmen. Derart fortgeschrittene Schüler<br />
sorgten im Weiteren da<strong>für</strong>, dass die ¹Schuleª auch in <strong>der</strong> Abwesenheit<br />
ihres Grün<strong>der</strong>s und in seiner Nachfolge fortbestand<br />
o<strong>der</strong> an an<strong>der</strong>er Stelle erwuchs. Insbeson<strong>der</strong>e Platon lehnte eine<br />
dogmatische Fixierung seiner Lehre ab und erlaubte, dass auch<br />
Lehrmeinungen, die <strong>der</strong> seinen nicht vollends entsprachen, akademisch<br />
vertreten wurden; denn die vielfältigen Entwicklungen in<br />
gesellschaftlicher, religiöser und technologischer Hinsicht boten<br />
und geboten ± damals wie heute ± zahlreiche Ansatzpunkte zum<br />
Weiter- aber auch An<strong>der</strong>sdenken.<br />
¹Schuleª hatte hier also nicht nur die Alltagsbedeutung, eine Stätte<br />
des Unterrichts zu sein; ¹Schuleª bedeutete vielmehr die gemeinsame<br />
Ausrichtung auf eine freie Forschung und auf die Werte,<br />
die sich aus ihr gewinnen lieûen.<br />
In diesem Sinne haben sich seit Platon viele Schulen gebildet, so<br />
auch die ¹Chirurgische Schuleª, mit Grundregeln, die über die<br />
letzten 2,5 Jahrtausende hinweg bis heute ihre Gültigkeit haben.<br />
Zu ihnen gehört als fester Bestandteil <strong>der</strong> ärztlichen Ethik <strong>der</strong> Hippokratische<br />
Eid, in dem es heiût: ¹Ich werde den, <strong>der</strong> mich diese<br />
Kunst gelehrt hat, gleich meinen Eltern achten, werde mein Leben<br />
gemeinsam mit ihm führen, ihm Anteil geben, wenn er es bedarf<br />
und seine Nachkommen gleich meinen Brü<strong>der</strong>n achten und sie<br />
diese Kunst lehren, wenn sie sie zu lernen verlangen, ohne Entgeld<br />
und Vertrag.ª<br />
Die bedeutendsten Chirurgenschulen in Deutschland wurden<br />
stets von herausragenden Persönlichkeiten angeführt, die eine<br />
groûe Zahl ihrer Schüler zu beachtlichen wissenschaftlichen Leistungen<br />
brachten. Ich denke an Bernhard v. Langenbeck, und, in<br />
seiner Nachfolge, Ernst v. Bergmann, August Bier und Ferdinand<br />
Sauerbruch, und ich nenne im weiteren Theodor Billroth, Rudolf<br />
Stich und Rudolf Zenker mit ihren weit verzweigten Schülernetzen,<br />
die sich sogar bis zu mir hin ausgespannt haben. Manches<br />
in den Abhängigkeiten und Umgangsformen sowie in den Arbeitsbedingungen<br />
und Strukturen von gestern mag heute nicht mehr<br />
zeitgemäû sein und sich in <strong>der</strong> Tradition dieser ¹Schulenª nicht<br />
fortsetzen. Ungeachtet dessen sind unter dem aktuellen Gebot,