Forschung & Lehre 5 / 2013
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5|13 <strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong> UNIVERSITÄT 375<br />
und in Antizipation der zu liefernden<br />
Kennziffern (Promovendenzahl, Drittmittelhöhe,<br />
Publikationsfrequenz etc.)<br />
entworfen wird (Wendy Nelson Espeland<br />
und Michael Sauder).<br />
Ein anderer Einwand konzediert die<br />
„indirect indexes“, fragt aber, ob nicht<br />
der Vergleich von Hochschulen untereinander<br />
auch intern eine sinnvolle Sache<br />
ist, genau so wie das „bench-marking“,<br />
das in den Rangtabellen nur einen um<br />
der Popularisierung willen stark verkürzten<br />
Ausdruck findet, operativ aber<br />
den Hochschulen viel Erkenntnis über<br />
sich selbst bringt? Zu dieser Frage gehört<br />
eine andere oft gehörte Wendung,<br />
die, gewissermaßen mit einem Seufzer<br />
der Anstrengung verbunden, auch von<br />
vielen derjenigen zu hören ist, denen<br />
keine Ausschüttungen zuteil wurden:<br />
Es sei ein Ruck durch ihre Hochschule<br />
gegangen, Leute, die sich zuvor nichts<br />
zu sagen hatten, seien durch den<br />
Zwang, die Hochschule nach außen<br />
darzustellen und für den Wettbewerb<br />
einzurichten, erstmals miteinander ins<br />
Gespräch gekommen.<br />
Darin meldet sich ein tatsächliches<br />
Problem der Universität als Organisation.<br />
Denn der Grund dafür, dass viele<br />
deutsche Universitäten erst seit dem<br />
Bologna-Prozess und der Exzellenzinitiative<br />
wieder darüber nachgedacht haben,<br />
was sie sind und sein wollen, lag<br />
»Es ist vergeblich, primär über die<br />
Pflege der <strong>Forschung</strong>sdimension das<br />
Profil von Universitäten entwickeln<br />
zu wollen.«<br />
nicht nur im zuvor herrschenden Desinteresse<br />
der Organisationsmitglieder aneinander.<br />
Er liegt vermutlich viel mehr<br />
in einer organisationssoziologischen<br />
Besonderheit der Universität, auf die<br />
Peter M. Blau hingewiesen hat. Viele intern<br />
stark arbeitsteilige Organisationen<br />
können nämlich die Frage danach, was<br />
sie denn integriert, trivial beantworten:<br />
Die Arbeitsteilung ist die Integration.<br />
Denn da die einzelnen Tätigkeiten oder<br />
Abteilungen stark interdependent sind,<br />
insofern die Kurbelwellen irgendwie ins<br />
Gehäuse passen müssen, ergibt sich der<br />
Abstimmungsbedarf zwischen denen,<br />
die das eine, und denen, die das andere<br />
machen, von selbst. Es bedarf nur einer<br />
Instanz, die diesen Bedarf beobachtet<br />
und durchsetzt.<br />
Die von Blau festgehaltene Besonderheit<br />
der Universität ist demgegen-<br />
über, dass ihre wissenschaftlichen Spezialproduktionen<br />
eben nicht interdependent<br />
sind und es jedenfalls nicht innerhalb<br />
der Universität sind. Es hängen<br />
die Erkenntnisse des einen Toxikologen<br />
von denen anderer Toxikologen ab,<br />
aber das tun sie nur ganz zufälligerweise<br />
und eher selten an derselben Univer-<br />
»Eine eigene Logik des<br />
Antragsstellers hat sich etabliert.«<br />
sität, sondern viel eher in überlokalen<br />
Netzwerken („epistemic communities“).<br />
Im Gegenteil besteht sogar eine gewisse<br />
Wahrscheinlichkeit dafür, dass zwei<br />
Shakespeareforscher, die zufälligerweise<br />
an derselben Universität tätig sind,<br />
dafür sorgen werden, dass sie nicht interdependent<br />
arbeiten.<br />
Einsamkeit und Freiheit<br />
Das heißt allgemeiner formuliert, dass<br />
die <strong>Forschung</strong> selbst zumeist gar keinen<br />
Beitrag zur Integration der Universität<br />
leistet, sondern nur einen zur Perfektionierung<br />
ihrer Teile. Die klassische Pathosformel<br />
dafür war „Einsamkeit und<br />
Freiheit“, was diesseits der Humboldtmelodien<br />
einen soziologischen Sinn in<br />
