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Forschung & Lehre 5 / 2013

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5|13 <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> UNIVERSITÄT 373<br />

weise zu ganz ungünstigen Zeiten präsent.<br />

Die Ärzte wiederum wurden auf<br />

dem Gang ständig von Angehörigen angesprochen,<br />

die sie auf den Fotografien<br />

identifiziert hatten. Ihre Namen waren<br />

nun überdies der Presse bekannt, sie<br />

mussten abends mit Anrufen rechnen.<br />

Die typische Abneigung von Professionen<br />

gegen Publizität meldete sich. Der<br />

eigentliche Grenzfall aber war erreicht,<br />

als die PR-Abteilung, aus ihrer Perspektive<br />

völlig nachvollziehbar, darauf hinwies,<br />

dass die Klinik sich das größte<br />

Prestige durch human-interest-stories<br />

über Patienten und Ärzte sichern könnte.<br />

Von da an wurde der Einfluss des<br />

Prestigebüros wieder zurückgefahren.<br />

Soziologie der Universität<br />

Es liegt auf der Hand, weshalb dieser<br />

kleine Auszug aus Perrows organisationssoziologischer<br />

Feldforschung für die<br />

Soziologie der Universität einschlägig<br />

ist. Universitäten sind Organisationen,<br />

für die in noch höherem Maße gilt, dass<br />

sich ihre Leistungen der Beurteilung<br />

von Laien entziehen. Welcher Leser<br />

könnte beispielsweise sagen, was<br />

„wandnahe Mehrphasenströmungen“<br />

sind? Oder wozu man „Thetafunktionen<br />

auf Modulräumen von Vektorbündeln“<br />

braucht? Oder die Frage beantworten<br />

„Was kann das Affordanz-Konzept<br />

für eine Methodologie der Populärkulturforschung<br />

‚leisten’?“ Und wenn<br />

es einen Leser gibt, der sich da jeweils<br />

auskennt, so gewiss doch keinen, der alle<br />

drei Fragen bejahen könnte. Die Wissenschaftler<br />

sind auch darum ihr eigenes<br />

Publikum, sie wenden sich primär<br />

an ihresgleichen, Kritik an ihrer Kerntätigkeit<br />

von außen verbitten sie sich. Sie<br />

stehen nicht zur Wahl, verkaufen in der<br />

Regel nichts am Markt, pochen auf<br />

Selbstverwaltung und Selbstrekrutierung.<br />

Zugleich hat die Universität einen<br />

immensen Bedarf an Außenunterstützung.<br />

Sie ist kostspielig, und sie verlangt<br />

von jungen Leuten, sich Jahre ihres Lebens<br />

an ihr aufzuhalten und hochspeziellen<br />

Orientierungen zu folgen, um<br />

am Ende mit einem Zertifikat entlassen<br />

zu werden, das die Anfangsvoraussetzung<br />

eines unbekannten Berufslebens<br />

sein soll. Die <strong>Forschung</strong> wiederum verlangt<br />

Ressourcen nicht nur für Erkenntnisse,<br />

die allein sie selbst beurteilen<br />

kann. Sie verlangt diese Ressourcen<br />

auch ganz offensiv für Einsichten, die<br />

nur innerhalb der Wissenschaft selbst<br />

verwendungsfähig sind und keinerlei<br />

technologische Folgen haben, beispiels-<br />

weise, weil sie sich auf Sachverhalte beziehen,<br />

die sich nicht ändern lassen:<br />

Milchstraßen, ferne Epochen, Shakespeare,<br />

Gott oder die Juristenausbildung.<br />

Hie und da ergeben sich Nutzfernwirkungen<br />

solcher kognitiven Insichgeschäfte,<br />

die dann mit entsprechenden<br />

Fanfaren gefeiert werden, vom<br />

Teflon bis zu primzahlbedingten Ver-<br />

»Universitäten sind Organisationen,<br />

deren Leistungen sich der<br />

Beurteilung von Laien entziehen.«<br />

schlüsselungstechniken. Doch mittels<br />

der Unterscheidung von angewandter<br />

<strong>Forschung</strong> und Grundlagenforschung<br />

hält man sich unter Hinweis auf langfristige<br />

Zeithorizonte und darauf, dass<br />

man bestenfalls findet, was man nicht<br />

gesucht hat (Robert K. Merton und Elinor<br />

Barber), Rückfragen nach den Investitionsplänen<br />

der <strong>Forschung</strong> und ihren<br />

Auszahlungserwartungen vom Leib.<br />

Der Prestige-Investitions-<br />

Kreislauf<br />

Wie also, lautet die Frage, sichert sich<br />

eine solche Organisation, die einerseits<br />

immer spezialistischer und insofern für<br />

