Forschung & Lehre 5 / 2013

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386 POLITIKBERATUNG Forschung & Lehre 5|13 Spürbar war allein eine gewisse Spannung, zu welchem Schluss das Gutachten kommen würde. Natürlich wollte ich nichts darüber aussagen, ob das neue Wahlsystem verfassungskonform ist, denn eine solche Aussage steht allein dem Bundesverfassungsgericht zu. Ein Mathematiker kann aber einem Urteil die Definition von negativem Stimmgewicht entnehmen, den damit zusammenhängenden gerichtlichen Auftrag an das Parlament ermitteln und diesen mit den Eigenschaften verschiedener Wahlsysteme vergleichen. Titanisches Ringen der Gegenpositionen Mein Abschlussbericht arbeitet Positiva und Negativa der im Bundestag diskutierten Wahlsysteme heraus, um dann zu einer Gesamteinschätzung zu kommen. Selten zuvor habe ich meine Worte sorgfältiger gewählt als bei diesem Gutachten. Ich wollte sprachlich so punktgenau wie möglich die Befunde festhalten. Mein Gutachten kommt zu der Einschätzung, dass das neue Wahlrecht die Vorgaben des Verfassungsgerichtsurteils vom Juli 2008 erfüllt. Die Ergebnisse habe ich im Sitzungshaus der Bundestags-Abgeordneten vorgestellt und das Gutachten im Februar 2012 öffentlich zugänglich gemacht. Die vom Bundestag und der Regierungskoalition bevollmächtigten Staatsrechtler beriefen sich in ihren Schriftsätzen für das Bundesverfassungsgericht ausführlich darauf. Die Opposition und Bürgerkläger vertretenden Staats- »Auch das aktuelle Wahlrecht besitzt ein verfassungsrechtliches Restrisiko.« rechtler versuchten naturgemäß, das Gutachten anzugreifen. Meist geschah das sachlich, aber nicht immer. Ich lernte, die quantitative Kompetenz der Verfahrensbeteiligten als unterschiedlich einzuschätzen. Im Frühjahr 2012 bereitete sich auch Karlsruhe erkennbar auf die Bearbeitung der Klage vor. Im politischen Berlin kursierte die Information, dass der berichterstattende Richter ein 285seitiges Dossier für die anderen Mitglieder des zweiten Senats verfasst habe. Eine mündliche Verhandlung wurde für den 5. Juni 2012 anberaumt. Der Tag der Anhörung begann mit einem halbstündigen Treffen der Verfahrensbeteiligten mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, der die Verhandlung leiten würde. Wichtig aus meiner Sicht waren die Programmpunkte zum negativen Stimmgewicht und zum Komplex der Überhangmandate. »Die Tendenz der Richter war aus ihren Fragen nicht zu entnehmen.« Für die Verhandlung hatten beide Lager neben zahlreichen, meist hochkarätigen Staatsrechtlern viel politische Prominenz aufgeboten. Auch ehemalige Verfassungsrichter waren anwesend. Dazu kamen zwei Mathematiker als Sachverständige. Bei den Medien stieß die Veranstaltung auf enormes Interesse. Von kleinen Polemiken abgesehen verlief die Anhörung ausgesprochen sachlich. Es war ein titanisches Ringen zwischen den Gegenpositionen um die Gedanken in den Köpfen der Richter. Als der Staub sich legte, was erst in den Abendstunden der Fall war, hatte nach meiner Einschätzung die Unterstützerseite gegen die Klägerseite einen klaren Punktsieg davongetragen. Doch das zählte natürlich nicht. Es kam auf das Gericht an. Die Tendenz der Richter war aus ihren Fragen aber nicht zu entnehmen. Die spannende Frage für mich war, ob sich das Gericht an seine frühere Definition des negativen Stimmgewichts halten würde. Auf dieser Definition hatte ich mein Gutachten aufgebaut. Sollte