der Beschreibung von Prozessen behält,<br />
die sich weitgehend gleichgültig zu den<br />
Organisationsgrenzen der Hochschulen<br />
verhalten. Es ist also<br />
kein Zufall, dass man,<br />
wenn man die Universität<br />
von der <strong>Forschung</strong>sseite<br />
aus betrachtet,<br />
ihre Identität<br />
gar nicht sieht. Insofern<br />
ist es aber auch<br />
eine vergebliche Anstrengung, primär<br />
und fast ausschließlich über die Pflege<br />
der <strong>Forschung</strong>sdimension die Identität,<br />
oder wie es inzwischen heißt: das Profil<br />
von Universitäten entwickeln zu wollen.<br />
Bleibt die Frage, ob es überhaupt<br />
möglich ist. Peter M. Blau hat sie bejaht.<br />
Integriert, so lautete seine These, sind<br />
die Universitäten nicht über <strong>Forschung</strong>,<br />
sondern über <strong>Lehre</strong>, insbesondere im<br />
Bereich der „undergraduates“. Dort, im<br />
Bereich der ersten Studienjahre, müssen<br />
die Spezialisten nämlich eben doch<br />
kooperieren, von ihrem Spezialistentum<br />
absehen und entscheiden, was es<br />
heißen soll, an der jeweiligen Universität<br />
unterrichtet worden zu sein und dabei<br />
dieses oder jenes Fach studiert zu<br />
haben. Die bemühte Ergänzung des Exzellenzwettbewerbs<br />
um kleine Zusatz-<br />
programme für gute <strong>Lehre</strong> dokumentiert<br />
die Unkenntnis der Wissenschaftspolitik<br />
davon. Denn es ist gute, d.h. anspruchsvolle<br />
<strong>Lehre</strong> nicht „auch wichtig“,<br />
sondern aus strukturellen Gründen<br />
die notwendige Bedingung für all das,<br />
was man sich unter universitärer Exzellenz<br />
überhaupt vorstellen mag.<br />
Soziologische Studien<br />
zur amerikanischen Univer-<br />
sität berichten, dass es auch<br />
im dortigen System, das<br />
dem Primat der <strong>Lehre</strong> an<br />
vielen Hochschulen und Colleges Rechnung<br />
trägt, Anzeichen für eine Aushöhlung<br />
der Leistungsfähigkeit gibt. (Richard<br />
Arum und Josipa Roksa) Studenten<br />
und Professoren schlössen, heißt es,<br />
immer öfter einen „disengagement compact“,<br />
dessen Inhalt in der Übereinkunft<br />
über eine beiderseitige Präferenz für<br />
physische und geistige Abwesenheit bestehe.<br />
Wenn du mich in Ruhe lässt, lasse<br />
ich dich in Ruhe. Den Studenten<br />
würden gute Abschlüsse für mäßige<br />
Leistungen versprochen, was die bekannte<br />
Noteninflation nach sich zieht,<br />
worauf sie im Gegenzug nicht auf intensiver<br />
Betreuung und aufwendiger <strong>Lehre</strong><br />
bestünden. Dieses Problem wird durch<br />
forcierte <strong>Forschung</strong>s- und Drittmittelorientierung<br />
erkennbar verschärft, weil<br />
sie Anreize zur Indifferenz gegenüber<br />
der universitären Kernaufgabe setzt, ja<br />
sie fast erzwingt, wenn man den Zeitbedarf<br />
für Anträge, Tagungsbesuche, also<br />
Netzwerkpflege, und Publikationen in<br />
Rechnung stellt.<br />
Es ist die Missachtung solcher Probleme,<br />
die einer Wissenschaftspolitik,<br />
die sich in erster Linie als <strong>Forschung</strong>spolitik<br />
versteht, vorgeworfen werden<br />
kann. Wobei unter „Wissenschaftspolitik“<br />
allerdings nicht nur Ministerien<br />
verstanden werden sollten. Auch die<br />
Funktionäre der Universitäten selbst sowie<br />
die Mitglieder ihrer Selbstverwaltung<br />
agieren zumeist soziologisch blind,<br />
was ihre eigene Organisation angeht.<br />
Die Neigung, dem Prestigewettbewerb<br />
die Alltagsaufgaben unterzuordnen, die<br />
mitunter beispielsweise so weit geht,<br />
dass man ganze Universitäten mit ihren<br />
Exzellenzclustern identifiziert, ist dabei<br />
ein erstaunlicher Fall von mangelnder<br />
Intelligenz in Organisationen, die eigentlich<br />
ihrer Kultivierung dienen.<br />
Nachdruck aus der Zeitschrift Merkur, April<br />
<strong>2013</strong>.