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Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 01/2013

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Themen <strong>der</strong> Zeit<br />

soll, wenn er nicht vorher mindestens drei Jahre Logik studiert<br />

hat. Nach diesen drei Jahren steht es ihm frei, dass er fünf Jahre<br />

Medizin studiere und die <strong>Chirurgie</strong> innerhalb einer angegebenen<br />

Zeit miterlerneª (21).<br />

Der Begriff ¹Evidenzbasierte Medizin (EbM)ª findet sich erstmals<br />

in einem 1793 von George Fordyce publizierten Artikel ¹Attempts<br />

to improve the evidence of medicineª (5).<br />

Konzept und Methoden <strong>der</strong> heutigen EbM wurden in den 1970er-<br />

Jahren in Kanada und den USA entwickelt, fanden aber erst in<br />

den 1990'er Jahren breiten Eingang in die klinische Medizin.<br />

Um 1990 führten Epidemiologen den englischen Begriff Evidence-based<br />

Medicine ein. Hätten sie die sprachliche Verwirrung<br />

in Deutschland (evidence [Nachweis, Beleg] vs evident [=offensichtlich,<br />

d. h. bedarf keines weiteren Beweises]) vorausgesehen,<br />

hätten sie nach eigenen Angaben den Begriff Scientifically based<br />

Medicine ± wissenschaftlich begründete Medizin ± gewählt. Dann<br />

allerdings wäre dieser Begriff in Deutschland möglicherweise so<br />

interpretiert worden: ¹Haben wir doch schon immer gemachtª.<br />

Die inzwischen weltweit akzeptierte Definition <strong>der</strong> EbM verdanken<br />

wir D. L. Sackett und seiner Arbeitsgruppe (1996) in Canada,<br />

später Oxford:<br />

Evidenzbasierte Medizin ist <strong>der</strong> ¹gewissenhafte, ausdrückliche<br />

und vernünftige Gebrauch <strong>der</strong> gegenwärtig besten wissenschaftlichen<br />

Evidenz <strong>für</strong> Entscheidungen in <strong>der</strong> medizinischen Versorgung<br />

individueller Patientenª (20).<br />

In praxi bedeutet dies die Integration <strong>der</strong> besten verfügbaren wissenschaftlichen<br />

Information aus <strong>der</strong> theoretischen Forschung (Literatur)<br />

und klinischen Studien (externe Evidenz, Evidenzbasierung)<br />

mit <strong>der</strong> Erfahrung (Expertise) des Arztes und den Präferenzen<br />

des Patienten in <strong>der</strong> individuellen Situation.<br />

Während die EbM-Working Group 1992 zunächst klinischer Erfahrung,<br />

Patientenpräferenzen und wissenschaftlichem Nachweis<br />

gleiche Bedeutung beimaû, nahm sie später den aktuellen<br />

klinischen Status des Patienten (Alter, Begleiterkrankungen etc.)<br />

und die verfügbaren therapeutischen Optionen hinzu und wies<br />

<strong>der</strong> ¹Clinical Expertiseª eine zentrale Rolle zu (8,20) (Abb. 5).<br />

An<strong>der</strong>s ausgedrückt: ¾rztliche Kompetenz ist gefragt, um die wissenschaftlich<br />

begründete Krankheitsbehandlung und die patientenorientierte<br />

Krankenbehandlung zusammenzuführen.<br />

Für die externe Evidenz wurden unterschiedliche Qualitäts- und<br />

Empfehlungsgrade definiert (z. B. Oxford Classification). Von groûer<br />

praktischer Bedeutung ist, dass <strong>für</strong> eine Vielzahl, v. a. chirurgisch-operativer<br />

Maûnahmen keine höhergradigen Evidenzen,<br />

Patient<br />

Preferences<br />

Clinical Expertise Clinical State and Circumstances<br />

Research<br />

Evidence<br />

Patient Preferences<br />

and Actions<br />

Research<br />

Evidence<br />

D. L. Sackett et al. BMJ 1996 R. B. Haynes et al. BMJ 2002<br />

Abb.5 Evidenzbasierte Medizin (8,20).<br />

Clinical Expertise<br />

Gegründet 1872<br />

Sitz Berlin<br />

z.B. aus RCTs, zur Verfügung stehen. Zugrunde gelegt wird deshalb<br />

ganz bewusst die jeweils bestverfügbare Evidenz.<br />

Was bedeutet EbM <strong>für</strong> die Entscheidungsfindung in <strong>der</strong> Medizin<br />

und <strong>Chirurgie</strong>:<br />

Auf <strong>der</strong> festen Basis wissenschaftlich belegten externen Wissens<br />

bringen sich Arzt und Patient in die individuelle Entscheidungsfindung<br />

ein, <strong>der</strong> Arzt mit seinen objektiven Erfahrungen, seiner Kompetenz,<br />

Intuition, ethischen und rechtlichen Vorstellungen und<br />

auch seiner Kostenverantwortung, <strong>der</strong> Patient mit seinen subjektiven<br />

Erfahrungen, seinen Erwartungen, Wertvorstellungen, Bewältigungsstrategien<br />

und seinem kulturellen Hintergrund<br />

(Abb. 6).<br />

Beide berücksichtigen in ihrer Nutzenbewertung unterschiedliche<br />

Endpunkte: Der Arzt Morbidität und Mortalität, Überlebensrate,<br />

rezidivfreie Zeit, Nebenwirkungen etc., <strong>der</strong> Patient Lebensqualität,<br />

völlige Wie<strong>der</strong>herstellung, Erwartungen, soziales Stigma und<br />

Krankheitsbewältigung, beson<strong>der</strong>s ausgeprägt in <strong>der</strong> Onkologie.<br />

Die Entscheidung muss dabei natürlich auch die vorgegebenen<br />

ethischen, sozialen und finanziellen Rahmenbedingungen berücksichtigen<br />

(Abb. 6).<br />

Die externe Evidenzbasierung ist also die wissenschaftliche Basis<br />

<strong>für</strong> die individuelle Entscheidung des Chirurgen und seines<br />

Patienten. Sie ist aber eben auch nur einer <strong>der</strong> 3 Pfeiler <strong>der</strong> evidenzbasierten<br />

Medizin. Ich erinnere an die wissenschaftlich begründete<br />

Krankheitsbehandlung und die patientenorientierte<br />

Krankenbehandlung.<br />

Verständlicherweise sind klinische Arzneimittelstudien zum wissenschaftlichen<br />

Wirksamkeitsnachweis o<strong>der</strong> -vergleich einfacher<br />

durchzuführen als Studien zu chirurgischen Fragestellungen. Die<br />

mo<strong>der</strong>ne <strong>Chirurgie</strong> verdankt aber ihre eindrucksvollen Behandlungsergebnisse<br />

auch wesentlich den Fortschritten <strong>der</strong> periopera-<br />

Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong> ± <strong>Mitteilungen</strong> 1/13 23

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