die meisten immer unverständlicher<br />

produziert und andererseits dafür immer<br />

mehr Geld benötigt, das Wohlwollen<br />

oder auch nur das Interesse ihrer<br />

Umwelt? Die naheliegende Antwort<br />

hält sich an das Publikum, das auch<br />

Wissenschaftler haben: die Studenten.<br />

Aufbau von Prestige würde dann ganz<br />

analog zur Orientierung an den Patienten<br />

bedeuten, dass sich die Studenten<br />

an der Universität wohlfühlen müssen.<br />

Das ist ersichtlich nicht der deutsche<br />

Weg, aber beispielsweise der amerikanische,<br />

den dort leistungsfähige Colleges<br />

und Universitäten beschreiten, indem<br />

sie auch Aspekte des Studiums kultivieren,<br />

die das Leben und die Sozialisiation<br />

der Studenten als Elite betreffen.<br />

Das Renommee der Hochschulen entsteht<br />

über den Ruf, den sie bei denjenigen<br />

haben, die für <strong>Lehre</strong> an ihnen bezahlen<br />

oder mittels der Abschlüsse aufgrund<br />

jenes Rufes selber zahlungsfähig<br />

werden. Denn neben der Bildung wird<br />

auch das Prestige auf die Studenten<br />

transferiert. Die Finanzkrise seit 2008<br />

hat diesen Prestige-Investitions-Kreislauf<br />

empfindlich gestört, indem prestigebasierte<br />

Einkommenserwartungen<br />

von Studenten enttäuscht worden sind,<br />

die zur Aneignung des Prestiges Kredite<br />

aufgenommen hatten und von denen in<br />

dieser Lage viele fast natürlicherweise<br />

zu Mitgliedern der Occupy-Bewegung<br />

wurden.<br />

Zu einer ganz anderen Antwort<br />

kommt man, wenn man versucht, das<br />

Prestige der Universitäten über <strong>Forschung</strong>sförderung<br />

zu erhöhen. Hierfür<br />

war in Deutschland zuletzt die Exzelleninitiative<br />

mit ihrer<br />

weithin sichtbaren Verteilung<br />

erheblicher Finanzmittel<br />

im Rahmen<br />

eines Wettbewerbs einschlägig.<br />

Das erste nämlich,<br />

was einem soziologisch<br />

an ihr und der Epoche auffallen<br />

muss, der solche Förderung einleuchtet,<br />

ist die immense Erhöhung an Außenkommunikation,<br />

die in den vergangenen<br />

fünfzehn Jahren seitens der Universitäten<br />

betrieben wurde. Diese neue<br />

Mitteilsamkeit ist kein Effekt der Exzellenzinitiative,<br />

schon vorher hatte sich<br />

so gut wie jede deutsche Hochschule<br />

ein eigenes Magazin zugelegt – gewissermaßen<br />

Firmenzeitschriften -, das<br />

Pressewesen ausgedehnt, hatte an Initiativen<br />

wie „Public Understanding of<br />

Sciences and Humanities“ teilgenommen,<br />

sich an „Wissenschaftsjahren“ beteiligt<br />

usw. Die Rektoren und Präsidenten<br />

sind Unternehmenssprecher geworden.<br />

Diese neue Mitteilsamkeit ist dabei<br />

kein Privileg des Wissenschaftssystems,<br />

wenn man an all die Podien, Talk-<br />

Shows, Foren und Internetauftritte<br />

denkt, die inzwischen die Öffentlichkeit<br />

intensiv bearbeiten.<br />

Insofern wäre es nur eine leichte<br />

Übertreibung zu sagen: Die Exzellenzinitiative<br />

ist ihrerseits ein Effekt jener<br />

neuen Mitteilsamkeit über die Grenzen<br />

von einander im Grunde schwer verständlichen<br />

Arbeitsbereichen hinweg.<br />

Von ihren Anfängen an war eine ihrer<br />

wichtigsten Aufgaben, die Universitäten<br />

als leistungsfähige Organisationen zu<br />

kommunizieren. Von ihren Anfängen<br />

an waren sie und die Wissenschaftspolitik,<br />

für die sie ein Instrument darstellte,<br />

den Massenmedien zugewandt. Das begann<br />

von Seiten der Politik, die das<br />

Spektakel der Versteigerung von<br />

UMTS-Lizenzen in eine prominente<br />

Zweckbindung der dabei erlösten Milliardenbeträge<br />

überführen wollte. Das<br />

setzte sich fort in dem heute schon wieder<br />

vergessenen Umstand, dass die SPD<br />

im Januar 2004 sich mit dem Gedanken<br />

einer „Spitzenuniversität“ auch deshalb<br />

anfreunden konnte, weil das damals die<br />

Medienaufmerksamkeit vom Dreikö-

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