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Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 01/2013

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Themen <strong>der</strong> Zeit<br />

Martin Kirschner: ¹Nicht die Operation, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Operateur<br />

rettet den Krankenª (1928).<br />

Die Prägung <strong>der</strong> eigenen Erfahrung und Entwicklung zum Chirurgen<br />

durch den chirurgischen Lehrer wurde durch die evidenzbasierte<br />

Medizin nicht abgelöst, aber ganz wesentlich ergänzt. Sie<br />

unterstützt die Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient<br />

durch wissenschaftlich begründete Erkenntnisse, engt aber das<br />

Arzt-Patienten-Verhältnis und die ärztliche Zuwendung (Empathie)<br />

nicht ein.<br />

Was Arzt und Patient dabei verbindet, hat Hans Wilhelm Schreiber<br />

treffend formuliert: ¹Ethik gründet sich auf die Definition des<br />

Menschen als einem eigenständigen, einmaligen und unersetzlichen<br />

Individuum mit einem persönlichen Sinn, mit persönlichen<br />

Vorstellungen vom Leben sowie einer eigenen unantastbaren<br />

Würde. Diese ist unabhängig von Alter, Gesundheit, Krankheit,<br />

Pflegebedürftigkeit, Orientierung, Leistung und sozialem Umfeldª.<br />

Das beson<strong>der</strong>e Vertrauen, das ein Kranker seinem Operateur<br />

entgegenbringt, muss durch ein beson<strong>der</strong>s ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein<br />

erwi<strong>der</strong>t werden, denn <strong>der</strong> Kranke ist in seiner<br />

Entscheidung zu einem Eingriff letztlich doch ganz wesentlich<br />

von dem Wissen, <strong>der</strong> Erfahrung, dem Können und <strong>der</strong> Persönlichkeit<br />

des Chirurgen abhängig. Dies setzt allerdings voraus, dass<br />

dieser auch die Prinzipien <strong>der</strong> evidenzbasierten (wissenschaftlichen)<br />

<strong>Chirurgie</strong> kennt und im Einzelfall berücksichtigt.<br />

Johann Wolfgang Goethe, <strong>der</strong> Namenspatron unserer Frankfurter<br />

Universität, lässt seinen Wilhelm Meister Wundarzt werden und<br />

dieser befindet als reifer Mensch: ¹Der Chirurg widmet sich dem<br />

göttlichsten aller Geschäfte: ohne Wun<strong>der</strong> heilen und ohne Worte<br />

Wun<strong>der</strong> tunª (J. W. Goethe, Wilhelm Meisters Wan<strong>der</strong>jahre 1829).<br />

Dies ist keine wissenschaftlich begründete, nicht einmal eine empirische,<br />

son<strong>der</strong>n eine emotionale Aussage des Dichters. Die evidenzbasierte<br />

Medizin schlägt die Brücke zwischen chirurgischer<br />

Expertise, Wissenschaftlichkeit und Empathie.<br />

Ich widme diesen Vortrag meinem eigenen chirurgischen Lehrer<br />

Fritz Lin<strong>der</strong>. Sein Bekenntnis auf dem Internationalen Chirurgenkongress<br />

1969 in Buenos Aires ¹From the Prima Donna to the<br />

Lea<strong>der</strong> of a Teamª (13) hat er in Heidelberg umgesetzt, und in seiner<br />

Person verkörperte er die Verbindung einer traditionsreichen<br />

chirurgischen Schule mit wissenschaftlich begründeter <strong>Chirurgie</strong>.<br />

¹Seine liberale Autorität bzw. sein autoritärer Liberalismusª<br />

(Hans-Dietrich Röher) entsprach vielleicht noch nicht den Idealvorstellungen<br />

<strong>der</strong> gestrengen methodischen Hüter <strong>der</strong> EBM,<br />

aber dem, was wir uns auch heute noch von einem Chirurgen<br />

wünschen ± wissenschaftliche Basis, klinische und operative Expertise,<br />

Führungsqualität und ärztliches Vorbild.<br />

Fritz Lin<strong>der</strong> war Vorsitzen<strong>der</strong> (1968), Ehrenmitglied (seit 1982)<br />

und langjähriger Schriftführer (1969±1976) <strong>der</strong> Mittelrheinischen<br />

Chirurgenvereinigung. Auch dies in <strong>der</strong> Tradition seines Lehrers<br />

