Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 01/2013
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Chirurg/-in und <strong>Chirurgie</strong><br />
men; denn: ¹Wer an <strong>der</strong> Küste bleibt, kann keine neuen Ozeane<br />
entdecken.ª Und bis zu diesem Aufbruch muss auch das Handwerk<br />
perfekt erlernt sein. Das ist Grundvoraussetzung, aber es<br />
ist nicht das Wichtigste. Und so ist auch <strong>für</strong> die ¹Chirurgische<br />
Schuleª das Handwerk zwar unentbehrlich, aber es ist nicht das<br />
oberste Gebot ihrer Kultur! Hierzu schreibt Billroth in seiner Studie<br />
Über das Lehren und Lernen <strong>der</strong> medizinischen Wissenschaften:<br />
¹Bis heute kann man bei <strong>der</strong> Medizin mit mehr Recht als bei irgendeiner<br />
an<strong>der</strong>en Wissenschaft von Tradition durch die Schule<br />
sprechen, zumal soweit es das eigentliche ärztliche Gebiet betrifft.<br />
Man scheidet ganz korrekt die medizinische Wissenschaft<br />
von <strong>der</strong> ärztlichen Kunst. Es kann jemand aus Büchern unendlich<br />
viel medizinisches Wissen gelernt und auch das Technische in<br />
dessen Anwendungsweise aus Büchern seinem Gedächtnis<br />
wohl eingeprägt haben, er hat dann viel medizinisches Wissen,<br />
doch ist er damit noch kein Arzt.ª<br />
Der gute Arzt weiû schon sehr lange von <strong>der</strong> heilsamen Wirkung<br />
des Gesprächs <strong>für</strong> Mut und Zuversicht seiner Patienten. ¹Heile<br />
zuerst durch das Wort, dann durch die Arznei, dann durch das<br />
Messerª lehrte bereits Hippokrates.<br />
An vielen Institutionen hat sich gezeigt, dass nicht das Wie viel ±<br />
im Sinne von Zahl und Zeit, son<strong>der</strong>n das Was ± im Sinne von Verlässlichkeit<br />
und Perfektion ± und das Wie etwas ± im Sinne von<br />
Indikationsstellung, postoperativer Behandlung und menschlicher<br />
Zuwendung ± geschieht und Schüler zu Lehrern heranwachsen,<br />
die ¹Chirurgische Schuleª ausmacht. Unsere Operationszahlen<br />
an <strong>der</strong> MH-Hannover waren nie die höchsten in Deutschland, die<br />
Zahl <strong>der</strong>er aber, die in Leitungspositionen aufgestiegen sind, ist<br />
unübertroffen!<br />
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe Ihnen vom<br />
Geist <strong>der</strong> ¹Chirurgischen Schuleª erzählt, wie ihn viele von uns ±<br />
je<strong>der</strong> zu seiner Zeit ± an sich erlebt haben. In den letzten 50 Jahren<br />
musste die ¹Chirurgische Schuleª einem groûen Fortschritt in<br />
<strong>der</strong> Medizin standhalten und hat dadurch einen beträchtlichen<br />
Wandel erfahren. Untergegangen ist sie so lange nicht, wie sie<br />
die Einheit in <strong>der</strong> Vielfalt ihrer Aufgaben zu bewahren vermag. ¹Alles<br />
ist im Flussª, heiût es bei Heraklit, und er schlieût darin auch<br />
Gegensätzliches in die verborgene Harmonie des stetigen Wan-<br />
48 Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong> ± <strong>Mitteilungen</strong> 1/13<br />
dels ein. Niemand, <strong>der</strong> die ¹Chirurgische Schuleª jemals durchlaufen<br />
hat, zweifelt an Sinn und Wert <strong>der</strong> Ausbildung in ihr zum Arzt.<br />
Um zu Platon zurückzukehren, ist auch heute noch das dabei erarbeitete<br />
Wissen kein Selbstzweck. Es muss zwar um seiner<br />
selbst willen erworben werden, das Gute aber, das man mit ihm<br />
bewirken kann, gehört insbeson<strong>der</strong>e im Falle <strong>der</strong> <strong>Chirurgie</strong> auch<br />
praktisch erlernt und weitergegeben. In diesem Sinne steht es unter<br />
den Medizinern, insbeson<strong>der</strong>e dem Chirurgen, gut an, Wissenschaftler<br />
und Arzt in einer Person zu sein.<br />
Als Rückblicken<strong>der</strong> bleibt mir (mit Goethe) festzustellen: ¹Mit<br />
rechten Leuten wird man wasª; und wenn das stimmt, ist keine<br />
Pflicht dringen<strong>der</strong>, als Dank zu sagen denen, die <strong>der</strong> ¹Chirurgischen<br />
Schuleª Tradition gegeben haben und sie (nach Rilke) in ihrem<br />
Wesen lebendig erhalten:<br />
¹Wolle die Wandlung. O sei <strong>für</strong> die Flamme begeistert,<br />
drin sich ein Ding Dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt.ª<br />
Wie in dieser Metapher löst <strong>der</strong> ewige Wandel jede sich bildende<br />
Form bald wie<strong>der</strong> auf, und es gibt nichts Festes, das in diesem<br />
Wandel bestünde. Alles Lebendige unterliegt <strong>der</strong> ständigen Verwandlung.<br />
Die Frage ist nur, wie sich <strong>der</strong> Mensch mit diesem<br />
Wandel auseinan<strong>der</strong>setzt. Deine Vorstellungen vom Wandel <strong>der</strong><br />
¹Chirurgischen Schuleª zu erinnern und ihre Verwirklichung<br />
mit Dir in Verbindung zu bringen, ist das Geburtstagsgeschenk<br />
Deiner Schüler, lieber Hans Borst, die heute hierher gekommen<br />
sind ± o<strong>der</strong> wohin auch immer verstreut. In <strong>der</strong> Lösung eines<br />
schwierigen Problems ist sie innovativ vergleichbar dem zielführenden<br />
Elephant Trunk in <strong>der</strong> Aorta descendens. Mutige Strategien<br />
und Annäherungen dieser Art werden mit über die Zukunft<br />
<strong>der</strong> <strong>Chirurgie</strong> und das Bild <strong>der</strong> ¹Chirurgischen Schuleª entscheiden.<br />
Solches Erbe droht nur dann verloren zu gehen, wenn kommende<br />
Generationen nicht acht geben ihrer selbst.<br />
Hannover, am 9. November 2<strong>01</strong>2<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Prof. Dr. med. Hellmut Oelert<br />
Silvanerstraûe 5a<br />
55129 Mainz<br />
E-Mail: oelert@uni-mainz.de<br />
Gegründet 1872<br />
Sitz Berlin