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Psychotherapeutenjournal 3/2005 (.pdf)

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Leserbriefe<br />

Durch die Abschaffung des Diploms und<br />

die völlige Umstrukturierung auch des<br />

Psychologiestudiums ergeben sich höchstwahrscheinlich<br />

in nächster Zeit neue Möglichkeiten,<br />

diese Probleme in Angriff zu<br />

nehmen. So wäre denkbar, dass die Ausbildung<br />

zum Psychotherapeuten im Rahmen<br />

eines „Masterstudiums“ erfolgen und<br />

mit einer vorläufigen Approbation abschließen<br />

könnte. Damit könnte der Psychotherapeut<br />

die Berechtigung erhalten, ähnlich<br />

wie ein Assistenzarzt in der Weiterbildung<br />

zum Facharzt unter Supervision eigenverantwortlich<br />

psychotherapeutisch tätig zu<br />

sein und eine Weiterbildung zu absolvieren,<br />

die zur vollständigen Approbation führt.<br />

Die Stellen, auf denen PiA derzeit als unentgeltliche<br />

Vollarbeitskräfte eingesetzt<br />

sind, würden in bezahlte Assistenzpsychotherapeutenstellen<br />

umgewandelt, die Theorie<br />

– soweit nicht ohnehin mit Inhalten<br />

des Studiums deckungsgleich – würde in<br />

dieses verlagert bzw. wie bei Assistenzärzten<br />

in wöchentlichen Fallbesprechungen<br />

am Patientenbeispiel abgehandelt – 1000<br />

Mal sinnvoller und lebensnaher als heutzutage.<br />

Der § 74 GG, der dem Bund nur Kompetenz<br />

für die Einrichtung von Aus-, nicht<br />

Weiterbildungen einräumt, ist der Grund,<br />

mit dem ohne jegliche aus der Sache<br />

selbst zwingende Begründung heraus aus<br />

Hochschulabsolventen, die eine Berufsqualifikation<br />

in Form einer Weiterbildung<br />

anstreben, berufslose „Azubis” gemacht<br />

werden … denen durch § 7 des<br />

PsychThG, der die Geltung des Berufsbildungsgesetzes<br />

ausschließt, selbst noch<br />

die Rechte eines 14jährigen Lehrlings genommen<br />

werden.<br />

Dafür, dass die zwangsweise oft unentgeltlich<br />

arbeitenden PiA aber in freigeräumten,<br />

ursprünglich normal bezahlten Psychologenstellen<br />

eingesetzt werden und sich somit<br />

für die jeweiligen Kliniken, die die Leistungen<br />

ja wie gewohnt abrechnen, eine<br />

erhebliche Einsparung ergibt, sind sie gut<br />

genug. Das macht nicht nur verbittert, sondern<br />

schadet insgesamt dem Stand der<br />

Psychologen und der Psychotherapie in<br />

den Kliniken.<br />

So bleibt zu wünschen, dass dem ersten<br />

Schritt der Kammern in Form der Aufnahme<br />

von PiA viele weitere folgen werden.<br />

Der Psychotherapeutenschaft, die sich<br />

doch stets für die Menschenwürde und<br />

-rechte auf allen denkbaren Gebieten einsetzt,<br />

steht es gut an, sich entsprechend<br />

auch für ihre Berufskollegen einzusetzen.<br />

Dr. phil. Dipl.-Psych.<br />

Thomas H. W. Walther (PP)<br />

Berger Str. 185<br />

60385 Frankfurt am Main<br />

520074153427-0001@t-online.de<br />

Ein Beitrag zu Frauke Werther: „… Menschen mit geistiger<br />

Behinderung …“ (<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2005</strong>)<br />

