Forschung & Lehre 5 / 2013
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5|13 <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> STANDPUNKT 345<br />
Felix Grigat<br />
ist verantwortlicher Redakteur<br />
von <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong>.<br />
Schenken wir alten<br />
Erzählungen Glauben,<br />
dann hat es einmal eine<br />
Zeit gegeben, in der<br />
das Studentenleben<br />
ein unbekümmertes<br />
Sich-Wiegen, ein dem<br />
Augenblick abgerungenes<br />
gleichsam zeitloses<br />
Behagen gewesen<br />
sein muss. Eine<br />
Zeit, die durch die Abwesenheit<br />
aller Pläne<br />
und Zwecke, losgelöst<br />
von allen Zukunftsabsichten,<br />
für die rastlose<br />
und heftige Bewegung<br />
der Gegenwart<br />
fast etwas Traumar-<br />
tiges an sich trug – so ein junger Hochschullehrer<br />
im 19. Jahrhundert.<br />
Heute wird einem allerdings so gar nicht mehr<br />
wohl bei dem Gedanken an die Bildung. Dies liegt<br />
daran, dass man in der Bildung so lange nur das<br />
gesehen hat, was Nutzen bringt, bis man das, was<br />
Nutzen bringt, mit der Bildung verwechselte, wie<br />
es derselbe Hochschullehrer analysierte und prophezeite.<br />
Dies aber zerstört beides: Die Bildung<br />
und den Nutzen, der sich dann selbst abnutzt, einen<br />
in Lebensdingen doch auch wichtigen Pragmatismus.<br />
Was aber ist Bildung? Bildung ist – und das ist<br />
die alte und immer wieder neue Einsicht – etwas<br />
zutiefst Humanes und zunächst von Schule und<br />
Universität Verschiedenes, ein aliud. Es wäre eine<br />
große Aufgabe, dies wieder aufzuspüren. Eine Aufgabe<br />
freilich, die dem heutigen Denken sehr fremd<br />
ist. Doch hatten auch frühere Zeiten damit ihre<br />
Schwierigkeiten. So schrieb Hölderlin einmal an<br />
einen Freund: „…die Barbaren um uns her zerreissen<br />
unsre besten Kräfte, ehe sie zur Bildung kom-<br />
Wir utilisieren uns<br />
zu Tode<br />
men können, und nur die feste tiefe Einsicht dieses<br />
Schicksals kann uns retten, dass wir wenigstens<br />
nicht in Unwürdigkeit vergehen“. Einen Ausweg<br />
sah er allerdings: „Wir müssen das Treffliche aufsuchen,<br />
zusammenhalten mit ihm, so viel wir können,<br />
uns im Gefühle desselben stärken und heilen<br />
und so Kraft gewinnen“. Man kann es aber auch<br />
ein wenig erdiger sagen, wie Goethe: „Denn das<br />
Studium des Vortrefflichen und die fortwährende<br />
Ausübung des Vortrefflichen mußte notwendig aus<br />
einem Menschen, den die Natur nicht im Stich gelassen,<br />
etwas machen“.<br />
Diese doch so human herausfordernde Rede<br />
von dem Vorbild des Vortrefflichen passt nicht in<br />
unsere Zeit. Setzt sie doch Rangunterschiede, setzt<br />
sie doch Bewusstsein für Qualität voraus. Die Aufgabe<br />
des sich Bildenden wäre, wahrhaftig zu sein<br />
und sich wirklich in ein Verhältnis zu allem Großen<br />
zu setzen. Kurz: „Bildung ist das Leben im<br />
Sinn großer Geister mit dem Zwecke großer Ziele“<br />
(Nietzsche). Gewohnt, uns nur an die Gegenwart<br />
und die vor der Nase liegende Zukunft zu<br />
klammern, klingt all dies sehr fremd. Weil es bei<br />
der Bildung des Menschen nicht um „zeitgemäße<br />
Bildung“, nicht um passgenaue Menschen geht,<br />
weil die in der großen Tradition gemeinte Bildung<br />
aus der Ruhe wächst, weil sie den „ausdauernd<br />
wartenden“ Menschen will. Dagegen meint man<br />
heute mit unglaublicher Anmaßung, früheren Zeiten<br />
weit überlegen zu sein, und das ausschließliche<br />
„passgenaue“ Erziehen für das Funktionieren im<br />
ökonomischen und gesellschaftlichen Betrieb, in<br />
Hast und Eile (unter der Chiffre der „Kompetenz“)<br />
sei der Weisheit letzter Schluss.<br />
Die Frage, die sich dabei stellt: Ist es möglich,<br />
Menschen in einer Zeit des globalisierten Utilitarismus,<br />
der sich als „alternativlos“ verkauft, davon<br />
zu überzeugen, gegen die Gegenwart und für eine<br />
humane Zukunft zu erziehen? Sollte man sich empören?<br />
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