das Gericht diese Sicht aufrechterhalten, würde das neue Wahlrecht wohl Gnade finden vor den Augen der Richter. Wenn das Gericht aber seine eigene Definition erweitern würde, dann konnten die Richter aus meinem Gutachten entnehmen, dass unter dieser Erweiterung andere inverse Effekte von der Größenordnung wie im alten Wahlrecht möglich sind. Überraschendes Urteil Einige Wochen später wurde der 25. Juli 2012 als Termin der Urteilsverkündung bekanntgegeben. Die Verfahrensbeteiligten und alle wichtigen Medien waren im Amtssitz des Bundesverfassungsgerichts anwesend. Das Urteil wurde vom Präsidenten verlesen. Die Richter hatten das Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Die Entscheidung war mit 8:0 Stimmen ergangen. Details der umfassenden Begründung deuten daraufhin, dass das Urteil Ergebnis eines Kompromisses unter den Richtern ist, möglicherweise um eine abermalige 4:4 Pattsituation zu vermeiden, wie sie bei einer berühm- ten Entscheidung zu Überhangmandaten aufgetreten war. Der Senat hatte tatsächlich einen erweiterten Begriff des negativen Stimmgewichts zugrunde gelegt und gleichzeitig die Zulässigkeit von Überhangmandaten eingeschränkt. Das Gericht hatte also gleich an zwei wichtigen Stellschrauben Verschärfungen gegenüber seiner früheren Rechtsprechung vorgenommen. Damit konnte der Gesetzgeber nicht rechnen. Diesen stärkeren Anforderungen wurde das Wahlrecht nicht gerecht. Die Bundesrepublik besaß also nach dem 25. Juli 2012 kein gültiges Wahlrecht. Erst kürzlich, im Februar 2013, hat der Bundestag wieder ein Wahlrecht verabschiedet. Es handelt sich um eine Kombination aus Anteilen des früheren Koalitionsmodells und einem Verfahrensschritt des SPD-Modells, welcher Überhangmandate durch Ausgleichsmandate für andere Parteien kompensiert. Meine eigenen Überlegungen zu diesem Modell haben ergeben, dass negative Stimmgewichte damit weiterhin auftreten können. Beispiele sind leicht verfügbar: Hätte die Linkspartei bei der Wahl 2009, mit dem neuen Wahlrecht ausgezählt, 8 000 Stimmen in Hamburg mehr erhalten, wäre ihr im Bundestag ein Sitz verloren gegangen. Insofern besitzt auch das aktuelle Wahlrecht, ungeachtet der Aussagen einiger Experten, ein verfassungsrechtliches Restrisiko. Auch kann es zu einer erheblichen Aufblähung des Bundestages führen. Man hört hinter den Kulissen, dass auch in Berlin kaum jemand glücklich damit sei. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich einige der schärfsten Kritiker des früheren Wahlrechts nach diesem zurücksehnen werden, wenn dereinst die Stimmen der nächsten Bundestagswahl ausgezählt sind. Wahrscheinlich werden wir eine Änderung auch dieses Wahlrechts noch erleben. Man kann davon ausgehen, dass auch dann Mathematiker als Politikberater in Rechtsfragen gefragt sind.
5|13 Forschung & Lehre BESOLDUNG 387 Beamtenbesoldung 2013/2014 | DOKUMENTATION | Der Tarifabschluss der Angestellten im Öffentlichen Dienst sieht Tarifsteigerungen von 2,65 Prozent ab dem 1. Januar 2013 und von 2,95 Prozent ab dem 1. Januar 2014 vor. Dieses Ergebnis wird nach dem derzeitigen Stand auf die Beamtenbesoldung keineswegs überall (vollständig) übertragen. Während bspw. der Freistaat Bayern die Beamtenbesoldung zeit- und inhaltsgleich erhöht, sehen andere Dienstherren erhebliche zeitliche Verzögerungen, Differenzierungen nach unteren, mittleren und „höheren“ Besoldungsgruppen oder sogar „Nullrunden“ vor. Besoldungserhöhungen 2013/2014 Besoldungsrunde 2013/2014 Stand: 22.4.2013 Baden-Württemberg Ab A 12 zum 1. Januar 2014: 2,65% A 10/A11 zum 1. Oktober 2013; Bis A 9 zum 1. Juli 2013: 2,65% Anmerkung: „C+W“: Nullrunde Bayern Zum 1. Januar: 2,65% Berlin Zum 1. August: 2,0% Erhöhung 2013 Erhöhung 2014 Status Ab A 12 zum 1. Januar 2015: 2,95% A 10/A11 zum 1. Oktober 2014; Bis A 9 zum 1. Juli 2014: 2,95% Zum 1. Januar: 2,95% Entscheidung für 2014 erst in den Haushaltsberatungen 2014/2015 Ankündigung der Landesregierung vom 20.3.2013 Gesetzentwurf Gesetzentwurf Brandenburg Keine Informationen Bremen Ab A 13: 0,0% A 11/12: 1,0% A 2 - A 10: 2,65% jeweils zum 1. Juli Anmerkung: „C+W“: Nullrunde Hamburg Zum 1. Januar: 2,65% Hessen (nicht Mitglied der Tarifgemeinschaft deutscher Länder) Mecklenburg-Vorpommern 1. Variante: Alle Besoldungsgruppen zum 1. Juli: 2,0% sowie Sockelbetrag von 25 € 2. Variante: Ab A 10 zum 1. Juli: 2,45% Bis A 10 zum 1. April: 2,45% Ab A 13: 0,0% A 11/12: 1,0% A 2 - A 10: 2,95% jeweils zum 1. Juli Anmerkung: „C+W“: Nullrunde Zum 1. Januar: 2,95% Alle Besoldungsgruppen zum 1. Januar: 2,0% Alle Besoldungsgruppen zum 1. Januar 2015: weitere 2,0% Niedersachsen Zum 1. Januar: 2,65 % Im Rahmen der Aufstellung des Haushaltsplans 2014 im Sommer dieses Jahres soll über die Übertragung der zweiten Stufe entschieden werden. Nordrhein-Westfalen Ab A 13: 0,0% A 11/A12: 1,0% A 2 – A 10: 2,65% jeweils zum 1. Januar Anmerkung: „C+W“: Nullrunde Ab A 13: 0,0% A 11/A12: 1,0% A 2 – A 10: 2,95% jeweils zum 1. Januar Anmerkung: „C+W“: Nullrunde Rheinland-Pfalz Zum 1. Januar: 1,0 % Zum 1. Januar: 1,0 % Zum 1. Januar 2015 und 2016: jeweils 1,0 % Ankündigung Finanzsenatorin Ankündigung Senatssprecher Eine mögliche Reduzierung der Besoldungserhöhung um 0,2% zur Bildung einer Vermögensrücklage ist hier nicht berücksichtigt. Der Innenminister äußerte sich nach Abschluss der Verhandlungen im Tarifbereich nicht darüber, ob diese Tarifeinigung zeit- und inhaltsgleich auf den hessischen Beamtenbereich übertragen wird. Ankündigung der Landesregierung Von allen Erhöhungen ist bereits eine 0,2%ige Beteiligung zur Versorgungsrücklage abgezogen. Gesetzentwurf Eine mögliche Reduzierung der Besoldungserhöhung um 0,2% zur Bildung einer Vermögensrücklage ist hier nicht berücksichtigt. Ankündigung der Landesregierung vom 18.3.2013 Ankündigung der Landesregierung Saarland Keine Informationen Sachsen Die Übertragung des Tarifergebnisses des TV-L ist noch offen. Nach derzeitigen Informationen hat der Finanzminister eine zeitverzögerte Übernahme angekündigt. Sachsen-Anhalt Zum 1. Juli: 2,65% Schleswig-Holstein Ab A 14: 1,3% Bis A 13: 2,45% jeweils zum 1. Juli Bis A 11: Einmalzahlung von 360 € zum 1. Mai 2013 und zum 1. März 2016 Thüringen Zum 1. Oktober: 2,45% Zum 1. Juli: 2,95% Ab A 14: 1,3% Bis A 13: 2,75% jeweils zum 1. Januar 2015 Alle Besoldungsgruppen zum 1. Juli 2016 und zum 1. Juli 2017: jeweils 1,3% Bis A 11: Einmalzahlung von 600 € zum 1. Juli 2014 Zum 1. Juli: 2,75% Gesetzentwurf Ankündigung der Landesregierung vom 20.3.2013 Von allen Erhöhungen ist bereits eine 0,2%ige Beteiligung zur Versorgungsrücklage abgezogen. Ankündigung Finanzminister vom 16.4.2013 Von allen Erhöhungen ist bereits eine 0,2%ige Beteiligung zur Versorgungsrücklage abgezogen. Alle Angaben ohne Gewähr. Recherche: RA Nico Rodenberg
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