K. H. Bauer.<br />

Literatur<br />

1 Billroth T. Über das Lehren und Lernen <strong>der</strong> medizinischen Wissenschaften<br />

1875<br />

2 Diener MK, Knebel P, Fink C et al. Klinische Studien in <strong>der</strong> <strong>Chirurgie</strong>.<br />

Auf dem Weg zur evidenzbasierten <strong>Chirurgie</strong>. Chirurg 2<strong>01</strong>2; 83:<br />

315±318<br />

3 Encke A, Kopp I, Selbmann HK. Ethische Implikationen <strong>der</strong> evidenzbasierten<br />

Medizin/<strong>Chirurgie</strong>. Viszeralchirurgie 2006; 41: 371±375<br />

4 Encke A, Kopp I, Selbmann HK. Bedeutung <strong>der</strong> S1-, S2-, S3-Leitlinien.<br />

Allgemein- und Viszeralchirurgie up2date 2009: 257±267<br />

5 Fordyce G. Attempt to improve the evidence of medicine. Trans Soc<br />

Impr Med Chir Knowl 1793; 1: 273 zitiert nach U.Tröhler: To improve<br />

the evidence of medicine. The 18 th century British origins of a critical<br />

approach. Royal College of Physicians of Edinburgh; 2000<br />

6 Grol R, GrimshawJ. From the best evidence to the best practice: Effective<br />

implementation of change in patient care. Lancet 2003; 362:<br />

1225±1230<br />

7 Gross R. Der Arzt zwischen Naturwissenschaft und Humanität. Festvortrag<br />

84. Kongress Dt. Ges. Innere Medizin; 1978<br />

8 Haynes RB, Devereaux PJ. Guatt PJ. Physician's and patient's choices<br />

in evidenced based practice. BMJ 2002; 324: 1350<br />

9 Heister D. Lorenz. <strong>Chirurgie</strong>. Nürnberg; 1763<br />

10 Hoeft K, Güntert A, Ansorg J. Evaluation <strong>der</strong> Weiterbildung 2<strong>01</strong>1. Passion<br />

<strong>Chirurgie</strong> Q3, BDC Online; 2<strong>01</strong>1<br />

11 Hüsing B et al. Individualisierte Medizin und Gesundheitssystem. Zukunftsreport<br />

des Büros <strong>für</strong> Technologiefolgen-Abschätzung beim<br />

<strong>Deutschen</strong> Bundestag; 2008<br />

12 Kilian H. Meister <strong>der</strong> <strong>Chirurgie</strong> 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 1980<br />

13 Lin<strong>der</strong> F. From a primadonna to the lea<strong>der</strong> of a team. Soc Int Chir 1969<br />

14 Ludwig WD. Möglichkeiten und Grenzen <strong>der</strong> stratifizierenden Medizin<br />

am Beispiel <strong>der</strong> Onkologie. Biomarker und Design klinischer Studien.<br />

Forum (Deutsche Krebsgesellschaft) 2<strong>01</strong>2; 27: 197±202<br />

15 Maio G. Heilen als Management? Z Allg Med 2<strong>01</strong>1; 87: 36±41<br />

16 Maio G. Mittelpunkt Mensch: Ethik in <strong>der</strong> Medizin. Schattauer; 2<strong>01</strong>2<br />

17 Naunyn B. zitiert nach R. Gross<br />

18 Peiper H-J. Chirurgische Tradition, chirurgische Schule ± haben Sie<br />

Bestand? Chirurg 2005; 76: 1086±1090<br />

19 Rothmund M. Sind das Lehrer-Schüler Verhältnis und die chirurgische<br />

Schule dieser Tage überholt? ± Symposium Aktuelle <strong>Chirurgie</strong>, Berlin<br />

18.11. 2<strong>01</strong>1<br />

20 Sackett DL, Rosenberg WMC, Gray JA et al. Evidenced-based Medicine:<br />

what it is and what it isn't. 1996; 312: 71±72<br />

21 Schipperges H. 5000 Jahre <strong>Chirurgie</strong>. Stuttgart: Franckh'sche Verlagshandlung;<br />

1967<br />

22 Zarras K. Persönliche Mitteilung. Jahreskongress Deutsche <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong>; 2<strong>01</strong>2<br />

Korrespondenzadresse:<br />

Prof. Dr. med. Albrecht Encke<br />

Hans-Thoma-Straûe 22<br />

60596 Frankfurt/Main<br />

E-Mail: a.encke@em.uni-frankfurt.de<br />

Gegründet 1872<br />

Sitz Berlin<br />

Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Chirurgie</strong> ± <strong>Mitteilungen</strong> 1/13 27

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