Vorbemerkung<br />

Es ist sehr erfreulich und höchst überfällig,<br />

dass das Problem der psychotherapeutischen<br />

Versorgung von Menschen mit geistiger<br />

Behinderung so ausführlich und in<br />

breiter Öffentlichkeit diskutiert wird. Als<br />

Psychologe und psychologischer Psychotherapeut<br />

in einer Komplex-Einrichtung für<br />

Menschen mit geistiger Behinderung bin<br />

ich ständig damit konfrontiert, dass ich<br />

lediglich Heimbewohner/inn/en selbst therapieren<br />

kann (freilich ohne Kassenabrechnung,<br />

sondern im Rahmen der Pflegesatzfinanzierung),<br />

Anfragen anderer Therapiebedürftiger<br />

jedoch – anbetracht der Nicht-<br />

Finanzierbarkeit der Therapie – ablehnen<br />

oder an niedergelassene Therapeut/inn/<br />

en verweisen muss. Letzteres ist praktisch<br />

nie von Erfolg gekrönt, da es so gut wie<br />

keine entsprechend ausgebildeten Therapeut/inn/en<br />

gibt.<br />

Das erhöhte psychische<br />

Erkrankungsrisiko<br />

Es wird in der Fachliteratur als Fakt gehandelt,<br />

dass Menschen mit geistiger Behinderung<br />

ein erhöhtes Risiko für psychische<br />

Erkrankungen haben. Ich frage mich schon<br />

lange, ob es sich dabei nicht eher um ein<br />

Artefakt handelt. Kaum eine Bevölkerungsgruppe<br />

steht unter so dichter Beobachtung<br />

von Fachleuten wie Menschen mit geistiger<br />

Behinderung. Zwangsläufig fallen entsprechend<br />

viele Störungen auf. Flächendeckende<br />

Untersuchungen bei der „Durchschnittsbevölkerung“<br />

(z. B. diverse Untersuchungen<br />

des Zentralinstitutes für seelische<br />

Gesundheit in Mannheim) entdecken regelmäßig<br />

eine Quote von etwa einem Drittel<br />

Personen mit psychotherapeutischem<br />

Bedarf. Ich denke, die Quote bei Menschen<br />

mit geistiger Behinderung liegt nicht unbedingt<br />

höher. Frau Werther beschreibt<br />

sehr eindrücklich, welchen Belastungsfaktoren<br />

im Lebenslauf Menschen mit Behinderungen<br />

ausgesetzt sind. In der Tat liegt<br />

anbetracht der schwierigen Lebensumstände<br />

und der „erlernten Hilflosigkeit“ insbesondere<br />

die Entwicklung depressiver Erkrankungen<br />

sehr nahe. In der Praxis beobachte<br />

ich jedoch auch eine hohe Widerstandskraft<br />

von Menschen mit geistiger<br />

Behinderung gegenüber widrigen Umweltverhältnissen.<br />

Vielen gelingt es, sich kreativ<br />

auf der Grundlage ihrer bestehenden<br />

Kompetenzen mit ihrer Lebenssituation zu<br />

arrangieren und eben keine Störung zu<br />

entwickeln. Die geistige Behinderung wirkt<br />

nicht nur als Risiko, sondern auch als Schutz<br />

bzw. als Filter. Ich möchte hier nicht falsch<br />

verstanden werden: es geht mir nicht darum,<br />

den Therapiebedarf von Menschen mit<br />

geistiger Behinderung klein zu reden, ich<br />

möchte aber auch nicht einer weiteren<br />

Pathologisierung Vorschub leisten.<br />

Dass alle Formen psychischer Erkrankungen<br />

bei Menschen mit geistiger Behinderung<br />

auftreten können, ist unbestritten.<br />

Freilich zeigen sich die Störungen häufig<br />

in untypischer Form und werden häufig<br />

nicht oder nicht richtig diagnostiziert, so<br />

dass in der Folge auch nicht die angemessene<br />

Behandlung einsetzen kann. Völlig<br />

unterschätzt wird z. B. die Häufigkeit posttraumatischer<br />

Belastungsstörungen. In<br />

meiner Praxis begegnet mir aber ein Phänomen<br />

letztlich am häufigsten: es handelt<br />

sich um eine Art unterschwellige Störung,<br />

die am besten als „Identitätsproblem“ cha-<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2005</strong><br />

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